In etlichen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens hat sich die ohnehin bestehende Überlastung während der Pandemie noch verstärkt. Die exemplarischen Berichte auf dieser Seite zeigen: Die Bedingungen müssen sich verbessern, sonst verschärft sich die Berufsflucht weiter | Daniel Behruzi
Spätdienst Anfang März auf der Intensivstation. Vier Patienten, zwei davon infektiös. So weit, so gut. Leider nur zwei Pflegekräfte. Lässt sich bewerkstelligen. Dann: angekündigte Intensivverlegung aus einem Haus der Maximalversorgung. Schnell einen Patienten auf die Normalstation verlegt, ein Isolations-Beatmungszimmer vorbereitet. Noch während der Vorbereitung steht der Intensivtransport plötzlich da. Patientin in grottenschlechtem Zustand, nur rudimentär versorgt, immerhin beatmet, über zwei Stunden keine Blutgase bestimmt, extrem schlechte Blutgase, kein zentraler Venenkatheter, keine arterielle Blutdrucküberwachung, nur »Schlafmittel«, kein Schmerzmittel. Also bleibt die gesamte Versorgung an der aufnehmenden kleinen Klinik der Grundversorgung hängen. ZVK-Anlage, Magensonde legen, Blasenkatheter, arterielle Kanüle, mehrfach Blutgase prüfen, Beatmung optimieren. Für jede Blutgasanalyse Infektionsschutzkittel aus, danach Vollschutz wieder an, weiterversorgen. Stresslevel hoch, trinken geht nicht, Pause auch nicht, aber Schwitzen tun wir alle im Übermaß.
Wegen der Isolationsmaßnahmen bin ich lange im Zimmer und kann meinen anderen beatmeten Patienten über drei Stunden nicht sehen. Zum Glück ist er weitgehend stabil und nicht unruhig. Meine Kollegin muss sich um ihre beiden infektiösen beatmeten Patienten kümmern. Um die neue Patientin in Bauchlage zu drehen, müssen wir zu dritt – Arzt, Kollegin und ich – in das Zimmer. In dieser Zeit sind unsere anderen Patienten allein, ohne Pflegekraft.
Ach so: Wir, die Intensivstation, stellen das Reanimationsteam für das gesamte Haus. Schreiben einer Überlastungsanzeige? Wann, ohne Gefährdung der neuen Patientin? Die war doch schon bei Ankunft in akuter Lebensgefahr. Für mich ist klar: Wenn das Reanimationstelefon klingelt, sage ich »Ruft die 112, wir können nicht«. Ein Armutszeugnis! Ach ja, in der Notfallambulanz arbeiten eine Aushilfe und eine Auszubildende zur Medizinischen Fachangestellten. Die hätten unsere Hilfe gebraucht... .
Die heutige Botschaft ist klar: Pflegekräfte sind Dreck, Patienten zählen nur als Ware, PROFIT ist Trumpf! Ich bin jetzt 60 Jahre alt, ich schlafe heute nur mit Schmerzmittel und kann mich nach dieser Schicht kaum noch bewegen. Ich muss aber noch bis 67. Nicht nur ich.
Intensivpfleger aus Hessen
Anfang des Jahres war es bei uns in der Dialyse sehr schlimm. Sowohl im Team als auch bei den Patientinnen und Patienten hatten wir mehrere Corona-Fälle. Ein Kollege verstarb an Covid-19, das hat uns alle tief getroffen. Körperlich waren wir am Limit. Die Arbeit in Vollmontur kostete viel Kraft. Die empfohlenen Pausen konnten fast nie genommen werden. Zusätzlich zu der ohnehin stressigen Arbeit mussten Einlasskontrollen und andere Aufgaben erledigt werden. Mehr Personal gab es dafür nicht.
Inzwischen hat sich die Situation etwas entspannt, doch die Kolleg*innen sind extrem erschöpft, auch mental und seelisch. Wer dachte, der hohe Einsatz, die Überstunden und die Flexibilität würden uns gedankt, sieht sich getäuscht. Stattdessen will der Arbeitgeber Stellen streichen. Es werden kaum examinierte Pflegekräfte eingestellt, sondern meist Medizinische Fachangestellte. Die Ausbildung unterscheidet sich. Schnell müssen die neuen Kolleginnen fit sein, um die personellen Lücken zu schließen. Viele verlassen uns wieder – zu stressig. Die Verbliebenen müssen wieder neue Kolleginnen anlernen – eine Zusatzbelastung.
Allein bei uns gehen in den nächsten zwei Jahren fünf langjährige Beschäftigte in Rente. Dadurch verlieren wir insgesamt 166 Jahre Dialyseerfahrung. Wenn keine qualifizierten Kräfte nachkommen oder Stellen gar nicht erst nachbesetzt werden, leiden die Arbeitsbedingungen und die Versorgungsqualität weiter. Die Geschäftsleitung gibt »Standards« vor, die einzuhalten sind. Wie das aber mit immer weniger Personal gehen soll, sagt sie nicht. Schon jetzt können wir den eigenen Ansprüchen bei der Patientenversorgung oft nicht gerecht werden. Auch das ist emotional belastend. Wir brauchen dringend bessere Bedingungen.
Krankenschwester in einer Dialyseeinrichtung in Rheinland-Pfalz
Ich arbeite seit fast 20 Jahren im sogenannten Patientenbegleitservice im Krankenhaus. Die Arbeitsbedingungen sind nicht erst seit der Corona-Pandemie untragbar. Der Personalmangel ist chronisch. Doch es wird keine Rücksicht genommen. Auch von vielen Pflegekräften wird nicht gesehen, unter welchem Druck wir stehen. Hauptsache, die Patienten kommen pünktlich zur OP. Und zwar immer – auch wenn ich gleichzeitig jemanden mit Sauerstoffproblemen versorgen müsste. Der muss dann warten, das tut mir weh. Wahrscheinlich ist das deshalb so, weil mit den Operationen das Geld verdient wird.
Am Anfang der Pandemie hat man uns überhaupt nicht informiert. Wir wussten nicht einmal, welche die Covid-Stationen waren, geschweige denn, wie wir uns verhalten müssen. Das passt zum Gesamtgefühl: Wir werden vergessen. Das zeigt sich auch daran, dass wir keinen eigenen Pausenraum haben. Wenn ich mal ein paar Minuten ausruhen kann, sitze ich im Treppenhaus. Das ist entwürdigend.
Die Angst vor Corona hat sich entspannt, da ich jetzt auch geimpft wurde. Aber die ganze Arbeitssituation lässt mich immer wieder darüber nachdenken, mir einen anderen Job zu suchen. Dabei sind wir auch systemrelevant. Wir sind nur ein Rädchen im Getriebe. Aber ohne uns läuft das große Rad nicht rund. Die Patienten merken das und geben einem viel zurück. Am Ende des Tages habe ich trotz allem das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Deshalb bleibe ich. Aber es muss sich etwas ändern. Gerade jetzt könnten wir Gehör finden.
Pflegehelfer aus dem Rhein-Main-Gebiet
Die Corona-Pandemie hat grundlegende Fehler im System der Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) offengelegt: Den Kliniken werden nicht die tatsächlich anfallenden Kosten und auch nicht das Vorhalten von Behandlungskapazitäten bezahlt, sondern lediglich Pauschalen für einzelne Fälle. Die Vorbereitung auf die Behandlung von – möglicherweise sehr vielen – Covid-19-Patient*innen konnte so nicht gesteuert werden. Also versuchte die Bundesregierung, hierfür betriebswirtschaftliche Anreize zu setzen, ließ das DRG-System selbst aber unangetastet. Das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« zeigt in einer Analyse auf, welche unerwünschten Nebenfolgen das hatte und hat.
So führte die Freihaltepauschale von 560 Euro pro Bett und Tag in der ersten Phase der Pandemie dazu, dass einerseits (meist kommerzielle) Häuser überdurchschnittliche Erlössteigerungen verbuchten, während andere (vor allem große öffentliche Kliniken) in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten. Die daraufhin in der zweiten Phase vorgenommene Differenzierung der Freihaltepauschale nach dem sogenannten Casemix-Index machte die Sache nicht wirklich besser. Auch dies produzierte Gewinner (meist privat betriebene Fachkrankenhäuser) und Verlierer (in der Regel öffentliche Häuser der Maximalversorgung). Dass die Zahlungen in der dritten Phase unter anderem an eine hohe Auslastung der Intensivstationen geknüpft wurden, setzte wiederum den Fehlanreiz, möglichst viele Operationen durchzuführen – statt die Intensivkapazitäten für die erwartete Welle von Covid-19-Patient*innen freizuhalten und das Personal zu schonen.
Fazit der Autor*innen: »Nötig werden die restriktiven Vorgaben überhaupt nur, weil die Politik gegen die Mitnahmeeffekte und Profitanreize gegensteuern muss, die sich aus der Aufrechterhaltung der DRGs unter Pandemiebedingungen und aus der Pauschalfinanzierung der Freihaltungen ergeben.« Die Alternative dazu sei »eine an den realen Kosten der Krankenhäuser orientierte Finanzierung«.