Tarifvertrag Entlastung

Harter Kampf um Entlastung

16.06.2022

Starke Streikbewegung in den Unikliniken Nordrhein-Westfalens. Auch in Dresden und Frankfurt machen sich Beschäftigte auf den Weg |  Daniel Behruzi

 
Demonstration am 7. Mai zum Düsseldorfer Landtag

»Wir sind stabil im Streik«, sagt die Anästhesie-Pflegerin Dagmar Holste aus der Aachener Uniklinik. Es ist Anfang Juni. Schon seit einem Monat sind die Belegschaften aller sechs Universitätskliniken Nordrhein-Westfalens im Ausstand, um einen Tarifvertrag für mehr Personal und Entlastung durchzusetzen. Zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe sieht es so aus, als könnte der Konflikt noch andauern. Denn Landesregierung und Arbeitgeber haben viele Monate ungenutzt verstreichen lassen.

Bereits im Januar hatten die Beschäftigten ein 100-Tage-Ultimatum gestellt. Von den Parteien und Politiker*innen, die im Landtagswahlkampf um Stimmen buhlten, kam viel Zuspruch. »Es wird diesen Tarifvertrag geben«, versprach NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 12. Mai bei einer Aktion im Fußballstadion Oberhausen. Dennoch mussten die Streikfolgen erst spürbar werden, bevor sich die Arbeitgeber auf Tarifverhandlungen einließen.

Seit Streikbeginn laufen die OP-Säle der sechs Unikliniken auf 30 bis 40 Prozent ihrer Kapazität. Mehr als 50 Stationen sind komplett geschlossen, darüber hinaus können etwa 600 weitere Betten nicht belegt werden. All das soll die Krankenhäuser Laumann zufolge täglich rund fünf Millionen Euro kosten. »Die Arbeitgeber und die Landesregierung hätten das jederzeit verhindern können«, betont Jan von Hagen, der bei ver.di in NRW für Krankenhäuser zuständig ist. »Und auch jetzt haben sie es in der Hand, den Arbeitskampf rasch zu beenden.« Dafür müssten die Klinikleitungen einen akzeptablen Tarifvertrag unterschreiben und die Landesparteien die nötige Finanzierung zusagen. Letzteres hatten sowohl die CDU als auch die Grünen, die aktuell über die Bildung einer neuen Landesregierung verhandeln, im Wahlkampf versprochen.

 
Hunderte Klinikbeschäftigte beschließen am 13. April im Oberhausener Fußballstadion die Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik

Widerstände überwunden

»Streiken ist irre anstrengend, aber es macht auch total viel Spaß, weil wir so endlich was bewegen«, sagt Dagmar Holste. Noch vor wenigen Monaten hätte sich die Gesundheits- und Krankenpflegerin nicht träumen lassen, als Streikaktivistin Reden zu halten und als Mitglied der ver.di-Tarifkommission mit Klinikmanager*innen über Entlastung zu verhandeln. Mit der Gewerkschaft hatte sie früher keinen Kontakt. Über die unzumutbaren Arbeitsbedingungen ist sie allerdings schon lange sauer. »Als ich vor zehn Jahren in der Anästhesie angefangen habe, waren für 34 Narkosearbeitsplätze noch 28 Pflegekräfte im Frühdienst. Heute sind es gerade mal zehn oder zwölf.« Im Oktober 2021 begehrte die Anästhesie-Pflegerin offen auf: Sie schrieb einen Brandbrief an den Vorstand, in dem sie Entlastung verlangte. Reaktion des Managements? Fehlanzeige!

»Dafür bekam ich sehr viel Zuspruch von Kollegen – auch von Ärztinnen und Ärzten, bis hinein in die Chefetage«, erzählt Dagmar Holste. »Auch jetzt im Streik stehen die Ärzte klar auf unserer Seite. Sie bekommen ja jeden Tag mit, wie überlastet die Pflege und andere Berufsgruppen sind.« Die ver.di-Initiative für einen Tarifvertrag Entlastung sei exakt zur richtigen Zeit gekommen. »Das ist genau die Bewegung, die alle unsere Probleme aufgreift: bessere Personalausstattung, Entlastung, mehr Zeit für Ausbildung und Anleitung.« Für Dagmar Holste und ihre Mitstreiter*innen ist daher klar: »Wir streiken so lange weiter, bis wir den Tarifvertrag haben.«

Mehr Infos: Notruf NRW - Gemeinsam stark für Entlastung

 

 
Annett K. ist Kinderkrankenschwester und Praxisanleiterin am Uniklinikum Dresden.

»Am Uniklinikum Dresden ist die Initiative für eine Tarifbewegung zur Entlastung von den Kolleginnen und Kollegen der Intensivstationen ausgegangen. Im Herbst kamen zwei Leute auf meine Station. Ich war mal wieder total im Stress und hatte eigentlich überhaupt keine Zeit. Sie haben mir dennoch ganz ruhig erklärt, was es mit dem Tarifvertrag Entlastung auf sich hat. Das hat mich beeindruckt. Ich ging zu einem Treffen und im Januar bin ich ver.di beigetreten. Ich habe große Hoffnung, dass sich endlich etwas ändert. Am 12. Mai haben wir eine Petition übergeben, die die Mehrheit der rund 5.000 nicht-ärztlichen Beschäftigten am Uniklinikum unterschrieben hat. Das war der erste Schritt, jetzt werden die Forderungen in den Teams gesammelt.«

Annett K. ist Kinderkrankenschwester und Praxisanleiterin am Uniklinikum Dresden.

 

 
Richard U. ist Krankenpfleger und Personalrat am Uniklinikum Frankfurt.

»Bei den Warnstreiks zur Länder-Tarifrunde im Herbst hatten wir eine tolle Dynamik. Schon da war klar, worum es den Leuten eigentlich geht: um mehr Personal und Entlastung. Deshalb haben wir gleich weitergemacht. 1.300 Beschäftigte – die Mehrheit der Betroffenen – haben unsere Petition unterschrieben. Jetzt diskutieren die Teams ihre Forderungen. Am 24. Juni übergeben wir sie im Rahmen einer Demo an den Vorstand. Dazu ruft das neu gegründete ›Frankfurter Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus‹ auf. Die Solidarität, die wir aus der Stadtgesellschaft bekommen, ist total motivierend. Letztlich kommt es darauf an, dass wir aus dem Betrieb heraus genug Kraft entwickeln. Daran arbeiten wir.«

Richard U. ist Krankenpfleger und Personalrat am Uniklinikum Frankfurt.

 

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