In den evangelischen Kitas in Erfurt organisieren sich Kolleginnen und Kollegen für bessere Bezahlung
Als Thomas Müller 2017 seine Erzieherausbildung in einer evangelischen Kindertagesstätte in Erfurt begann, merkte er schnell, dass etwas nicht passt. »Bei Gesprächen in der Berufsschule fiel auf, dass wir in den kirchlichen Kitas weniger verdienen als andere in städtischen Einrichtungen«, erinnert er sich. »Gerade bei älteren Beschäftigten macht das viel aus – bis zu 500 Euro im Monat!« Als sie auch noch mitbekamen, dass die Stadt eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vollständig refinanziert, war für Müller und seine Kolleg*innen schnell klar: Das lassen sie sich nicht gefallen.
Sie schrieben Briefe an ihren Arbeitgeber, in denen sie die ungleiche Bezahlung kritisierten. Doch eine Antwort erhielten sie nie. »Wir haben diskutiert, wie wir uns Gehör verschaffen können. Schließlich sind wir bei ver.di eingetreten«, berichtet Müller. Und das taten nicht nur einzelne, sondern 78 der insgesamt 137 Beschäftigten in den 13 evangelischen Kitas in Erfurt. »Es darf nicht sein, dass in der kirchlichen Einrichtung für die gleiche Arbeit viel weniger bezahlt wird als in der städtischen Kita die Straße runter«, betont der Erzieher.
Das findet auch Jenny Anthony, die in einer anderen evangelischen Kita arbeitet und in der ver.di-Tarifkommission aktiv ist. »Die schlechtere Bezahlung ist nicht nur ungerecht. Sie führt auch dazu, dass wir Stellen ganz schlecht nachbesetzen können«, erklärt sie. »Ist doch klar, dass die Leute lieber in eine städtische Einrichtung gehen, wo sie mehr verdienen. Dadurch wird die Arbeit bei uns noch anstrengender.« Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung sei die gewerkschaftliche Organisierung ganz schnell gegangen. »Ich habe mich nur gefragt, warum wir das nicht schon früher gemacht haben.«
Ende Mai wählten die frisch organisierten Gewerkschafter*innen eine Tarifkommission. Sie setzte den Arbeitgebern eine Frist bis zum 28. Juni, Tarifverhandlungen mit ver.di aufzunehmen. Diese regierten erst am letzten Tag – aber nicht mit der Aufnahme von Tarifverhandlungen, sondern mit der Information, die Arbeitsrechtliche Kommission (ARK) der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, zu der die Kitas der Thüringer Landeshauptstadt gehören, habe neue Regelungen für den Sozial- und Erziehungsdienst beschlossen. Demnach soll der TVöD für die rund 3.000 Beschäftigten in diesem Bereich weitgehend zur Anwendung kommen. Allerdings nicht per Tarifvertrag, sondern auf dem kircheninternen »Dritten Weg«.
»Die Anwendung des TVöD wäre eine deutliche materielle Verbesserung«, sagt der ver.di-Sekretär Hannes Gottschalk. »Kommt das zustande, profitieren 3.000 Beschäftigte davon, dass sich 78 Kolleginnen und Kollegen in ver.di organisiert haben. Was schaffen wir dann erst, wenn sich noch mehr zusammentun?« Bislang allerdings gibt es dafür keine Sicherheit. Auch zwei Monate nach dem vermeintlichen ARK-Beschluss gibt es keinerlei offizielle Verlautbarung dazu. »Schon diese Intransparenz zeigt, dass Tarifverträge deutlich besser sind als Regelungen auf dem sogenannten Dritten Weg«, betont Gottschalk.
»Wenn wir den vollen und dynamischen TVöD bekommen, wäre das ein Riesen-Plus«, sagt Jenny Anthony. Doch noch ist die Erzieherin skeptisch, da auch nach Wochen nichts Schriftliches auf dem Tisch liegt. »Sollte das doch nicht so umgesetzt werden, sind die Kolleginnen in den Einrichtungen ganz klar bereit zu Aktionen und gegebenenfalls auch Streiks.« Das meint auch ihr Kollege Thomas Müller: »Wir bleiben so lange dran, bis wir die volle Tarifangleichung haben.«
Beschäftigte von Klinik-Töchtern in Berlin fordern Gleichbehandlung
»Die haben lange genug mit uns gemacht, was sie wollten – jetzt wehren wir uns«, sagt Thomas Mierswa, der als Küchenkraft in einem der zwei großen Versorgungszentren des Berliner Vivantes-Konzerns arbeitet. Gemeinsam mit hunderten Kolleg*innen steht er am 3. September vor dem Betrieb. »Dass wir für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden, ist eine Ungerechtigkeit hoch zehn«, begründet er seine Teilnahme am Warnstreik. »Im Vergleich zu den Kollegen mit TVöD-Verträgen fehlen mir jeden Monat 820 Euro. Das ist Lebensqualität, die da verloren geht.« Doch nicht nur das. »Durch das geringere Gehalt werden wir kleingehalten. Und so benimmt sich die Leitung uns gegenüber oft auch«, sagt Thomas Mierswa. »Aber jetzt ist der Knoten geplatzt. Jetzt kämpfen wir bis zum Ende.«
Bis zum Ende heißt: Bis die Angleichung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für alle Beschäftigten der Vivantes-Tochtergesellschaften erreicht ist. Dafür haben die Kolleg*innen schon mehrfach ihre Arbeit niedergelegt. Da sich die Arbeitgeber bislang aber nicht entscheidend bewegt haben, wollen sie den Druck noch verstärken. Bei einer Urabstimmung votierten Angang September 98,82 Prozent der ver.di-Mitglieder für einen unbefristeten Arbeitskampf. Wenn das Vivantes-Management weiter auf stur stellt, soll der Streik am 9. September beginnen (nach Redaktionsschluss).
Auch im 350 Kilometer entfernten Kiel wird an diesem Tag gestreikt. Dort fordern die rund 200 Beschäftigten der Service GmbH des städtischen Klinikums ebenfalls die Angleichung an den TVöD. Fast die Hälfte von ihnen hat sich dafür im vergangenen Jahr in ver.di organisiert. »Wir sind die Spitzenunterverdienerinnen«, sagt die Reinigerin Kirsten Thomas. Sie und ihre Kolleg*innen verdienen jeden Monat bis zu 800 Euro weniger als im öffentlichen Dienst. »Das muss sich ändern«, fordert Simone Hoffmann, die seit elf Jahren als Reinigungskraft in der Servicegesellschaft angestellt ist. »Wir sind ein Krankenhaus, ein Team. Deshalb brauchen wir auch einen Tarifvertrag.«
Die Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes, TVöD und TV-L, garantieren vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen. Wer in einem Betrieb ohne Tarifvertrag arbeitet, muss sie selbst aushandeln. Dann müssen lediglich die gesetzlichen Grenzen, wie Mindestlohn, Mindesturlaub und Höchstarbeitszeiten, eingehalten werden.
Servicekräfte am Klinikum Nürnberg erkämpfen Angleichung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst
»Wir wollen keine Beschäftigten zweiter Klasse mehr sein. Bis wir das erreicht haben, geben wir keine Ruhe.« Das hatte die Betriebsratsvorsitzende der Klinikum Nürnberg Service-Gesellschaft (KNSG), Karin Reinfelder, in der drei.77 angekündigt. Und das haben sie und ihre Kolleg*innen nun wahr gemacht: Ab 2024 gilt für alle 855 KNSG-Beschäftigten der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), bis dahin gibt es schrittweise Lohnerhöhungen. »Noch im April erklärte uns die Stadtspitze in einem Brief, der TVöD sei vollkommen ausgeschlossen«, erinnert sich Reinfelder. »Aber wir haben uns nicht beirren lassen und für das gekämpft, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und eine Bezahlung, von der wir leben können.«
Vier Streiktage hatten die Servicekräfte auf die Beine gestellt, bevor ver.di Ende Juli eine Tarifvereinbarung erzielte. Bis zuletzt umstritten waren die Übergangsphase und die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit. »Wir haben erreicht, dass die Erfahrung langjährig Beschäftigter honoriert wird, indem sie direkt in die Stufe 4 kommen«, berichtet die ver.di-Sekretärin Joana Terborg. »Das ist wichtig, denn gerade auf ihrem Rücken hat das Klinikum viele Jahre Lohnkosten gespart.« Die Angleichung an den TVöD sieht die Gewerkschafterin als »historischen Erfolg, mit dem wir im Dienstleistungsbereich der Krankenhäuser einen Leuchtturm geschaffen haben«.
Die 338 ver.di-Mitglieder in der Servicegesellschaft – von denen 60 Prozent im Rahmen der Tarifauseinandersetzung der Gewerkschaft beigetreten sind – sehen das offenbar genauso. In zwei Versammlungen stimmten sie am 17. August einstimmig für das Tarifergebnis.
Durch die Vereinbarung werde die Spaltung zwischen Pflege- und Servicekräften am Nürnberger Klinikum endlich überwunden, freut sich die OP-Reinigerin Ilonka Karczag. Schon in der kommenden Tarifrunde des öffentlichen Dienstes könnten Beschäftigte der Servicegesellschaft und des Mutterkonzerns gemeinsam für Verbesserungen eintreten. »Wir haben gelernt: Zusammenhalt und Teamarbeit ermöglichen nicht nur die tägliche Versorgung der Patientinnen und Patienten, sondern sie sind auch die Voraussetzung für die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen. Mehrheiten und Solidarität sind entscheidend, denn für uns wird es niemand machen.«
Bei ProSenis Leer zahlt sich Beharrlichkeit der Beschäftigten aus
Es hat lange gedauert, doch schließlich haben die Beschäftigten des ProSenis-Seniorenzentrums im ostfriesischen Leer ihr Ziel doch noch erreicht: Bis Ende 2023 werden die Entgelte und Arbeitsbedingungen vollständig an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) angeglichen. »Der TVöD war immer unser klares Ziel, seit wir 2014 unseren ersten Haustarifvertrag erkämpft haben«, blickt der Betriebsratsvorsitzende Reinhard Bansemeier zurück. Die Vereinbarung bedeutete seinerzeit eine deutliche Verbesserung, lag aber bei lediglich rund 90 Prozent des TVöD-Niveaus. Die Beschäftigten der stationären Pflegeeinrichtung blieben dran und machten auch in den folgenden Jahren mit betrieblichen Aktionen, in Öffentlichkeit, Medien und gegenüber der Politik Druck – zuletzt mit einer Aktiven Mittagspause im Februar 2020, an der sich 70 der insgesamt gut 120 Kolleginnen und Kollegen beteiligten (siehe drei.72).
Bei den diesjährigen Verhandlungen reichte dann schon die Drohung, erneut in Aktion zu treten. »Der Arbeitgeber wollte unbedingt vermeiden, dass wir wieder protestierend vor der Einrichtung stehen. Deshalb hat er endlich der vollen Übernahme des TVöD zugestimmt«, berichtet Bansemeier. »Das bedeutet, dass wir in Zukunft nicht mehr auf uns gestellt sind, sondern von den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst automatisch profitieren.« Für ihn ist die Schlussfolgerung klar: »Es lohnt sich, gemeinsam für seine Interessen einzutreten und dabei Durchhaltevermögen zu zeigen.« Im Zuge der Auseinandersetzung haben sich in den vergangenen Jahren zwischen 60 und 70 Prozent der Belegschaft in ver.di organisiert.
Viel Überzeugungsarbeit
Auch neue Kolleg*innen werden regelmäßig auf eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft angesprochen. »Eine solche Tarifauseinandersetzung ist kein Selbstläufer, den TVöD bekommt man nicht gleich geschenkt«, betont Bansemeier. »Man muss ganz viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber am Ende hat sich das ausgezahlt.« Die Altenpflege könne nur dann genug Fachkräfte finden und halten, wenn die Bezahlung stimme, ist der Betriebsrat überzeugt. »Und der Maßstab dafür ist überall der TVöD.«