COVID-19

Im falschen System relevant

Die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen setzen sich dafür ein, dass in dieser Krise niemand zurückbleibt. Sie sind systemrelevant. Doch das System ist falsch. Ob in Krankenhäusern, in der Altenpflege, in Kitas oder anderen Einrichtungen: es läuft Grundlegendes schief.
12.06.2020
Physiotherapeutin in einem Krankenhaus: Im falschen System relevant

Krankenhäuser: Der Fehler liegt im DRG-System

Die deutschen Krankenhäuser haben die erste Infektionswelle erfolgreich überstanden. Das aber nicht wegen, sondern trotz des Finanzierungssystems über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG). Der Staat hat die Entscheidungen während der Pandemie nicht dem Markt überlassen, sondern das konkurrenzbasierte Preissystem in Teilen außer Kraft gesetzt. ver.di fordert, es vollständig auszusetzen und dauerhaft zu ersetzen.

 
Krankenpfleger mit Mundschutz

»Der Fehler liegt im System«, betont Grit Genster, Leiterin des Bereichs Gesundheitspolitik beim ver.di-Bundesvorstand. »In der Gesundheitsversorgung muss es immer um die bestmögliche Behandlung der Patientinnen und Patienten gehen, nicht darum, welche Erlöse man mit ihnen erzielen kann.« Sie plädiert für ein »am tatsächlichen Versorgungsbedarf orientiertes Finanzierungssystem«. Bei wirtschaftlicher Betriebsführung müssten den Krankenhäusern alle anfallenden Kosten refinanziert werden, inklusive notwendiger Vorhaltekosten.

Kitas: Mehr Personal und Aufwertung

 

Wie wichtig es ist, dass die Profis der frühkindlichen Bildung ihre Arbeit machen können, ist in den vergangenen Wochen vielen bewusst geworden. Personell gut ausgestattete Kitas sind essentiell. Doch 92 Prozent der Einrichtungen mussten schon vor der Pandemie mindestens zeitweise mit zu wenig Personal auskommen. Nach Berechnungen des Deutsche Jugendinstituts werden 2025 bis zu 1,2 Millionen Kitaplätze und über 300.000 Fachkräfte zusätzlich fehlen – wenn sich nichts Grundlegendes ändert. Nötig ist eine finanzielle Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst. Mit den Streiks von 2009 und 2015 hat ver.di erste Schritte in diese Richtung erreicht. Weitere sind nötig.

Notwendig sind auch bundesweit einheitliche und bedarfsgerechte Fachkraft-Kind-Schlüssel. Derzeit gibt es von Land zu Land riesige Unterschiede. Es darf aber nicht sein, dass die Qualität frühkindlicher Bildung vom Wohnort abhängt. Die empfohlenen Betreuungsrelationen (bei denen Abwesenheitszeiten wegen Urlaub, Krankheit oder Fortbildung berücksichtigt sind) von 1:2 für unter Einjährige, 1:3 für Kinder bis zum dritten Lebensjahr und 1:9 ab dem dritten Lebensjahr werden nirgendwo erreicht. Auch hier braucht es systematische Veränderungen.

Altenpflege: Solidarische Pflegegarantie

 
Fürsorgende Hände in der Altenpflege

Die Altenpflege braucht mehr Personal und eine flächendeckende tarifliche Bezahlung. Doch mit dem derzeitigen System der Pflegeversicherung würde dies dazu führen, dass die Eigenbeiträge pflegebedürftiger Menschen immer weiter steigen. Schon jetzt zahlen sie in stationären Einrichtungen im Durchschnitt 662 Euro im Monat allein für pflegebedingte Kosten.

Um zu verhindern, dass alte Menschen nach einem langen Arbeitsleben in die Sozialhilfe rutschen, braucht es die solidarische Pflegegarantie: Eine Vollversicherung, die alle Pflegerisiken vollständig abdeckt. Und eine Finanzierung, die alle Einkommensarten solidarisch einbezieht. Ein Konzept dafür hat der Bremer Professor für Gesundheitsökonomie, Heinz Rothgang, vorgelegt.

Bedarf statt Profit: Zurück in öffentliche Hand

 
Das Gesundheits- und Sozialwesen gehört nicht in die Hand profitorientierter Konzerne.

Als die Bundesregierung die Krankenhäuser aufforderte, planbare Operationen zu verschieben, um Betten für Covid-19-Patient*innen frei zu machen, stellten sich einige kommerzielle Träger zunächst quer. Das zeigt erneut: Ein verantwortungsvolles Verhalten ist von profitorientierten Unternehmen nicht zu erwarten. Manche Klinikbetreiber meldeten sogar mitten in der Pandemie Kurzarbeit für Pflegekräfte und Ärzt*innen an. Geht´s noch?

Auch Finanzinvestoren haben das Gesundheits- und Sozialwesen für sich entdeckt, speziell die Altenpflege und die Rehabilitation. Bei den Krankenhäusern bilden sich mit Helios und Asklepios große Konzerne, die kommunale und freigemeinnützige Träger mit ihrer Finanzkraft an die Wand drücken. Dann entscheiden – wie im aktuellen Fall der Rhön-Übernahme die Eigentümer von Asklepios, Rhön und B. Braun – ein paar reiche alte Männer über die Gesundheitsversorgung und Beschäftigungssituation von Tausenden.

Das Gesundheits- und Sozialwesen gehört nicht in die Hand profitorientierter Konzerne. Es muss demokratisch darüber entschieden werden, welche Dienstleistungen vorgehalten und kostendeckend refinanziert werden. Damit das Gemeinwohl im Zentrum steht und Steuergeld und Sozialversicherungsbeiträge nur dafür ausgegeben werden, wofür sie gedacht sind: eine gute Versorgung.

 

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