Nachdem Erika Radisavljevic vor einigen Jahren aus Serbien nach Deutschland kam, fand sie 2016 einen Job als Reinigungskraft beim Klinikum Ingolstadt. Zumindest dachte sie das. Erst später wurde ihr klar, dass sie stattdessen einen Anstellungsvertrag mit der klinikeigenen Servicegesellschaft DLGM geschlossen hatte – zu deutlich schlechteren Konditionen als ihre vor 2016 im Klinikum angestellten Kolleginnen und Kollegen. »Wir hatten einen niedrigeren Grundlohn, geringere Zuschläge, längere Arbeitszeiten, keine betriebliche Altersvorsorge. Das hat mich empört, aber was konnten wir machen?«
2018 ergriff ver.di die Initiative und lud die Servicekräfte zu einer Versammlung ein. »Ich war begeistert, dass jemand auf unserer Seite steht und bin noch auf dem Treffen ver.di beigetreten«, erzählt Radisavljevic. Seither hat sich im Leben der heute 54-Jährigen vieles verändert. Sie gibt Interviews, sitzt in Verhandlungen mit den Arbeitgebern, spricht auf Versammlungen – und kann sich wie all ihre Kolleg*innen über deutliche Lohnerhöhungen freuen. Denn ab dem 1. Januar 2021 sind alle Servicebeschäftigten wieder Teil des Klinikums – bezahlt nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).
»Der Grundstein für diesen Erfolg wurde bereits vor fünf Jahren gelegt«, blickt der Betriebsratsvorsitzende Raimund Mayr zurück. Damals konnten wir mit einer Protestaktion von 250 Kolleginnen und Kollegen erreichen, dass alle bis 2016 eingestellten Servicekräfte im TVöD blieben.« Die Benachteiligung der Neueingestellten konnten Betriebsrat und Belegschaft zwar nicht verhindern. Die Ungleichbehandlung war aber stets ein schlagendes Argument, mit dem die Betroffenen in Öffentlichkeit und Politik Unterstützung fanden. Ebenfalls wichtig: Der Betriebsrat des Klinikums sah sich weiterhin für alle Beschäftigten zuständig, egal ob im Mutterhaus oder der Dienstleistungstochter DLGM.
»Dass der Betriebsrat immer hinter uns stand, war ganz wichtig«, betont Radisavljevic. Auf einer Betriebsversammlung im November 2018 fasste sich eine Kollegin ein Herz und rechnete dem Management detailliert vor, was es bedeutet, mit so wenig Geld auskommen zu müssen. Sie zeigte auf, dass auch Vollzeitkräfte nach jahrzehntelanger Arbeit in der Altersarmut landen. »Alle, inklusive der anwesenden Aufsichtsräte, waren schockiert«, berichtet Betriebsrat Mayr. »Dann erzählte eine Führungskraft, dass Leute im Bewerbungsgespräch wegen der miesen Bezahlung abwinken oder bald wieder aufhören, dass ständig neue Kollegen eingearbeitet werden müssen und Qualität und Motivation leiden.« Nach dieser »denkwürdigen Versammlung« beschloss der Aufsichtsrat, den Beschäftigten zehn Prozent mehr Geld zu geben – auch, um dem gewerkschaftlichen Engagement der Beschäftigten den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Für ver.di war das allerdings nicht das Ende, sondern der Anfang der Bewegung. »Wir haben uns Ende 2018 zusammen vorgenommen, in den folgenden Monaten stärker zu werden, um mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 Verbesserungen durchzusetzen«, erklärt die ver.di-Sekretärin Arina Wolf. »Wie in der Bewegung für mehr Personal und Entlastung im Krankenhaus haben wir auf drei Schienen agiert: im Betrieb, mit Tarifforderungen und gegenüber der Politik.« Zu einer Frühstücksaktion im Februar kamen über 100 Beschäftigte, am Frauentag und zu anderen Gelegenheiten zeigten die Kolleg*innen öffentlich Flagge und kamen immer wieder in die örtlichen Medien. »Im Betrieb sind wir ganz viel rumgelaufen und haben versucht, den Leuten die Augen zu öffnen«, sagt Radisavljevic. »Nicht alle, aber viele haben mitgemacht.« Die Zahl der ver.di-Mitglieder vervierfachte sich, so dass inzwischen etwa ein Drittel der Belegschaft gewerkschaftlich organisiert ist.
Entscheidend war allerdings die heiß umkämpfte Oberbürgermeisterwahl. Mit einem Transparent, auf dem viele Beschäftigte für die Angleichung an den TVöD unterschrieben hatten, gingen die Aktivist*innen auf so ziemlich jede Wahlveranstaltung und konfrontierten die Kandidat*innen mit ihrer Forderung. Der SPD-Kandidat Christian Scharpf, der den OB-Wahlkampf später für sich entschied, versprach öffentlich, sich für die Servicekräfte einzusetzen. So taten es auch alle anderen Kandidat*innen, abgesehen von CSU und FDP. Auch nach der Wahl wurden sie von den ver.di-Aktiven immer wieder an ihre Versprechen erinnert. »Vor der entscheidenden Stadtratssitzung am 11. November habe ich alle Abgeordneten persönlich und handschriftlich angeschrieben, auch das hatte eine Wirkung«, sagt Radisavljevic. »Und als der Stadtrat am Ende einer turbulenten Sitzung schließlich entschied, die Kosten der TVöD-Angleichung zu tragen, kamen mir die Tränen.«
Mit dem Beschluss ist klar: Die Servicebeschäftigten werden zum Jahreswechsel vom Klinikum Ingolstadt übernommen und in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes übergeleitet. Jetzt müssen nur noch die Details der Überleitung ausgehandelt werden. Dabei will ver.di nicht nur die Anerkennung der Beschäftigungsdauer und die korrekte Eingruppierung durchsetzen, sondern unter anderem auch ein Verbot betriebsbedingter Kündigungen. Der ver.di-Verhandlungsführer Robert Hinke ist optimistisch, dass diese Verhandlungen nun rasch und zur Zufriedenheit aller abgeschlossen werden.
»Die Rückführung ins Klinikum und die Bezahlung nach TVöD sind ein toller Erfolg, der vor allem der Beharrlichkeit der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken ist«, sagt Hinke. Dass das geklappt hat, führt er auch auf besondere Bedingungen in Ingolstadt zurück. Hierzu zählt er etwa den erwarteten knappen Ausgang der Wahlen für das Amt des Oberbürgermeisters, den erfolgten politischen Machtwechsel und die vergleichsweise gute Haushaltslage der Stadt. »Es war aber definitiv das kluge strategische Vorgehen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort, das diesen Erfolg ermöglicht hat«, betont Hinke. »Doch es wird nicht in allen Servicegesellschaften möglich sein, sofort den TVöD durchzusetzen«, gibt der Gewerkschafter zu bedenken, der aktuell auch über eine Weiterentwicklung des Servicetarifvertrags bayerischer Krankenhäuser verhandelt. »Wir haben in jüngerer Zeit – etwa in Augsburg und München – Tarifflucht durch Ausgründungen verhindert. Unsere Erfahrungen in Fürth und Ingolstadt zeigen zudem: Wenn sich Beschäftigte für ihre Belange organisieren, können sie viel bewegen – mit gewerkschaftlichem Engagement und einem langen Atem. Den bringen wir auch anderswo mit!«
Daniel Behruzi
Landesfachbereichsleiter Bayern
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