Bei einigen privaten Firmen im Gesundheits- und Sozialwesen lässt sich die Geschäftsidee auf einen Begriff reduzieren: Ausbeutung. Das gilt für viele der Vermittlungsagenturen osteuropäischer Pflegekräfte, die pflegebedürftigen Menschen und ihren Familien eine »24-Stunden-Pflege« versprechen – für im Durchschnitt 1.800 Euro im Monat. Und von diesem Betrag kommt oft nur ein Bruchteil bei den Pflegerinnen selbst an. Die (fast ausschließlich) Frauen arbeiteten »in großer Isolation, 24 Stunden täglich sind sie auf Abruf«, berichtet Silwia Timm vom Projekt »Faire Mobilität«. In einigen Fällen erinnere das an Zwangsarbeit. Das vom Deutschen Gewerkschaftsbund getragene Projekt unterstützt ausländische Pflegekräfte dabei, sich gegen ausbeuterische Praktiken zur Wehr zu setzen.
2012 wurden die Kliniken im Salzlandkreis in der Nähe von Magdeburg an die Schweizer Ameos-Gruppe verkauft. Und jetzt geht es dort drunter und drüber. Fast täglich meldeten sich zuletzt Stationen von der Notfallversorgung ab: allein im ersten Quartal 2018 über 200 Mal. Lokalen Medien zufolge mussten Notfallpatient/innen teilweise stundenlang auf die Aufnahme warten. Menschen seien nachts ans Bett gefesselt worden und mussten einnässen, weil sie keine Hilfe erhielten. Selbst der Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich inzwischen mit den Zuständen in den Kliniken befasst, der Ruf nach deren Rekommunalisierung wird lauter. Die Personalbesetzung sei auch im Vergleich zu anderen Krankenhäusern »eine Katastrophe«, erklärten Krankenpfleger/innen in der Presse. Ob hier ein Zusammenhang dazu besteht, dass die Ameos-Gruppe von ihren Einrichtungen eine jährliche Rendite von 15 Prozent erwartet?
Privaten Unternehmen geht es vor allem ums Geld. Doch das bedeutet auch: Genau hier kann man sie unter Druck setzen, um Verbesserungen für die Kolleginnen und Kollegen zu erreichen. Erfolgreich macht das derzeit der Betriebsrat des Helios-Klinikums Salzgitter. Er wehrt sich dagegen, dass seine Mitbestimmungsrechte bei der Arbeitszeitgestaltung permanent ignoriert werden. Die Personaldecke ist so kurz, dass die Dienstpläne ohne Zustimmung der Interessenvertretung immer wieder kurzfristig geändert werden. Im April verurteilte das Arbeitsgericht Braunschweig Deutschlands größten privaten Klinikbetreiber deshalb zur Zahlung eines Ordnungsgelds von 135.000 Euro, weil er allein zwischen November 2014 und Februar 2015 in 27 Fällen gegen Mitbestimmungsrechte verstoßen hatte. »Helios hat lange ohne ernsthaften Verhandlungswillen nur auf Zeit gespielt. Diese Ordnungsgelder sind deshalb erst der Anfang einer langen Welle, mit der der Betriebsrat jetzt nachlegen könnte«, kommentierte ver.di-Sekretär Jens Havemann das Urteil. »In den anstehenden Gesprächen mit dem Betriebsrat kann sich Helios überlegen, ob das Geld nicht doch besser in zusätzlichem Personal angelegt ist, mit dem dann auch die Versorgung der Patienten besser funktioniert.«
Aus viel Geld noch viel mehr Geld machen – und zwar schnell. Das ist die Devise von Finanzinvestoren, die das Gesundheits- und Sozialwesen als profitable Anlagequelle entdeckt haben. Vor allem sogenannte Private-Equity-Fonds drängen in den Markt. Sie kaufen Unternehmen, steigern ihren Wert durch Zukäufe und Rationalisierung und verkaufen sie nach durchschnittlich vier bis fünf Jahren mit erheblichem Gewinn weiter. Welche Folgen das für die Beschäftigten hat, zeigt das Beispiel Median: Seit der niederländische Fonds Waterland den Reha-Konzern Ende 2014 übernommen hat, geht es zur Sache: Das Management hat sämtliche Tarifverträge mit ver.di gekündigt. So können die Löhne massiv gedrückt werden. Auch in der Altenpflege sind Finanzinvestoren auf Expansionskurs. Oft geht es dabei gar nicht um Pflege, sondern um Immobilien, die in teuren Innenstadtlagen meistbietend verkauft werden können. Die alten Menschen müssen an den Stadtrand ziehen oder die Einrichtung wird ganz geschlossen. Vor diesem Hintergrund preist die Beratungsgesellschaft McKinsey den Gesundheitsmarkt als »goldene Möglichkeit für Private Equity«. Die Gewinnspannen seien höher als in allen anderen Sektoren.
Expansion und Profitmaximierung – das sind die Leitlinien des Reha-Konzerns Celenus. Dessen Eigentümer, die französische Orpea-Gruppe, ist mit einem operativen Ergebnis von etwa 13 Prozent des Umsatzes (2016) hoch profitabel – und entzieht dem Gesundheitswesen somit jedes Jahr hunderte Millionen Euro. Tarifverträge stören da nur. So versucht das Unternehmen aktuell, einen Entgelt-Tarifvertrag in der Klinik an der Salza in Bad Langensalza zu verhindern. Und das mit brachialen Methoden: Die Gewerkschafterinnen Carmen Laue und Heike Schmidt, die seit Jahrzehnten in der Klinik arbeiten, wurden fristlos gekündigt. Fünf Beschäftigte der Physiotherapie wurden als »Arbeitskampfabwehrmaßnahme« ausgesperrt, darunter auch die Betriebsratsvorsitzende. Doch die Beschäftigten wehren sich. Vor Arbeitsgerichten, mit öffentlichen Aktionen, seit dem 2. Juli mit einem unbefristeten Streik. Die Gekündigten werden von ver.di finanziell unterstützt. Aus der ganzen Republik kommen Solidaritäts-Fotos und -Botschaften. »Das tut einfach gut«, sagt die Physiotherapeutin Heike Schmidt. Und ihre Kollegin Carmen Laue ergänzt: »Wir sind durch all die Attacken der vergangenen Monate nur noch enger zusammengerückt.«