Aufwertung braucht Aktion

15.03.2022
Erzieherinnen in Herten Erzieherinnen in Herten (NRW) protestieren gegen Überlastung.

Tarifbewegung im Sozial- und Erziehungsdienst gestartet

Die Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst haben am 25. Februar begonnen. Die ver.di-Forderungen konzentrieren sich auf drei Schwerpunkte: Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und finanzielle Anerkennung der Arbeit. Derzeit verdienen Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst – 83 Prozent von ihnen sind Frauen – bei gleichwertiger Qualifikation deutlich weniger als in männlich dominierten Berufen. Deshalb sollen die Eingruppierung verbessert und die Stufenlaufzeiten an den restlichen öffentlichen Dienst angepasst werden. Bislang erreichen zum Beispiel Sozialarbeiter*innen nach 18 und Erzieher*innen erst nach 23 Arbeitsjahren die höchste Gehaltsstufe, während das in anderen kommunalen Bereichen bereits nach 15 Jahren der Fall ist.

 

Jetzt Druck machen!

Die Berufe müssen attraktiver werden. Auch weil die nötigen Arbeitskräfte sonst nicht zu gewinnen und zu halten sind. Nach ver.di-Berechnungen fehlen allein in den Kitas rund 173.000 Fachkräfte. Angesichts des wachsenden Bedarfs und vieler Renteneintritte könnte sich die Personallücke bis 2025 auf über 300.000 erhöhen. Auch in der Be-
hindertenhilfe und der Sozialarbeit fehlt es überall an Personal. Laut einer Studie der TU Darmstadt denkt fast die Hälfte der Beschäftigten in der Behindertenhilfe darüber nach, ihren Job aufzugeben.

Zentrale Ursache sind die schlechten Arbeitsbedingungen. Deshalb fordert ver.di Entlastung, unter anderem durch zusätzliche freie Tage als Ausgleich für Belastungssituationen. Doch noch vor der ersten Verhandlungsrunde haben die kommunalen Arbeitgeber klargemacht: Sie geben nichts freiwillig. Jetzt braucht es Druck aus den Betrieben und die Solidarität aller. Mach mit!

 
Petra Fleischer

»In der Tarifbewegung 2015 haben wir einige Verbesserungen erreicht – wie eine höhere Eingruppierung für Kita-Leitungen. Jetzt muss es weiter vorangehen, zum Beispiel mit der Aufwertung unserer Kinderpflegerinnen. Oft machen sie den Job einer Erzieherin, werden aber schlechter bezahlt. 2015 haben wir uns an den Streiks beteiligt. Wir arbeiten bei einem kirchlichen Träger, aber es gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Damals behauptete der Arbeitgeber, wir hätten kein Streikrecht und drohte mit Abmahnungen. Das hat er dann doch nicht gemacht. Ich hoffe, dass wir auch dieses Mal dabei sind, wenn es nötig wird. Wegen Corona wird das nicht einfach. Aber wir brauchen attraktivere Arbeitsbedingungen, sonst verschärft sich der Fachkräftemangel weiter.«

Petra Fleischer arbeitet als Erzieherin in einer evangelischen Kindertagesstätte in Rheinland-Pfalz, für die der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) unmittelbar gilt.


 
Fikret Alabas

»Der gesamte Sozial- und Erziehungsdienst braucht Aufwertung und Entlastung. Wir sind für die Gesellschaft da. In der Corona-Krise haben wir dafür Sorge getragen, dass hilfsbedürftige Menschen weiter gut unterstützt und versorgt werden. Als Beschäftigte der Caritas begrüßen wir ganz klar die Tarifforderungen im öffentlichen Dienst. In der Regel wird alles, was die Kolleg*innen dort durchsetzen, auf die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien übertragen. Deshalb unterstützen wir, wo wir können. Alle Caritas-Beschäftigten sind aufgefordert, sich in ihrer Freizeit an den ver.di-Aktionen zu beteiligen. So machen wir uns gemeinsam stark.«

Fikret Alabas ist Erzieher und Mitarbeitervertreter in einer Wohneinrichtung für behinderte Menschen der Caritas in Bayern.


 
Feli Traudes

»Unser AWO-Bezirksverband hat einen Anwendungstarifvertrag zum TVöD. Das bedeutet: Wir profitieren unmittelbar von den Verbesserungen, die im öffentlichen Dienst durchgesetzt werden. Deshalb ist klar, dass wir uns an der Tarifbewegung beteiligen, auch wenn das wegen Corona nicht einfach wird. Den Kolleginnen und Kollegen steht das Wasser bis zum Hals. Die Pandemie hat die ohnehin bestehende Überlastung nochmal gesteigert. Daher fehlt manchen die Energie, sich für die eigenen Belange zu engagieren. Gerade die aktuelle Lage zeigt aber, wie nötig das ist. Die Berufe müssen dringend aufgewertet werden. Warum verdient eine studierte Sozialpädagogin monatlich hunderte Euro weniger als ein ebenfalls studierter Ingenieur? Unsere Arbeit ist sehr wichtig für die Gesellschaft. Das müssen wir deutlich machen und Solidarität einfordern.«

Feli Traudes ist Sozialpädagogin und Betriebsrätin im AWO-Bezirksverband Hessen-Süd. Sie ist Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission für den Sozial- und Erziehungsdienst.


 
Anette Krapp

»Ganz wichtig sind mir die Vor- und Nachbereitungszeiten. Die sind bei uns überhaupt nicht geregelt. Ob Portfolioarbeiten, Entwicklungsdokumentationen oder die Vorbereitung von Elterngesprächen – wenn man das gut machen will, geht es nicht nebenbei. Auch die Begleitung von Auszubildenden und Studierenden braucht Zeit. Sie haben Anspruch auf Feedback und Gespräche. Wir wollen sie schließlich für den Beruf gewinnen und halten. Die Eltern stehen auf unserer Seite. Auch sie wollen, dass Stellen besetzt werden können und gute Arbeit möglich ist. Ich bin jetzt erstmals aktiver geworden und habe mich als Tarifbotschafterin gemeldet. Wir gehen in die Einrichtungen und informieren über die Tarifrunde. Dadurch bekomme ich mit, was anderswo los ist. Das ist spannend und macht Spaß.«

Anette Krapp ist Erzieherin in einer Kita der Elbkinder in Hamburg.



 
Peggy Munch

»Ganz klar: Wir brauchen mehr qualifiziertes Personal. Und das gibt es nur bei angemessener Bezahlung und passender Eingruppierung. Andernfalls bekommen wir nur Kolleg*innen, die nicht über die nötige Qualifikation verfügen, was der Betreuungs- und Beschäftigungsqualität schadet und den Druck auf die Fachkräfte noch erhöht. Wir brauchen Zeit für die individuelle Förderung behinderter Menschen im Arbeitsalltag. Die Erwartung, die Menschen auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln, ist nicht nebenbei zu erfüllen. Das muss vorbereitet und sie müssen intensiv begleitet werden. Nur so können wir die Ansprüche auf Inklusion und Teilhabe erfüllen.«

Peggy Munch arbeitet als Tanztherapeutin in einer kommunalen Werkstatt für behinderte Menschen im rheinischen Langenfeld.

 

Um wen es geht

ver.di verhandelt für rund 330.000 Beschäftigte im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst. Doch auch viele freigemeinnützige und private Einrichtungen orientieren sich am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Im Anschluss an diese Tarifbewegung streitet ver.di mit aktiven Belegschaften dafür, dass die Verbesserungen von anderen Trägern übernommen werden. Am Ende könnten etwa zwei Drittel der 1,66 Millionen Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst vom Tarifabschluss profitieren. Zur Branche gehören die Kinderbetreuung und -erziehung, die Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe sowie die Sozialarbeit. Die Tarifverhandlungen werden am 21./22. März und 16./17. Mai in Potsdam fortgesetzt.

 

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