Ein kleines Klassenzimmer in Berlin-Moabit. An den Wänden hängen selbst gemalte Plakate: Es geht um pflegerische Fachbegriffe, persönliche Hygiene und den Umgang mit Gewalt. An einer Wand kleben »Steckbriefe« der Teilnehmer/innen des Pflegebasiskurses. Was sie sich erhoffen? »Einen Ausbildungsplatz«, steht neben fast jedem Foto. Warum sie teilnehmen? Mehrere haben »weil ich Menschen helfen will« auf den Zettel geschrieben, teils in etwas holprigem Deutsch. Sie kommen aus Afghanistan, Moldawien, Irak oder Albanien. Sie sind aus ihren Heimatländern geflüchtet. Jetzt wollen sie hier in Deutschland ankommen. Und arbeiten – in der Pflege. Ihre Geschichten sind teilweise erschütternd. Wie die ihres Lehrers Khaled Davrisch.
Als 13-Jähriger floh er mit seinen Eltern und sieben Geschwistern aus Syrien. Auf der Flucht wurde die kurdische Familie getrennt. Die eine Hälfte landete im nordrhein-westfälischen Dorsten, die andere erst in Braunschweig, dann in Berlin. Besuchen konnten sie einander nicht, da Asylbewerber ihren jeweiligen Stadt- oder Landkreis nicht verlassen dürfen. Nach seinem Realschulabschluss sollte Khaled Davrisch zwischen einer Ausbildung als Tischler und Elektriker wählen. Er entschied sich für Letzteres, brach die Ausbildung jedoch nach zwei Jahren ab. »Mir war schon lange klar: Ich will in die Pflege«, sagt der 29-Jährige rückblickend. Das gelang ihm schließlich auch. Der Schlüssel dafür war ein halbjähriger Pflegebasiskurs, den die Berliner Berufsfachschule Paulo Freire Geflüchteten anbietet. Ziel ist, sie auf eine reguläre Pflegeausbildung vorzubereiten. Bei Khaled Davrisch klappte das. Im Anschluss wurde er beim kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes zum Gesundheits- und Krankenpfleger ausgebildet. Danach arbeitete er zunächst in der Psychiatrie, dann sieben Jahre auf einer »Komfortstation«, wo Scheichs und Minister aus der Golfregion für viel Geld versorgt werden. Dann kehrte Khaled Davrisch zurück zum Pflegebasiskurs – als dessen Koordinator.
Jetzt vermittelt er anderen Geflüchteten, worauf es in der Pflege ankommt. Der junge Mann mit Vollbart spricht von »ressourcenorientiertem Arbeiten«, von »Mikrolagerung« und »menschenwürdiger Pflege«. Die Kursteilnehmer/innen sind seit wenigen Tagen in verschiedenen Einrichtungen im Praxiseinsatz. Die meisten haben Positives zu berichten: »Es ist gut. Die Schwestern sind nett, aber sie reden viel zu schnell«, erzählt Arjana. Nur eins findet die junge Albanerin nicht gut: »Ich kann nicht frühstücken, keiner macht Pause.« Khaled Davrisch erklärt das Gesetz: Bei sechs Stunden Arbeit müssen die Beschäftigten 30 Minuten Pause machen können. Doch die Realität sehe oft anders aus.
Das gilt auch für vieles andere. »Die Schwestern und Pfleger machen nicht das, was wir hier gelernt haben«, sagt der Iraner Mahdi ein wenig empört. Khaled Davrisch verweist auf den Personalmangel, den hohen Arbeitsdruck und die Routine, die sich einschleicht. »Ihr müsst versuchen, so engagiert zu bleiben«, appelliert er an die künftigen Pflegekräfte. Mit Joseph aus Kenia demonstriert er vor der Klasse, was es für Patient/innen bedeutet, zum Trinken nicht richtig aufgerichtet zu werden. »Es geht um Menschenwürde«, betont der Kursleiter. »Man muss immer daran denken, wie man selbst es empfinden würde.«
Die Teilnehmer/innen sind voll bei der Sache. Keine Frage: Ziemlich sicher werden aus ihnen einmal engagierte Pflegekräfte – wenn man sie lässt. Derzeit sind 7 der 26 Migrant/innen akut von Abschiebung bedroht. Einer hat gerade eine Ablehnung seines Asylantrags erhalten: Er muss Deutschland binnen sieben Tagen verlassen. »Wer das nicht selbst durchgemacht hat, kann sich kaum vorstellen, wie es ist, wenn man jederzeit abgeschoben werden kann«, sagt Khaled Davrisch. Er selbst war einmal kurz davor. Der Kurs-Koordinator versucht alles, seinen Schützlingen eine Perspektive zu vermitteln. Wenn es gelingt, ist er glücklich. Wenn nicht, leidet er mit. Von den 22 Absolventinnen und Absolventen des letzten Kurses konnten 14 in Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden. »Das macht mich stolz«, sagt Khaled Davrisch.
So geht es auch Hagen Tuschke, der im Vivantes-Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen einen sogenannten SpraBo-Kurs leitet. SpraBo steht für »Sprachkompetenz und Berufsorientierung«. Hier geht es ebenfalls darum, Geflüchtete an die Pflege heranzuführen. »Sie sind unheimlich motiviert und freudvoll, das ist für mich als Pädagoge natürlich toll«, sagt Hagen Tuschke. Zugleich ist er frustriert: von der staatlichen Politik. »Da geben Leute alles, machen sich auf den Weg – und werden abgeschoben.« Bedrückend und traurig findet der Pflegepädagoge das. Und empörend. Damit werde die Arbeit tausender Freiwilliger in der Flüchtlingshilfe zunichte gemacht. Auch im Gesundheitswesen.
Die Frage, warum sie in der Pflege arbeiten möchten, beantworten die Geflüchteten ganz unterschiedlich. Viele haben bereits eine eigene Beziehung zu dem Beruf. So wie Yara. Ihr Vater hat als Pfleger in Syrien gearbeitet und ihr als Kind stets Gutes darüber erzählt. Sie musste vor dem Krieg fliehen. »Ich will hier in Deutschland eine starke Frau sein«, sagt sie. Die 36-jährige Hanaa hat in Bagdad im Krankenhaus gearbeitet. Das ist 15 Jahre her. Jetzt will sie über den Kurs wieder in ihren Beruf finden. Das heißt vor allem: Deutsch lernen. Zenap aus Guinea will Altenpflegerin werden. »Ich liebe es, mit alten Menschen zu arbeiten«, sagt sie. Auch Mohammad, der einst im Irak als Wassertechniker gearbeitet hat, betont: »Ich will den Menschen helfen, jetzt habe ich die Möglichkeit dazu.« Am liebsten würde er Arzt werden. Aber auch als Pflegekraft könne er den Menschen helfen. »Das macht mich glücklich.«
Die Geflüchteten brächten viele Kompetenzen mit, die im deutschen Gesundheitswesen dringend benötigt würden, ist Kursleiter Tuschke überzeugt. »Wir können viel voneinander lernen.« Doch eines sei die Ausbildung von Geflüchteten zu Pflegekräften nicht: die Lösung des Fachkräfteproblems. »Geflüchtete sind nicht bereit, hier zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten als Deutsche«, stellt er klar. Wer die dringend benötigten Fachkräfte auch in Zukunft gewinnen wolle, müsse den Pflegeberuf durch bessere Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung attraktiv machen – für ausländische und deutsche Beschäftigte.
Der ver.di-Gewerkschaftsrat – das höchste Gremium zwischen den Bundeskongressen – hat auf Initiative seines Mitglieds Erich Sczepanski aus dem Fachbereich 3 den DGB-Bundesvorstand aufgefordert, »sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, die Abschiebungen, vor allem nach Afghanistan, zu stoppen«. Zudem soll geprüft werden, ob das Staatsangehörigenrecht wie folgt ergänzt werden kann: »Wer verfolgt ist, genießt Asylrecht. Das gilt auch für Personen, die aus religiösen, ethnischen oder anderen Gründen, wie etwa der sexuellen Orientierung, verfolgt werden. Wer sich um Asyl bewirbt, muss unverzüglich die Möglichkeit erhalten, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen. Wer sich integriert hat und in Ausbildung oder in einem Arbeitsverhältnis steht, hat einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung.«
Berliner Berufsfachschule Paulo Freire im »Zentrum Überleben«
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