Flüchtlingsarbeit

»Klagen lohnt sich«

Beschäftigte einer Flüchtlingseinrichtung in Herford wehren sich mit ver.di gegen Jobverlust nach Betreiberwechsel.
21.04.2018
Jens Ortmann, Gewerschaftssekretär im ver.di-Bezirk Ostwestfalen-Lippe

Erneut sollen Beschäftigte einer Flüchtlingseinrichtung in Nordrhein-Westfalen wegen eines Betreiberwechsels ihren Job verlieren, dieses Mal im ostwestfälischen Herford. Was sind die Hintergründe?

Es handelt sich um eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes Nordrhein-Westfalen, deren Betrieb durch die Landesregierung regelmäßig neu ausgeschrieben wird. Für Herford war bis Ende Februar das Unternehmen European Homecare zuständig, ab dem 1.März übernimmt die Weberhaus Nieheim gGmbH, eine Tochter des Kolping-Bildungswerks Paderborn.

Welche Folgen hat das für die Beschäftigten?

Alle haben ihren Arbeitsplatz verloren und mussten sich wie alle anderen Interessent/innen neu auf die Stellen bewerben. Einige wurden von der Weberhaus Nieheim gGmbH eingestellt – allerdings mit erneuter Befristung, neuer Probezeit und zu schlechteren Konditionen. Viele andere wurden nicht eingestellt und stehen jetzt auf der Straße. Das passiert in der ZUE Herford übrigens schon zum zweiten Mal.

Bei einem ähnlichen Fall in Oerlinghausen hat das Arbeitsgericht Detmold kürzlich bestätigt, dass es sich um einen Betriebsübergang handelte. Das will ver.di auch in diesem Fall durchsetzen und unterstützt die Klagen von 17 Beschäftigten. Was bedeutet es für die Betroffenen, wenn der Betriebsübergang anerkannt wird?

Dann haben sie den Anspruch, zu den bisherigen Konditionen weiterbeschäftigt zu werden. Es müssen keine neuen Verträge geschlossen werden, sondern der neue Betreiber tritt quasi in die bestehenden Verträge ein. Um einen Betriebsübergang handelt es sich immer dann, wenn der neue Betreiber das Geschäft fortsetzt – was auch in Herford zweifellos der Fall ist.

Das heißt, dass die Kolleg/innen in Oerlinghausen, die geklagt haben, ihren alten Job wieder haben?

Viele haben sich durch die Zahlung einer Abfindung dazu bewegen lassen, ihre Klagen zurückzuziehen. Darauf setzen die Arbeitgeber wohl auch. Doch drei Kolleginnen haben bis zum Ende durchgehalten und werden wieder zu den alten Konditionen in der Einrichtung eingesetzt. Sie haben gezeigt: Es lohnt sich, für seine Rechte einzustehen. Schlimm ist, dass das überhaupt nötig ist. Die Landesregierung muss hier endlich handeln.

Was muss sie ändern?

Gute Arbeit muss angemessen bezahlt werden. Deshalb muss die Regierung bei Ausschreibungen sicherstellen, dass Tarifverträge eingehalten und die Beschäftigten bei einem Betreiberwechsel übernommen werden. Dann würde die Abwärtsspirale gestoppt, die sich mit jeder neuen Vergabe weiterdreht. Es würde sich derjenige Bewerber durchsetzen, der die besseren Konzepte und die höchste Qualität anbietet. Stattdessen wird im Moment Lohndumping mit öffentlichen Aufträgen belohnt. Davon profitieren die Unternehmen, aber auch die Landes- und Bezirksregierungen, die Kosten sparen. Dieser Skandal muss ein Ende haben.

Die Geschäftsführung des Kolping-Bildungswerks behauptet, es gebe kein Lohndumping. Man habe in den sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien vielmehr eine Vergütung festgelegt, die sich am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) orientiert. Ist das so?

Nein. Die Entgelte in diesen Arbeitsvertragsrichtlinien liegen um bis zu 27 Prozent unter dem Niveau des TVöD. Ein Sozialarbeiter in der höchsten Erfahrungsstufe hat über 1.000 Euro weniger im Monat. Ich nenne das in der Tat Lohndumping.

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hat sich Mitte März mit Beschäftigten aus Herford getroffen und will sich in Gesprächen mit Landespolitikern für sie einsetzen. Warum ist das Thema der Gewerkschaft so wichtig?

Es muss für ver.di ein wichtiges Thema sein, weil es das auch für unsere Gesellschaft insgesamt ist. Viele Menschen sind aus Not nach Deutschland geflohen. Sie zu betreuen, ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Diejenigen, die diese Arbeit machen, müssen davon leben können und anständige Arbeitsbedingungen haben. Die Geflüchteten brauchen Stabilität und Sicherheit. Wie soll das jemand vermitteln, der bei jeder neuen Ausschreibung um seine Existenz bangen und sich von einem schlecht bezahlten, befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten hangeln muss? Das ist unwürdig und steht in keinem Verhältnis zu der Bedeutung dieser Arbeit für unsere Gesellschaft. Zudem steht diese Auseinandersetzung exemplarisch für eine Vergabepraxis, die auch in anderen Branchen schlimme Auswirkungen hat. Ähnliches läuft ja beispielsweise im Rettungsdienst, wo ebenfalls oft der billigste Anbieter zum Zuge kommt. Es kann nicht sein, dass die öffentliche Hand im selbst ernannten »Land der fairen Arbeit« Lohndumping mit Aufträgen belohnt. All das sind gute Gründe dafür, diesen Konflikt politisch hoch aufzuhängen.

 

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