Öffnung im TVöD: eine Chance?

Bis zu zwei Entgeltstufen on top winken im TVöD jetzt ganzen Berufsgruppen. Vorteil für Interessenvertretungen? Pro/Contra in der mittendrin Nr.5.
27.09.2023

Bis zu zwei Entgeltstufen on top winken im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-K und -B) jetzt gleich ganzen Berufsgruppen. Der Leittarif der Kliniken und Betreuungseinrichtungen erlaubt dies über betriebliche Vereinbarungen »zur Deckung des Personalbedarfs oder zur Bindung von qualifizierten Fachkräften« (§ 17 Abs. 4.1). Und für Arbeit »zu ungünstigen Zeiten« dürfen wir nun Zulagen und Zuschläge erfinden.

 
Tobias Michel, Tarifexperte

PRO

Tobias Michel, Tarifexperte

Aus Schlechtem kann auch Gutes entstehen. Bisher waren den Wohltaten der Arbeitgeber keine Grenze gesetzt – doch nur bei Einzelnen. Nach dem Nasenprinzip dürfen sie denen Erfahrungsstufen vorweggewähren. So werben sie bei der Nachbarklinik Fachkräfte ab. Unser Tarifvertrag öffnete dazu bis zu 20 Prozent der Stufe 2 mehr als Dauerbonus. Doch jetzt können betriebliche Interessenvertretungen wieder Ordnung schaffen. Ganze Gruppen sollen in den Genuss kommen, die Pflege, Medizinische Fachangestellte, Frischexaminierte…

Solche Sonderangebote gehören in die Stellenausschreibungen. Nur so ziehen sie neue Kolleginnen an. Und so wirken sie auch betriebsöffentlich, für die Mutigen im Betrieb. »Müssen wir erst mit Kündigung drohen, damit Sie uns dieses Angebot machen?« Da kommt die betriebliche Interessenvertretung unter Druck. Sie wird offen über Geld reden. Über die ungleiche Verteilung. Über die Angebote der Konkurrenz am Ort. Über eine bessere Verwendung der Rendite, die bislang an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Unsere Tarifbewegung schläft also nicht ein, sie befeuert die Verteilungskonflikte im Betrieb. Unterstützt durch unseren ver.di-Fachbereich.

 
ernd Gräf, Betriebsrat am Uniklinikum Mannheimernd Gräf, Betriebsrat am Uniklinikum Mannheim

CONTRA

Bernd Gräf, Betriebsrat am Uniklinikum Mannheim

Ein Irrweg. Mehr Geld für einzelne Beschäftigungsgruppen behebt den Personalmangel nicht, solange sich die Arbeitsbedingungen nicht bessern. In Krankenhäusern ist die Pflege besser ausfinanziert als andere Berufsgruppen. Es fällt leichter, diese durch eine höhere Vergütung herauszuheben. Das wäre der Pflege zwar gegönnt, alle anderen werden aber die Zeche zahlen, da sicher nicht mehr Geld im System sein wird. Es profitieren diejenigen, die gerade stark oder begehrt sind. Alle anderen verlieren. Doch in komplexen Arbeitsstrukturen zählt jedes Rädchen. Es geht nur gemeinsam. Und nur gemeinsam sind wir stark.

Ebenfalls schlecht: Finanziell bessergestellte Betriebe zahlen leichter mehr, allen anderen laufen die Beschäftigten weg. Betriebs- und Personalräte sollen auf dem Verhandlungsweg mehr erreichen als ver.di in der Tarifrunde? Das wird nur da gelingen, wo es Arbeitgebern in den Kram passt. Dass sich über den Wettbewerb um Fachkräfte eine Spirale nach oben entwickelt, mit besseren Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung, wage ich zu bezweifeln.

Etwas mehr für momentan gefragte Fachkräfte, der Rest guckt in die Röhre? Das ist das Gegenteil von Solidarität.

 

 

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