Wenn wir mehr Kolleg*innen und bedarfsgerechte Personalstandards fordern, antworten viele Arbeitgeber: »Wir können uns ja keine Fachkräfte backen.« Soll heißen: Wir müssen die Zustände weiter ertragen, denn angeblich gibt es nicht genug Menschen, die die so wichtige Arbeit im Gesundheits- und Sozialwesen machen wollen. Dabei können wir uns durchaus Fachkräfte backen – dafür braucht es nur ein paar wichtige Zutaten.
Wäre der Teilzeitanteil in der Altenpflege so hoch wie im Gesamtdurchschnitt aller Beschäftigten (34,5 Prozent), gäbe es in der ambulanten und stationären Pflege 125.000 Vollzeitbeschäftigte mehr. So hat es das Bundeswirtschaftsministerium bereits 2012 vorgerechnet. Dieses enorme Arbeitskräftepotenzial kann unter zwei Voraussetzungen gehoben werden: Es werden genug Vollzeitstellen angeboten; und die Arbeitsbedingungen lassen es zu, auf Dauer in Vollzeit zu arbeiten.
Etliche Pflegekräfte, die ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben, könnten zurückgewonnen werden. Laut »Pflege-Comeback-Studie« des Instituts Pysma Health & Care gilt das für jede zweite ehemalige Pflegekraft – ein Potenzial von 120.000 bis 200.000 zusätzlichen examinierten Pfleger*innen. Doch sie nennen Bedingungen: vor allem gute Arbeitsbedingungen, mehr Personal, bessere Bezahlung und weniger Zeitdruck.
Mancherorts verdienen examinierte Altenpfleger*innen in Vollzeit weniger als 2.000 Euro brutto im Monat. Wer so wenig bezahlt, darf sich über einen Mangel an Arbeitskräften nicht wundern. ver.di fordert, dass Pflegefachkräfte mindestens 3.000 Euro brutto verdienen. Ein flächendeckender Tarifvertrag in der Altenpflege kann Schluss machen mit dem Lohndumping kommerzieller Anbieter. Wer einen Tarifvertrag hat, verdient durchschnittlich 6,6 Prozent (Männer) bzw. 9,2 Prozent (Frauen) mehr als Beschäftigte ohne Tarifbindung. Gute Tarifverträge machen die Berufe attraktiv. Dafür streitet ver.di.
Kinderpfleger*innen in Kitas muss die Qualifizierung zu staatlich anerkannten Erzieher*innen ermöglicht werden. In der Altenpflege fördert die Bundesagentur für Arbeit (BA) Weiterbildungen für volle drei Jahre. Auch deshalb werden jährlich rund 7.000 Beschäftigte zu Altenpfleger*innen umgeschult. In der Krankenpflege, wo nur zwei Jahre gefördert werden, sind es laut BA nur etwa 300 pro Jahr.
Mit fast 20 Tagen im Jahr sind Gesundheits- und Krankenpfleger*innen laut Techniker Krankenkasse weitaus häufiger krankgeschrieben als Beschäftigte anderer Berufe (durchschnittlich 13,7 Ausfalltage). In der Krankenpflege können sich 77 Prozent, in der Altenpflege 80 Prozent nicht vorstellen, ihre Tätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter auszuüben (DGB-Index Gute Arbeit 2018). Die Arbeitgeber haben die Pflicht, die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen. Tun sie das, haben sie auch mehr Arbeitskräfte.
Die Zahl der Kita-Plätze wird immer weiter erhöht. Das ist gut so. Doch die Ausbildung muss Schritt halten. Sonst geht der Ausbau zu Lasten der Qualität. Die Ausbildungskapazitäten müssen sowohl in der frühkindlichen Bildung als auch im Gesundheitswesen erheblich erweitert, das Schulgeld überall abgeschafft und die Ausbildung tariflich vergütet werden. Schmalspurausbildungen helfen nicht. In der Krankenpflege wurde die Zahl der Ausbildungsplätze jahrelang abgebaut. Das rächt sich jetzt.
Etwa jeder vierte Pflege-Azubi bleibt laut Statistischem Bundesamt ohne Abschluss. Schätzungsweise 10 bis 15 Prozent fallen durch die Abschlussprüfung. Dadurch gehen jedes Jahr über 13.000 Pflegefachkräfte verloren. Mehr Zeit für Praxisanleitung, gute Bedingungen in der Schule und individuelle Betreuung könnten diese Zahl verringern.
Statt am Patientenbett sind tausende Pflegekräfte in Kliniken und bei Krankenkassen mit kodieren, abrechnen und Controlling im Rahmen des Fallpauschalen-Systems (DRG) beschäftigt. Nach groben Schätzungen sind mehrere zehntausend Pflegefachkräfte mit diesen, für die Krankenversorgung unnötigen Aufgaben betraut. Ein Potenzial, das man durch die Abschaffung der Fallpauschalen und die Umstellung auf ein budgetfinanziertes System heben könnte – einmal abgesehen von den vielen weiteren Verbesserungen, die das mit sich brächte.
In der Altenpflege werden jetzt mehr Arbeitskräfte gebraucht, nicht irgendwann. Deshalb sollten die 1,3 Milliarden Euro im Pflegevorsorgefonds für ein Sofortprogramm verwendet werden, mit dem 40.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden könnten.
Wir dulden nicht länger, dass auf unsere Kosten zu wenig Beschäftigte im Einsatz sind. Wenn nicht genug Personal für eine sichere Pflege und Versorgung zur Verfügung steht, darf Leistungseinschränkung kein Tabu sein. Wir lassen uns nicht länger moralisch erpressen. Patient*innen und Pflegebedürftige werden nicht dadurch gefährdet, dass Tarifverträge und Arbeitsschutzgesetze eingehalten werden, sondern durch den täglichen Personalmangel.
Flugblatt »Wir backen uns Fachkräfte« zum Download: bitly.com/FK-backen