Reportage

»Nur mit starkem Team zu schaffen«

13.06.2019

Sie sorgen dafür, dass Menschen mit Nierenversagen weiterleben können. Doch Sparmaßnahmen belasten die Arbeit. Im KfH-Nierenzentrum in Berlin-Neukölln sind die Pflegekräfte für immer mehr Patient*innen zuständig, gleichzeitig steigt der Pflegebedarf | Kathrin Hedtke

 
Astrid V. im KfH-Nierenzentrum in Berlin-Neukölln

Vor dem schicken Neubau des KfH-Nierenzentrums im Berliner Stadtteil Neukölln rollen um 7 Uhr die Krankentransporte an. Drinnen eilt Berenic Z., 55, von Bett zu Bett, packt Schläuche aus, schaltet die Maschinen ein, macht alles startklar für die Dialyse. Als die ersten Patientinnen und Patienten ins Zimmer drängen, ruft die Medizinische Fachangestellte fröhlich: »Guten Morgen!« Doch mehr als ein paar Worte sind nicht drin. Die Zeit drängt. Um 7.45 Uhr beginnt der Anschluss. »Bis dahin müssen wir alles gerockt haben.«

Besondere Vertrautheit

Los geht es mit Hans Berger (Name von der Redaktion geändert): Der 61-Jährige hat als Kind bei einem Unfall eine Niere verloren, später versagte auch die zweite Niere. Jetzt übernehmen Maschinen ihre Aufgabe, filtern Giftstoffe und Wasser aus dem Körper. »Sonst würde ich sterben«, sagt Hans Berger. Jeden zweiten Tag muss er zur Dialyse. »Egal, ob Weihnachten oder Silvester.« Er schiebt den Ärmel hoch, Z. streift Handschuhe über, desinfiziert den Arm und piekst in die Haut, der Schlauch füllt sich mit Blut. Die Pflegerin überprüft, ob der Druck stimmt und die Punktionsnadeln richtig liegen, dann beginnt die Dialyse. Jetzt heißt es für Hans Berger still liegen und warten.

 
Starkes Team: Astrid V. und Berenic Z.

Die Patient*innen plaudern ein paar Worte. »Über alles mögliche«, sagt Hans Berger. »Nur nicht über Politik, sonst fangen wir an zu streiten.« Sie kennen sich seit Jahren. Für viele seien es die einzigen sozialen Kontakte, sagt Pflegekraft Astrid V.. Die meisten lebten alleine oder in Pflegeheimen. Diese Vertrautheit mache ihren Beruf so besonders – und mitunter auch so anstrengend. »Wir sind so etwas wie eine Familie.« Allerdings seien chronisch Kranke grundsätzlich sehr anspruchsvoll und unzufrieden. Das sei ihrer Krankheit geschuldet, fügt V. hinzu. »Für sie gibt es keine Heilung.« Sofern sie nicht transplantiert werden, müssen sie ihr Leben lang zur Dialyse. Im Schnitt dreimal pro Woche, jeweils vier bis fünf Stunden. »Manchmal habe ich die Schnauze voll«, gesteht Hans Berger.

 

Belastung steigt

Über den Flur spaziert ein Mann in Karojacke und winkt gutgelaunt herüber. »Da freut man sich, wenn jemand so fit ist«, sagt Z.. »Das ist die Ausnahme.« Die Patient*innen würden immer pflegebedürftiger, berichtet V.. Grund sei, dass dank des medizinischen Fortschritts viele Menschen erst im hohen Alter zur Dialyse müssten. Dadurch steige fürs Team die Arbeit. Immer mehr Patient*innen seien dement, einige bräuchten Hilfe beim Toilettengang.

Sie sei sehr gerne Krankenschwester, betont V.. Auch mit Stress komme sie gut klar. Aber die Belastung werde immer größer. War vor ein paar Jahren noch eine Fachkraft für vier Patient*innen zuständig, so ist sie jetzt alleine für sechs verantwortlich. »Bei gleichzeitig steigendem Pflegeaufwand.«

 
Die Pflegekräfte setzen das Konzentrat für die Dialyse selbst an. Dabei gibt es auch vollautomatische Mischanlagen.

Wichtig sei, dass die Pflegekräfte den Gesundheitszustand ihrer Patientinnen und Patienten genau im Blick haben: Hautfarbe, Blick, Sprache und so weiter. »Es gilt, einen akuten Notfall zu vermeiden«, betont die 52-Jährige. Eine Dialyse sei für den Körper so anstrengend wie ein Marathon. Manchmal müssen sich Patient*innen übergeben oder ihr Kreislauf sackt zusammen. Schlimmstenfalls wird jemand ohnmächtig oder muss sogar reanimiert werden. In Berlin-Neukölln kommt erschwerend hinzu, dass viele Patient*in-nen kaum Deutsch sprechen. »Das ist für uns eine tägliche Herausforderung«, sagt Z..

Während die Maschinen arbeiten, essen die Patientinnen und Patienten etwas, schlafen oder gucken TV-Serien. Die Pflegekräfte dokumentieren derweil sämtliche Werte, »doppelt und dreifach«, bereiten die Arztvisite vor, verabreichen Medikamente, schließen die Schläuche eines Patienten ab, weil er auf Toilette muss, und danach wieder an.

Zwischendurch eilt Z. ins Erdgeschoss, um ein Konzentrat in einem riesigen Tank anzusetzen. Für die Blutreinigung darf kein Leitungswasser verwendet werden. »Diese Mischanlage gibt es auch vollautomatisch«, berichtet sie. »Aber wir sollen das nebenbei mitmachen. Aus Kostengründen.«

 
Alle Hände voll zu tun: Früher war eine Fachkraft für vier Patient*innen zuständig, heute für sechs.

Gleiche Arbeit, weniger Lohn

Bis vor einigen Jahren arbeiteten im Nierenzentrum nur Pflegekräfte, dann wurden – zur Unterstützung – auch Medizinische Fachangestellte eingesetzt. Ihr Anteil werde immer größer, sagt Z.. »Als reine Sparmaßnahme.« Primär als Arzthelfer*innen ausgebildet, werden sie auf der Dialysestation ausgiebig angelernt und belegen zusätzlich einen Fachkurs, danach leisten sie exakt dieselbe Arbeit, verdienen aber mehrere hundert Euro weniger pro Monat. Hilfskräfte kümmern sich ums Essen oder bereiten die Betten. »Wir können Entlastung sehr gut gebrauchen«, betont V.. Aber die Hilfskräfte würden nicht »on top« eingestellt, sondern vom Pflegeschlüssel abgezogen. Dadurch steige die Belastung fürs Pflegepersonal nur noch mehr. Immer mehr Kolleg*innen reduzierten ihre Arbeitszeit, so wie sie selbst: »Damit verzichte ich auf Geld. Aber das ist auch meine Burnout-Prophylaxe.« Erst kürzlich hat wieder eine neue Kollegin gekündigt, weil ihr die Anforderungen zu hoch waren. Trotzdem kämen viele in der Regel gerne zur Arbeit, sagt die 52-Jährige. Der Grund: »Wir haben ein starkes Team. Anders wäre das nicht zu schaffen.« 

 

 

Hintergrund

Das Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation (KfH) ist mit mehr als 200 Einrichtungen und etwa 7.000 Beschäftigten Deutschlands größter privater Betreiber von Dialysezentren. In Berlin gibt es sieben Zentren. Alleine in Neukölln werden 210 Patientinnen und Patienten ambulant betreut. Das Team arbeitet in drei Schichten. Für die nicht- ärztlichen Beschäftigten gilt ein bundesweit einheitlicher Konzerntarifvertrag.

 

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