In Kitas ist Abstand halten schwer. Umso wichtiger sind klare Regeln.
Daniel Behruzi
Mindestens anderthalb Meter sollen die Menschen Distanz halten, um Infektionen mit dem Coronavirus zu vermeiden. Doch in den Kindertagesstätten ist diese Regel kaum einzuhalten. »Vor allem kleine Kinder haben ein besonderes Nähebedürfnis – da kann man keinen Abstand halten, und man will es auch gar nicht«, erklärt Paul Jung, der als Erzieher bei den Hamburger »Elbkindern« arbeitet. »Wir wollen professionelle Arbeit machen und die Kinder gut aufs Leben vorbereiten. Doch die Angst schwingt immer mit.« Die Infektionsraten unter Kita-Beschäftigten sind mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (siehe Grafik). »Im Privatleben schränken sich die Kolleginnen und Kollegen stark ein – und das schon seit über einem Jahr«, sagt Jung. »Aber bei der Arbeit sind die vielen Kontakte unvermeidbar.«
ver.di und Betriebsräte fordern daher schon seit Beginn der Pandemie, dass alles zum Schutz der Beschäftigten getan werden muss. Dazu gehören regelmäßige Testungen. In Hamburg haben Kita-Beschäftigte einmal pro Woche die Möglichkeit, sich kostenlos testen zu lassen. Bisher müssen sie dazu allerdings zu einem Vormittagstermin durch die ganze Stadt fahren, was für viele kaum möglich ist. »Wenn die Tests durch mobile Teams während der Arbeitszeit in den Kitas durchgeführt würden, würde das sicher deutlich häufiger genutzt«, meint Jung, der sich auch im Betriebsrat des Hamburger Kita-Trägers engagiert. Er hofft, dass es mit den Impfungen besser klappt. Nachdem das Kita-Personal in der Priorität nach oben gerückt ist, sollen die Impfungen bald beginnen.
Seine Kollegin Claudia Brillinger setzt ebenfalls große Hoffnungen auf die Impfungen. »Die jetzige Situation ist eine extreme Belastung – sowohl für die Familien als auch für uns«, sagt die Erzieherin. »Da gab es schon viele Tränen, manche sind echt verzweifelt.« In der zweiten Pandemie-Welle seien einige Innenstadt-Kitas bis zu 80 Prozent ausgelastet gewesen. »Das bedeutet für das Team eine enorme Belastung und Gesundheitsgefährdung. Und gute pädagogische Angebote sind unter solchen Bedingungen auch nicht möglich«, erklärt Brillinger. Bereits der Sommer 2020 sei vor allem für die Kolleg*innen in den Krippen sehr kräftezehrend gewesen. »Da mussten die Eingewöhnungen der Vormonate im Schnelldurchlauf nachgeholt werden – und das möglichst mit Masken bei Eltern und Erzieherinnen.«
In den meisten Bundesländern fehlten während der zweiten Welle der Pandemie klare Vorgaben, welche Kinder in den Kitas weiter betreut werden sollten und welche nicht. Das hat zu vielen schwierigen Gesprächen und auch Spannungen zwischen Eltern und Beschäftigten geführt. In Hamburg haben der Landeselternausschuss und ver.di in einer gemeinsamen Erklärung ein Zeichen gesetzt und betont, beide Seiten seien sich des Dilemmas bewusst. »Doch gibt es für alle Beteiligten eine große Schnittmenge: Das Wohl und die Förderung der Kinder, die Zukunft unserer Gesellschaft.« Dies sei nur in guter Qualität möglich, wenn auch die Beschäftigten in den Kitas gesund und sicher ihrer Arbeit nachgehen können. Gemeinsam fordern die Eltern- und Beschäftigtenvertretungen unter anderem mehr Tests und frühe Impfmöglichkeiten sowie die Beibehaltung der Fachkraftquote.
Doch nicht nur diese Berufsgruppe leide unter der Situation. »Auch die Hauswirtschaft war und ist extrem gefordert. Zum Beispiel dadurch, dass die Kinder in kleinen Gruppen essen, Frühstück und Mittagessen also gleich mehrfach vorbereitet werden müssen«, berichtet die Betriebsrätin. Zeitweise hätten die Kolleg*innen sogar zusätzliche Essen gekocht, die sich Familien abholen konnten, in denen die Kinder zu Hause betreut wurden. Und auch in der Verwaltung habe die Arbeit deutlich zugenommen. Immer wieder müsse kurzfristig alles umorganisiert werden. Auf den Leitungen laste enormer Druck, auch wegen fehlender Regelungen, wer seine Kinder in die Kita bringen kann und wer nicht. »Das mit den Eltern zu klären, wurde in der zweiten Pandemie-Welle einfach auf die Kitas abgewälzt. Sie und die Eltern werden mit dem Problem alleingelassen.«
So ist es auch in Rheinland-Pfalz, wie Nadia Rezgui von der Evangelischen Kita »Sonnenland« berichtet. »Vom Land hieß es: Regelbetrieb bei dringendem Bedarf. Doch was das genau bedeutet, müssen Einrichtungen und Eltern selbst aushandeln.« Die Erzieherin kritisiert die chaotischen Entscheidungsprozesse. »Da werden beim Bund-Länder-Treffen Beschlüsse gefasst und am nächsten Tag macht jedes Bundesland etwas anderes daraus. Eine auch nur etwas vorausschauende Planung in den Einrichtungen ist so unmöglich.«
In Nordrhein-Westfalen beließ es die Landesregierung während der zweiten Corona-Welle ebenfalls bei Appellen, Kinder zu Hause zu betreuen. »Das haben die meisten nicht befolgt, viele Einrichtungen waren zu weiten Teilen belegt«, berichtet Kerstin Lindner, die bei der Arbeiterwohlfahrt in Mettmann arbeitet. »Das ist eine wahnsinnige Belastung und macht den Kolleginnen und Kollegen Angst.« Besonders Beschäftigte, die zu Risikogruppen zählen, machten sich Sorgen. Der Träger versuche zwar, ihnen Aufgaben im Homeoffice zuzuweisen, »aber wegen der dünnen Personaldecke ist das nicht immer möglich«. Schon vor der Pandemie sei der Personalmangel das größte Problem gewesen, dieser verschärfe die Situation nun. Die Schlussfolgerung der Erzieherin: »Wir brauchen flächendeckend einen guten Fachkraft-Kind-Schlüssel.«
Auch eine bessere Bezahlung sei nötig. Als Gelegenheit dafür sieht die Erzieherin die AWO-Tarifrunde in NRW. »Bei uns verdienen Fachkräfte monatlich 200 bis 400 Euro weniger als im öffentlichen Dienst«, kritisiert Lindner, die sich in der ver.di-Tarifkommission engagiert. »Das muss sich ändern, damit wir die dringend benötigten Arbeitskräfte finden.« Auch grundsätzlich müssten die Berufe in der frühkindlichen Bildung weiter aufgewertet werden. »Die Kitas brauchen genug qualifiziertes und gut bezahltes Personal – das sind für mich zentrale Konsequenzen aus den Erfahrungen in der Pandemie.«
»Viele wissen nicht, dass sie eine Corona-Infektion, die sie sich im Betrieb geholt haben könnten, unbedingt als Unfallanzeige an die Berufsgenossenschaft weiterleiten müssen«, sagt die Erzieherin Nadia Rezgui, die für ver.di ehrenamtlich in der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) tätig ist. »Eine Covid-19-Erkrankung kann gravierende Spätfolgen haben. Umso wichtiger ist es, dass sie als Berufsunfall anerkannt wird. Voraussetzung ist dafür zunächst einmal, ihn anzuzeigen.« Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus ist zwar in der Regel kein Arbeitsunfall, weil die Pandemie als sogenannte Allgemeingefahr gilt – als Gefährdung, der Versicherte zur gleichen Zeit und mit gleicher Schwere auch außerhalb der Arbeit ausgesetzt sind. Es kann jedoch eine Berufskrankheit vorliegen, wenn Beschäftigte aufgrund ihrer Tätigkeit einer wesentlich höheren Infektionsgefahr ausgesetzt waren als andere.
Für die Anerkennung bestehen grundsätzlich drei Bedingungen:
Weitere Infos von der BGW.