Gewalt in der Pflege

»Ich hatte panikartige Attacken«

Annika* ist eine erfahrene Krankenpflegerin, die seit 1990 in einem großen Krankenhaus im Rhein-Neckar-Raum arbeitet. Hier berichtet sie über einen gewalttätigen Übergriff und dessen Folgen.
20.04.2018
Pflegekraft

Achtung: Symbolbild. Die abgebildete Pflegekraft ist nicht die Verfasserin des Textes.

»Es geschah im Frühdienst, gegen 8:45 Uhr. In der Schicht waren außer mir als examinierte Krankenpflegerin nur eine Schülerin, eine Krankenpflegehelferin und eine Pflegehilfskraft des ausgegliederten Serviceteams eingeteilt. Der betreffende Patient war delirant, unruhig und in der aktuellen Situation etwas aufwändiger zu versorgen. Der Blutdruck drohte zu entgleisen und der angeforderte Arzt brauchte noch etwas Zeit. Ich hatte also keine Unterstützung und war alleine mit dem Patienten im Zimmer. Als ich ihm die Flasche reichen wollte, riss er mir diese plötzlich aus der Hand, warf sie durch das Zimmer und stand blitzschnell vor mir. Der starke Mann ging mir sofort an die Kehle, schleuderte mich mehrfach an die Wand und drückte mir dabei die Luft ab. Ich konnte mich nicht befreien. Auch um Hilfe rufen war nicht möglich. Ich war schon ganz blau angelaufen. Wen hätte ich auch rufen sollen, wir sind dauerhaft unterbesetzt. Als ich den Patienten ins Gesicht kratzte, ließ er kurz locker und ich fiel zu Boden. In diesem Moment kam die Servicekraft ins Zimmer. Das war reiner Zufall. Sie hatte Fragen zum Frühstück.

 

Wen hätte ich auch rufen sollen, wir sind dauerhaft unterbesetzt.

Der Patient nutzte die Situation und floh aus dem Zimmer. Später waren dann sechs Personen nötig, um ihn einzufangen und zu fixieren. Später lag dieser Patient vier Tage auf der Überwachungsstation. Man muss sich auf jeden Fall die Frage stellen, ob er auf unserer Normalstation überhaupt richtig war. Aber auf der Wachstation fehlen permanent Betten …

Ich glaube, ich hatte einen richtigen Schock. Trotzdem wurde ich alleine zu den fälligen Untersuchungen geschickt. Leider musste ich in der Zentrale Notaufnahme ziemlich lange warten. Auch da war ich wohl noch unter Schock. Neben Würgemalen und Blutergüssen hatte ich eine Verletzung an der Schulter. Aber schlimmer waren die psychischen Folgen.

Anschließend war ich zunächst einen Monat krankgeschrieben. Zwischenzeitlich hatte ich einen viertägigen Arbeitsversuch. Mir wurde zugesagt, dass ich erst mal nur im Stationszimmer arbeiten kann. Das war allerdings bei der knappen Personalbesetzung nicht wirklich möglich. Ich hatte panikartige Attacken, als ich ins Patientenzimmer musste. Wieder wurde ich krankgeschrieben, jetzt schon über einen längeren Zeitraum. Mittlerweile bin ich im psychologischer Betreuung, das macht mir Mut. Ich merke, wie es besser wird.

 

Was sich ändern müsste? Mehr Personal wäre auf jeden Fall wichtig.

Was sich ändern müsste? Mehr Personal wäre auf jeden Fall wichtig. Man wird solche Situationen vielleicht nicht immer vermeiden können, aber die Chance auf Hilfe wäre einfach größer. Ich will nicht daran denken, was passiert wäre, wenn nicht zufällig die Kollegin vom Serviceteam hereingekommen wäre. Ich hätte den Sicherheitsdienst ohnehin nicht rufen können – und selbst wenn, wäre der erst nach 30 Minuten da gewesen.

Man hat gemerkt, dass keiner recht wusste, wie man mit der Situation umgehen soll – obwohl sowas so oder so ähnlich ja immer wieder passiert. Ich stand unter Schock, da kann man einen eigentlich nicht alleine zu den Untersuchungen schicken. Außerdem wäre eine psychologische Betreuung gleich von Anfang an gut gewesen. Doch unser Betriebspsychologe wurde aus Kostengründen abgeschafft. Es müsste für solche Fälle ein klares Vorgehen geben, das alle kennen. Und ich hätte mir nach dem Vorfall einen Einsatz gewünscht, der erst mal sicher nicht am Bett stattfindet. Am nächsten Tag kam die Pflegedirektion, um sich zu erkundigen. Ich bekam einen Essensgutschein. Etwas mehr echte Anteilnahme auch von den Ärzten oder gar vom Chefarzt wäre sicher hilfreicher – da kam aber nichts.«

*Name geändert

 

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