Private Konzerne im Gesundheits- und Sozialwesen sind Vorreiter. Nicht bei der Erbringung hochwertiger Leistungen. Sondern bei der Beseitigung tariflicher Standards. Aktueller Fall: Median. Der größte private Betreiber von Reha-Einrichtungen will keine Tarifverträge mit ver.di mehr abschließen. Stattdessen möchte er mit den lokalen Betriebsräten oder einzelnen Arbeitnehmer/innen »verhandeln«.
Die Haltung der Beschäftigten im Ambulanten Gesundheitszentrum von Median in Hannover ist eindeutig: Sie wollen einen Tarifvertrag. Bei einer Befragung hat sich die überwältigende Mehrheit dafür ausgesprochen. Und auch im Betriebsrat ist man sich einig: »Tarifverträge abzuschließen, ist Aufgabe der Gewerkschaft.« Die betrieblichen Interessenvertreter dürften schon laut Gesetz nicht über die Lohnhöhe verhandeln, erläutert die Betriebsratsvorsitzende Christiane F.. Sie und ihre Kolleginnen wollen vor allem eins: Gerechtigkeit. Zur Zeit erhalten jüngere Beschäftigte nämlich weniger Geld als ihre älteren Kolleg/innen. Und alle liegen deutlich unter dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD).
Median will Belegschaften spalten
Statt Tarifverträge möchte die Median-Spitze »marktorientierte« Gehaltsverbesserungen. Davon könnten Ärzte und eventuell einige Physiotherapeuten und Pflegekräfte profitieren, andere Beschäftigte, zum Beispiel in Küche und Hauswirtschaft, gingen hingegen leer aus. »Diese Spaltung machen wir nicht mit«, stellt F. klar. »Alle hier leisten einen wesentlichen Beitrag, deshalb müssen alle ordentlich bezahlt werden.«
Um Gerechtigkeit geht es auch den ver.di-Aktiven in der Median-Klinik Berlin-Kladow. »Nur Tarifverträge geben Sicherheit und sorgen dafür, dass für alle die gleichen Bedingungen gelten«, betont der Betriebsratsvorsitzende Sascha Wrobel. Die Behauptung der Manager, Tarifverträge seien zu »unflexibel«, hält er für vorgeschoben. »Der Konfrontationskurs erklärt sich letztlich aus dem Gewinninteresse des Median-Eigentümers Waterland«, ist der Gewerkschafter überzeugt. »Ein Unternehmen ohne Tarifverträge kann der niederländische Finanzinvestor später teurer verkaufen.«
Die Beschäftigten in Kladow haben bereits sieben Mal die Arbeit niedergelegt. Das hat die Geschäftsführung zwar noch nicht an den Verhandlungstisch gebracht. Sie hat aber zumindest einseitige Lohnerhöhungen für einen Teil der Belegschaft verkündet. »Das ist ein Erfolg unseres Drucks, wird uns aber nicht davon abhalten, weiter für rechtssichere Tarifverträge zu kämpfen«, betont Wrobel.
Wohlfahrt nur mit Tarif
Wird Median nicht gestoppt, dürften andere Unternehmen dem Beispiel folgen. Schon jetzt schrecken selbst manche Wohlfahrtsverbände nicht vor Tarifflucht zurück, um ihre Kosten zu drücken. So zum Beispiel die Gesellschaft für Paritätische Sozialarbeit in Wilhelmshaven, wo die Beschäftigten schon fünf Streiktage hinter sich haben. Da sich der Arbeitgeber dennoch weigert, mit ver.di Verhandlungen aufzunehmen, wird nun die Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik vorbereitet (siehe Bericht: www.bit.ly/PariLVN).
Eine angemessene Bezahlung – das ist auch für die weit mehr als eine Million Beschäftigten der Kirchen längst nicht mehr selbstverständlich. Statt per Tarifvertrag werden die Löhne fast überall hinter verschlossenen Türen in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen festgesetzt. Wohin das führt zeigen die »Verhandlungen« in der Diakonie Deutschland: Dort sollen die Löhne insbesondere in der Altenhilfe um bis zu 20 Prozent abgesenkt werden. Eine endgültige Entscheidung stand zu Redaktionsschluss noch aus.
»Der Vorgang zeigt erneut: Der Dritte Weg kircheninterner Lohnfindung ist ein Holzweg«, betont Berno Schuckart-Witsch von ver.di. »Nur gute Tarifverträge schützen die Beschäftigten. Dafür setzen wir uns weiter ein – ob bei privaten Unternehmen, Wohlfahrtsverbänden oder Kirchen.«