TrÖD 2020

Gekämpft in schwierigen Zeiten

09.12.2020

Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst: Mit kreativen Aktionen und Streiks haben die Beschäftigten die Eskalationsstrategie der Arbeitgeber durchkreuzt.

 
Bei den Streiks vorne mit dabei: die Beschäftigten aus dem Gesundheits- und Sozialwesen

Die Arbeitgeber haben offenbar darauf spekuliert, dass die Beschäftigten bei Bund und Kommunen in Zeiten der Corona-Pandemie nicht kämpfen könnten. Sie wiesen das Angebot einer Vereinbarung mit kurzer Laufzeit zurück, forderten einen Abschluss mit langfristigen Reallohnverlusten und sorgten so für eine Eskalation, die sie nachher lautstark beklagten. Doch sie sind gescheitert, weil Beschäftigte überall in Deutschland ihre Arbeit niederlegten und Corona-gerecht auf die Straße gingen. Ganz vorne mit dabei: die Kolleg*innen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen.

 
Stellvertretend für viele: Protestaktion mit Pappfiguren in Bremerhaven

»Immer mehr Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen und der Sozialen Arbeit organisieren sich und verschaffen sich Respekt, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen im gesamten öffentlichen Dienst – richtig so!«, freute sich Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand bei einer Kundgebung am 20. Oktober in Essen. »Die Arbeitgeber haben offenbar geglaubt, dass sich die Beschäftigten unter den Bedingungen der Pandemie klein machen und nicht in der Lage sind zu streiken«, meinte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am 30. September vor 500 streikenden Krankenhausbeschäftigten in Berlin. Damit hätten sie sich »heftig in den Finger geschnitten«.

 

Nicht nur in Kliniken und Pflegeheimen, auch in Kitas und Sozialeinrichtungen beteiligten sich mehr Kolleginnen und Kollegen, als viele zuvor erwartet hatten. Beschäftigte aus dem Rettungsdienst forderten vor allem eine Verkürzung der überlangen Arbeitszeiten, was in dieser Tarifrunde leider noch nicht erreicht werden konnte. Für Pflegekräfte – deren Ausstand in einigen Krankenhäusern Stationsschließungen bewirkte – beinhaltet das Ergebnis hingegen deutliche Verbesserungen. Insgesamt sei ver.di unter den gegebenen Bedingungen »ein respektabler Abschluss« gelungen, bilanzierte Werneke.

 
Die Beschäftigten im Rettungsdienst fordern vor allem eine Verkürzung der überlangen Arbeitszeiten.

 

Stationen komplett bestreikt - Klinikbelegschaften zeigen Kampfkraft

Zum Höhepunkt der Streiks im öffentlichen Dienst im Oktober zeigten einige Krankenhausbelegschaften ihre Kampfkraft, indem sie OP-Säle, Betten und ganze Stationen lahmlegten. So wurden zum Beispiel am Klinikum Stuttgart erstmals sieben Stationen komplett bestreikt. Im nahegelegenen Ludwigsburg-Bietigheim waren neun Stationen ganz und sieben weitere teilweise geschlossen, im Rems-Murr-Klinikum vier Stationen vollständig dicht. 

Mancherorts versuchten Arbeitgeber, juristisch dagegen vorzugehen. So an den Kliniken der Stadt Köln, wo Betten und Stationen bisher noch nie streikbedingt stillgelegt wurden. Obwohl die Geschäftsführung eine Notdienstvereinbarung unterzeichnet hatte, die Stationsschließungen ermöglichte, wollte sie davon plötzlich nichts mehr wissen und verhinderte den Streik per einstweiliger Verfügung des Arbeitsgerichts. Doch die Kolleg*innen ließen nicht locker und meldeten erneut vier Stationen zur Schließung an. 

 

Zugleich sammelten sie binnen 24 Stunden 375 Unterschriften von Beschäftigten, die ihr Streikrecht einforderten, und übergaben diese an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Das wirkte: Die Geschäftsleitung beendete das rechtliche Verfahren und schloss einen Kompromiss mit ver.di, wonach die Station 5B in Köln-Merheim komplett geschlossen und eine weitere nur mit Notdienstbesetzung offen gehalten wurde. »Die Kolleginnen und Kollegen haben das durchgestanden und mit der Petition an die Politik ihr Streikrecht durchgesetzt – das ist ein Riesen-Erfolg«, bilanzierte der Betriebsrat und ver.di-Vertrauensmann Valentin Pilz.

 
»Arbeitsstreik« in Lörrach

 

Das Tarifergebnis im öffentlichen Dienst beinhaltet unter anderem:

 

  • Erhöhung der Tabellenentgelte

    • ab 1. April 2021 um 1,4 Prozent, mindestens aber 50 Euro
    • ab 1. April 2022 um 1,8 Prozent
    • Laufzeit bis 31. Dezember 2022

     

  • Corona-Prämie

    • 600 Euro für die Entgeltgruppen 1 bis 8, also P 5 bis P 8 und S 2 bis S 8b
    • 400 Euro für die Entgeltgruppen 9a bis 12, also P 9 bis P 16 und S 9 bis S 18
    • 300 Euro für die Entgeltgruppen 13 bis 15
    • keine Verrechnung mit anderen Prämien

     

  • Auszubildende und Praktikant*innen

    • Die Ausbildungs- und Praktikantenvergütung steigt ab 1. April 2021 und ab 1. April 2022 um jeweils 25 Euro.
    • Corona-Prämie für 2020 von 225 Euro in den Kommunen und 200 Euro beim Bund
    • Verlängerung der Regelung zur Übernahme
    • Tarifierung der praxisintegrierten Studiengänge

     

  • Arbeitszeit Ost

    • Ab Januar 2022 und 2023 sinkt die Arbeitszeit der Beschäftigten im Osten um jeweils eine halbe Stunde und liegt ab 2023 mit
      39 Stunden auf Westniveau.
    • In den Krankenhäusern sinkt die Arbeitszeit ab Januar 2023 in drei Schritten und erreicht 2025 mit 38,5 Stunden Westniveau.

     

  • Pflege und Gesundheit

    • Monatliche Pflegezulage von 70 Euro ab März 2021 und ab März 2022 nochmals 50 Euro mehr. Die Zulage erhöht sich ab Januar 2023 entsprechend der allgemeinen Entgelterhöhung. Sie gilt für Fach- und Hilfskräfte, auch in der Altenpflege, sowie für Hebammen, OTA und ATA im Geltungsbereich der P-Tabelle. Die von den Arbeitgebern geforderte Anrechnung der Psychiatrie-Zulage hat ver.di abgewehrt.
    • Die Intensivzulage steigt ab März 2021 von 46,02 auf 100 Euro.
    • Die Wechselschichtzulage bei ständiger Wechselschicht steigt von 105 auf 155 Euro, sonst auf 0,93 Euro pro Stunde. Dass für Wechselschicht künftig vier statt zwei Stunden Nachtarbeit erbracht werden müssen, wie es die Arbeitgeber wollten, hat ver.di verhindert. Die Erhöhung der Wechselschichtzulage gilt für Krankenhäuser, in der Alten- und der Behindertenhilfe.
    • Weitere Zulage für Beschäftigte in den Entgeltgruppen P 5 bis P 16 von 25 Euro West und 35 Euro Ost (ab 2025 einheitlich 25 Euro)
    • Der Samstagszuschlag wird für Krankenhäuser, in der Alten- und der Behindertenhilfe auf 20 Prozent erhöht.

     

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