Schwarzes Brett

Kürzt die Arbeitszeit!

16.06.2022

Weil wir es wollen und können.

Der Arbeitsvertrag legt deine Zeitschuld in Stunden fest. Viel zu oft lässt der Betrieb dich dennoch mehr arbeiten als du möchtest. Wegen solcher Arbeitsbedingungen werden frische Kollegen und Kolleginnen vergeblich gesucht. Willst du länger und länger arbeiten müssen?

Du kannst – mit anderen zusammen – die Arbeitszeit verkürzen. Das entlastet. Dann haltet ihr länger durch.

Tobias Michel (Schichtplan-Fibel) Zeichnung: Matthias Berghahn

 
Schwarzes Brett: Kürzt die Arbeitszeit

 

Im Osten: Der TVöD zieht gleich

In den fünf »neuen« Bundesländern zog der TVöD-B bereits zum Jahresbeginn nach. Die Zeitschuld der Vollzeitbeschäftigten in den Pflegeeinrichtungen und Heimen des öffentlichen Dienstes sank auf 39,5 Stunden pro Woche. Zum 1. Januar 2023 bewegt sich dann sowohl der TVöD-K als auch erneut der TVöD-B. Längst überfällig und doch mit Zwischenschritten gleicht sich das »Tarifgebiet Ost« an die Zeitschuld im Westen an, auf 38,5 oder 39 Stunden im Wochenschnitt. Es bleibt dabei: Diese Arbeitszeit ist in aller Regel nur auf fünf der sieben Tage einer Kalenderwoche zu verteilen (§ 6 Abs. 1 Satz 3 TVöD).

Wie bei jeder Arbeitszeitverkürzung stehen drei Möglichkeiten im Raum:

  • Der Feierabend beginnt täglich ein paar Minuten früher.
  • Am Freitagnachmittag startet das Wochenende früher.
  • Alle paar Monate steht ein zusätzlicher freier Tag im Plan.

Die Wahl zwischen diesen Optionen liegt zunächst bei den Teams. Überlasst sie besser nicht allein der Betriebsleitung oder den Vorgesetzten!

 

So geht’s weiter

Jeweils zum Jahreswechsel 2023 und 2024 verkürzen TVöD-B und -K die Zeitschuld um 30 Minuten je Woche.

Für die Ärztinnen und Ärzte bleibt der Wochendurchschnitt bei 40, in den Unikliniken sogar bei 42 Stunden.

 

 
Ich bin unzufrieden mit der Arbeitszeit

 

§ 7 Arbeitszeitgesetz

(2) Sofern der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird, kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung ferner zugelassen werden, […]

3. die Regelungen der §§ 3 [Pausen], 4, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen der Eigenart dieser Tätigkeit und dem Wohl dieser Personen entsprechend anzupassen

 

 

»Pausen«? Entsprechender Zeitausgleich!

Gesetzliche Pausen verlängern die betriebliche Anwesenheit. Doch manche Arbeitsunterbrechungen stellen Arbeitgeber unter die Auflage: »Nehmen Sie Pause, wenn nichts zu tun ist. Halten Sie sich aber im Arbeitsbereich bereit für den Fall, dass Sie gebraucht werden.« Die meisten Arbeitgeber verlieren da nicht so viele Worte.

Nur die Arbeit ruht. Doch die Kolleginnen und Kollegen halten sich bereit. Das kannst du im Dienstplan erkennen. Der weist nicht Beginn und Ende der Pausen aus. Auch in der Dokumentation der tatsächlichen Arbeitszeit findest du weder Anfang noch Ende einer Pause. Es fehlt bereits an einer ernsthaften Absicht zur Ablösung.

Ein guter erster Schritt ist dann stets: Wir dokumentieren durchgehend Arbeitszeit! Mit dem Erkennen der Arbeitszeit verkürzen wir sie noch nicht. Wir verkürzen so oft nur unsere Anwesenheit im Betrieb, je Woche potenziell um bis zu drei Stunden.

Die eigentliche, zusätzliche Arbeitszeitverkürzung verspricht § 7 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz: Wer für gelegentliche Erholungsphasen im Arbeitsbereich bereit bleibt, hat Anspruch auf entsprechenden Zeitausgleich!

 

 

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An: Personalleitung

Kopie: Interessenvertretung

Gesetzlicher Freizeitausgleich

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir betreuen Menschen – rund um die Uhr. Das ist wohl der Grund, warum Sie uns in den Schichten keine Pausen gewähren. Sie passen unsere Erholung an die Erfordernisse der Patient*innen und Klient*innen an.

Doch: »Entscheidendes Merkmal der Ruhepause ist, dass der Arbeitnehmer von jeder Arbeitsverpflichtung und auch von jeder Verpflichtung, sich zur Arbeit bereitzuhalten, freigestellt ist«. (BAG Urteil 29.10.2002 – 1 AZR 603/01, Rn. 20). Ihnen ist bekannt, wir arbeiten in diesem Sinn für Sie pausenlos in den

  • Nachtschichten
  • Wochenendschichten
  • Spätschichten
  • Bereitschaftsdiensten

Es reicht nicht, wenn Sie uns die gesamte pausenlose Schichtlänge als Arbeitszeit anrechnen. Das Arbeitszeitgesetz fordert in § 7 Abs. 2, dass Sie unseren Gesundheitsschutz zusätzlich durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleisten.

Bitte teilen Sie uns mit, wann Sie mit uns diesen Freizeitausgleich planen.

Mit freundlichen Grüßen

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So geht’s

Fundstellen: TVöD und TV-L öffnen in § 6 Abs. 4 diesen Weg.

Akteur*innen: Doch die Tarifverträge verlangen dazu eine betriebliche Vereinbarung. Also aktiviert euren Betriebsrat/Personalrat/die MAV!

Hürde: Der Arbeitgeber bewegt sich erst, wenn ihn etwas drückt. Alarmiert ihn jedes Mal, wenn er euch keine »echte« Pause gewährt. Versäumt er das wiederholt? Dann handelt es sich um Straftaten (§ 23 ArbZG). Wer nicht zum Gericht und ins Gefängnis will, sucht eine betriebliche Lösung.

Vergütung: Es drohen keine Verluste. Oft werden mehr Zeitzuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit fällig.

Tipp: In der Diakonie regelt § 9a Abs. 2 AVR.DD dafür als ersten Schritt (auch § 19 Abs. 2 AVR Bayern) die bezahlten Pausen. Das Bezahlen der tatsächlichen Arbeitszeit reicht noch nicht. Die Diakonie übersieht hier den »entsprechenden Zeitausgleich«.

Zeitausgleich: Freistellung von im Plan festgelegter Arbeitszeit

Nachlesen!

 

 
Ich möchte kürzere Arbeitszeit

 

Bereitschaftsdienst? Illegal und zu viel

Je mehr wir arbeiten, umso weniger Freizeit bleibt. Die zusätzlichen Stunden schmerzen besonders. Arbeitgeber sollen darum zusätzliche Arbeitszeit teurer bezahlen.

Bereitschaftsdienst ist zusätzliche Arbeitszeit. Doch sie wird fast immer deutlich schlechter vergütet als Regelarbeitszeit. Es fehlen die Zeitzuschläge für Sonntagsarbeit und die Wechselschichtzulage. Schlimmer noch:

  • Im Krankenhaus sinkt der Stundenlohn auf höchstens 90 Prozent,
  • in den Heimen auf gerade einmal 25 Prozent.

Verständlich, wenn Bereichsleitungen und Chefärzt*innen versuchen, sich daran zu klammern. Doch die allermeisten Bereitschaftsdienste sind gesetzwidrig.

  • ILLEGAL: Arbeitgeber verletzen ihre Pflicht, gesetzliche Pausen zu gewähren. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen sie niemanden ohne Ruhepause beschäftigen (§ 4 Satz 3 ArbZG). Das gilt auch im Bereitschaftsdienst. Die inaktiven Zeiten des Bereitschaftsdienstes gelten nicht als Pause. Arbeitnehmer*innen können auch im Bereitschaftsdienst nicht frei darüber verfügen, wo und wie sie solche Ruhepausen verbringen. Das steht einer Pause entgegen (BAG Urteil 16.12.2009 – 5 AZR 157/09).
  • ILLEGAL: Arbeitgeber verlängern die Schichten, ohne auf die Ruhezeiten zu achten. Jeder Werktag im Sinne der Schutzgesetze dauert – gerechnet von der Arbeitsaufnahme – 24 Stunden. Noch innerhalb dieser 24 Stunden liegt eine mindestens zehnstündige Ruhezeit; sie schließt sich an die allerletzte Arbeitsstunde an (§ 5 Satz 1 ArbZG; BAG Urteil 16.09.2020 – 7 AZR 491/19 Rn. 33).
  • VERTRAGSWIDRIG: Arbeitgeber verlängern die Arbeitszeit mit zusätzlichen Bereitschaftsdiensten. Was zusätzlich in der Nacht und am Wochenende geplant wird, stellt sich der regelmäßigen Zeitschuld in den Weg. Also verrechnen (faktorisieren) die Personalabteilungen, bis fast nur noch eins übrig bleibt: mehr betriebliche Anwesenheit.

Der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dies bereits vor drei Jahren durchkreuzt: Bereitschaftsdienste müssen die Beschäftigten gemäß § 7 Abs. 3 TVöD nicht anstatt der regelmäßigen Arbeitszeit leisten. Sondern allenfalls zusätzlich. Er führt nach § 8.1 TVöD-B/-K zu einer Entgeltsteigerung in Form von Bereitschaftsdienstentgelt. Minusstunden im Plan (»fehlende« Arbeitszeit) dürfen nicht gegen diesen Vergütungsanspruch verrechnet werden (BAG Urteil 17.01.2019 – 6 AZR 17/18 TVöD-B).

 

 

So geht’s

Merke: Zunächst ist im Dienstplan die gesamte fällige regelmäßige Zeitschuld zu verteilen. Erst ab dann können – zusätzlich – Bereitschaftsdienste ergänzt werden, mit klaren Pausenregeln und abschließender Ruhezeit. Allerdings bleibt so im Plan kaum noch Platz für Bereitschaftsdienst.

Akteur*innen: Jede*r könnte sich – allein auf sich gestellt ­– weigern, gesetz- und tarifwidrige Schichten zu übernehmen. Doch wer an den überkommenen Grundfesten der Arbeitszeitmodelle rütteln will, sucht besser starke Verbündete: im Team, in der Interessenvertretung, im Arbeitsschutzausschuss.

Rückenwind: Personalräte freunden sich schnell mit der Entscheidung zur Ruhezeit an (16.09.2020 – 7 AZR 491/19 Rn. 33). Denn hier sprachen die Richter einem Personalratsmitglied Ansprüche zu.

Hürde: Betriebsräte tun sich gelegentlich schwerer. Denn im Schrank liegen gesetzwidrige Betriebsvereinbarungen.

Vergütung: Soweit überhaupt Bereitschaftsdienstvergütung gezahlt wird, steht diese auf dem Spiel. Zum Ausgleich winken die Wechselschichtzulage, Sonntags-Zeitzuschläge und Zusatzurlaubstage.

Kirchen: Auf neun Stunden gekürzte Ruhezeiten erlaubt § 9a Abs. 4 der AVR.DD, ebenso § 1 Abs. 10 Anl. 5 AVR Caritas. Jedoch nur, »wenn die Art der Arbeit dies erfordert«. Schlechte Arbeitszeitmodelle rechtfertigen nichts.

Abseits: Die meisten Ärzt*innen verdienen gemäß Tarifvertrag Ärzte bereits in jeder Stunde Bereitschaftsdienst 100 Prozent ihrer Stundenvergütung. Sie dürfen einen Teil der Schicht schlafen. Da entsteht wenig Druck für eine Veränderung.

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AWO Augsburg: Einigung auf 35-Stunden-Woche

Für den Haustarifvertrag bei der AWO Augsburg wird derzeit die schrittweise Verkürzung von bisher 39 auf 35 Wochenstunden redaktionell ausformuliert. Im Gegenzug schlucken die Kolleg*innen zwar die »Kröte« einer zeitweisen Ausweitung der Zeitkorridore. Doch unterm Strich gibt es bald deutlich mehr Freizeit. Mit einem Zwischenschritt bis September 2024 werden für alle die 35 Stunden erreicht. Die Entgeltsteigerung fiel deutlich unter der Inflationsrate aus. Altbeschäftigte in der Pflege, im Erziehungs- und Sozialdienst können auch darum alternativ zur Arbeitszeitverkürzung nach einer Entgelterhöhung im selben Umfang greifen. Mehr Infos hier.

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Recht gesprochen

Tarifwidrige Rufbereitschaft: verweigern!

In der Gesamtschau dieser Umstände – Arbeitsanfall in nahezu der Hälfte aller Rufbereitschaften, dabei in mehr als einem Viertel aller Rufbereitschaften Inanspruchnahme im Klinikum, Arbeitsleistungsanteil insgesamt 4 Prozent – ist während der Hintergrunddienste des Klägers erfahrungsgemäß nicht lediglich im Ausnahmefall Arbeit angefallen. […] Der betroffene Arbeitnehmer […] kann individualrechtlich die Ableistung tarifwidrig angeordneter Rufbereitschaften verweigern. Kollektivrechtlich ist es die Aufgabe des Betriebsrats, im Rahmen der ihm zustehenden Mitbestimmungsrechte auf die Einhaltung der anzuwendenden Tarifverträgen zu achten.

➜ BAG Urteil 25.03.2021 – 6-AZR-264/20 (zu § 7 Abs. 4 TV Ärzte, entspricht TVöD / TV-L)

 

 

Tarifwidriger Bereitschaftsdienst: verweigern!

Selbst die rechtswidrige Anordnung von Bereitschaftsdienst hat nicht zur Folge, dass die Zeit des Bereitschaftsdienstes vergütungsrechtlich wie reguläre Arbeit zu behandeln ist. […] Der Arbeitnehmer kann die Leistung von gesetzwidrigen wie von vertragswidrigen Bereitschaftsdiensten verweigern und ggf. einen Annahmeverzug des Arbeitgebers herbeiführen. Als Sanktionen kommen die Straf- und Bußgeldvorschriften des ArbZG in Betracht.

➜ LAG Berlin-Brandenburg Urteil 19.06.2014 – 26 Sa 147/14

 

Pausenlos?

Die vertragsgemäße Anwesenheit in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers, verbunden mit der Pflicht, bei Bedarf jederzeit berufliche Tätigkeit aufzunehmen, ist in vollem Umfang Arbeitszeit.

➜ EuGH 03.10.2000 – Rs. C-303/98

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Pausen? Da geht was!

Infoveranstaltung, online und kostenfrei 25. Juli 2022, von 10 bis 12 Uhr ausgerichtet von ver.di b+b und der Schichtplan-Fibel.

 

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Gesundheit Soziale Dienste Wohlfahrt und Kirchen (ver.di), drei.81, Schwarzes Brett, Arbeitszeit,
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