Beschäftigte diakonischer Kindertagesstätten in Lörrach und Freiburg haben mit einem »Partizipationsstreik« zum Tarifergebnis im Sozial- und Erziehungsdienst beigetragen.
Andere für sich kämpfen zu lassen, das war noch nie die Art von Dominique Bevensee. Als Studentin in Chile protestierte sie für soziale Gerechtigkeit – und wurde dafür exmatrikuliert. Heute arbeitet die 38-Jährige in der Kita Guter Hirte in Lörrach, im äußersten Südwesten Deutschlands. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen hat sie Mitte Mai erstmals einen »Partizipationsstreik« bei dem diakonischen Träger auf die Beine gestellt. »Wir profitieren vom Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, deshalb wollten wir die Streikbewegung im Sozial- und Erziehungsdienst solidarisch unterstützen«, erklärt die Erzieherin. Trotz der Behauptung des Arbeitgebers, Kirchenbeschäftigten dürften nicht streiken. »Wir haben uns getraut – und es einfach gemacht.«
Sie sei loyal zu ihrem Träger, betont Dominique Bevensee. Hier seien die Bedingungen noch deutlich besser als in vielen anderen Einrichtungen. Doch insgesamt müsse sich etwas ändern. »Wir brauchen genug Zeit und Personal, damit wir uns gut um die Kinder kümmern können«, sagt die Erzieherin. Deshalb unterstützt sie die Bewegung für Aufwertung und Entlastung im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst, bei der sich allein in der ersten Mai-Hälfte insgesamt rund 75.000 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligten.
In der Diakonie Baden kommt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) automatisch zur Anwendung. Für die Kolleg*innen in mehreren evangelischen Kindertagesstätten in Freiburg und Lörrach war daher klar: Sie wollen ihren Beitrag zu einem guten Tarifabschluss leisten. »Sich darauf zu verlassen, dass die Kollegen aus den kommunalen Einrichtungen das für uns hinbiegen, war für mich keine Option«, betont die Erzieherin Jessica Tanzhaus. Den Streiktag am 12. Mai erlebten sie und ihre Kolleg*innen als sehr motivierend: »Es war eine super Stimmung und sehr emotional zu sehen, wie viele sich für bessere Bedingungen einsetzen.«
Für Dominique Bevensee sind die Menschenrechte schon immer ein zentrales Thema. In ihrem Heimatland Chile kämpfte sie dafür, dass alle Zugang zu kostenloser Bildung erhalten. Denn in dem südamerikanischen Staat, der seit dem Militärputsch 1973 als Musterland des Neoliberalismus gilt, kostet es viel Geld, zur Schule oder Universität zu gehen. Seit 19 Jahren lebt Dominique Bevensee in Deutschland, woher ihr Vater stammt. Und auch hier ist es der Mutter von zwei Kindern wichtig, auf ihre grundlegenden Rechte zu pochen. Und dazu gehört das Streikrecht – auch in kirchlichen Betrieben.
Die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks versuchte noch, die Erzieher*innen von der Arbeitsniederlegung abzuhalten. Streiks seien auf dem sogenannten Dritten Weg kircheninterner Festlegung von Löhnen und Arbeitsbedingungen »nicht vorgesehen und als bewusster Verzicht beider Seiten rechtlich nicht zulässig«, behauptete sie in einem Schreiben und drohte mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Die ver.di-Aktiven in der Diakonie Baden hielten dagegen: »Wir haben immer wieder erklärt, dass das Streikrecht auch für uns Diakoniebeschäftigte gilt«, berichtet die Sozialarbeiterin Sabrina Wipprecht, die sich in der ver.di-Betriebsgruppe und als Mitarbeitervertreterin engagiert. »Bei einem Treffen haben wir alle, die streiken wollen, gebeten aufzustehen. Fast alle sind aufgestanden.«
»Wir haben auf jeden Fall etwas erreicht«, meint Dominique Bevensee über das am 18. Mai erzielte Tarifergebnis, zu dem sie und Kolleg*innen mit dem Warnstreik beigetragen haben. Angesichts der hohen Inflation seien die vereinbarten Zulagen sehr willkommen. Und die zwei zusätzlichen freien Tage sieht die Erzieherin als einen ersten wichtigen Schritt Richtung Entlastung. »Das bringt jedenfalls mehr als irgendwelche Massagegutscheine für die Pause, von denen die Arbeitgeber bei den Tarifverhandlungen geredet haben.«
Die Auseinandersetzung um bessere Bedingungen in den Kitas, der Sozialen Arbeit und den Einrichtungen der Behindertenhilfe sei mit dem Tarifabschluss allerdings nicht beendet, betont Dominique Bevensee. »Das ist ein Prozess, der weitergehen muss.« In den Kitas seien beispielsweise kleinere Gruppen nötig, um individuell auf die Kinder eingehen zu können. Für die Erzieherin ist deshalb klar: »Wenn wir wieder auf die Straße gehen müssen, bin ich dabei.«
Weitere Schritte zur finanziellen Aufwertung, erste Maßnahmen zur Entlastung und gegen den Fachkräftemangel – so lassen sich die am 18. Mai erzielten Tarifergebnisse für den kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst zusammenfassen. Obwohl sie in Sonntagsreden die Systemrelevanz der Sozialen Arbeit betonen und händeringend Fachkräfte suchen, stellten die Arbeitgeber lange auf stur. Die Warnstreiks und öffentlichen Proteste der Beschäftigten haben ihre Blockade gebrochen. Mit der Vereinbarung erhalten die rund 330.000 Beschäftigten zwei zusätzliche freie Tage zur Erholung. Um die Tätigkeiten weiter aufzuwerten, wird eine neue Zulage von, je nach Berufsgruppe, 130 Euro bzw. 180 Euro im Monat gezahlt. Diese kann in zwei weitere Entlastungstage umgewandelt werden. Hinzu kommen weitere Zulagen, zum Beispiel für Praxisanleitung, sowie die Einführung einer tariflichen Ausbildungsvergütung in der Heilerziehungspflege und verbesserte Stufenlaufzeiten.