Grenzen überwinden

Der philippinische Krankenpfleger Chuck Colas weiß aus eigener Erfahrung, wie sich Kolleg*innen aus dem Ausland am besten für ver.di gewinnen lassen.
10.12.2024
Darf ich überhaupt streiken? Worum geht es? Und: Wofür steht ver.di? Der philippinische Krankenpfleger Chuck Colas musste sich erstmal schlau machen – jetzt gibt er sein Wissen an seine Community weiter.

Nur Flyer übersetzen reicht nicht, vor allem braucht es viel Zeit und direkte Ansprache: Der philippinische Krankenpfleger Chuck Colas weiß aus eigener Erfahrung, wie sich Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland am besten für ver.di gewinnen lassen. 

von Kathrin Hedtke

 

Vor seinem ersten Warnstreik war Chuck Colas etwas mulmig zumute. Wer auf den Philippinen streikt, riskiert, gefeuert zu werden. »Deshalb hatte ich Angst.« Zudem behagte dem Krankenpfleger vom Uniklinikum Bonn nicht, sich einfach so bei seinen deutschen Kolleginnen und Kollegen einzureihen. »Wegen meiner Erfahrungen«, sagt der 39-Jährige, »konnte ich mir nicht vorstellen, mit ihnen zusammen Spaß zu haben.« Fast alle aus seinem Team der Kardiologiestation beteiligten sich 2022 an der Tarifbewegung für Entlastung in Nordrhein-Westfalen. Chuck Colas wusste am Anfang nicht so recht, worum es geht. Auch mit Gewerkschaft konnte er wenig anfangen. Doch als ihm ein Kollege ein Flugblatt in die Hand drückte, informierte er sich. Sofort stand für ihn fest: »Das finde ich wichtig!« Chuck Colas trat in ver.di ein – und ist seitdem aktiv.

»Ich bin quasi ihr Dolmetscher«

Als einziger philippinischer Pfleger sei er am Anfang auf den Kundgebungen aufgefallen. »Sie fragten mich: Hey Chuck, kannst du deine Leute mitbringen?« Er sprach Pflegekräfte aus seiner Community an, informierte per Facebook, Instagram und WhatsApp, worum es bei der Tarifbewegung geht, welche Rechte die Beschäftigten haben und wofür ver.di steht. Mit Erfolg. Inzwischen seien alle philippinischen OP-Pflegekräfte in der Gewerkschaft, sagt Chuck Colas stolz. »Ich bin quasi ihr Dolmetscher.« Er will dazu beitragen, dass sie sich nicht so fremd und einsam fühlen wie er in seiner Anfangszeit. 

Eine Grenze trennte ihn von den Kolleg*innen

Wenn Chuck Colas von seinem Start in Deutschland erzählt, kommen ihm auch acht Jahre später noch die Tränen. Ganz neu in einem völlig fremden Land, ohne Freunde und ohne die Sprache richtig zu sprechen: »Das war echt hart.« Die ersten zwei Jahre habe er geweint, jeden Tag. Dabei war er voller Freude nach Deutschland gekommen. In Südostasien hatte er nach dem Pflegestudium als Krankenpfleger gearbeitet – und zusätzlich als Kundenberater in einem Callcenter. »Bei uns verdient man in der Pflege zu wenig.« Zu dieser Zeit schloss die Bundesregierung mit seinem Heimatland ein erstes Anwerbeabkommen für Pflegekräfte ab. Als seine Schwester ihm von einem Freund erzählte, der für ein Altersheim in Nordrhein-Westfalen philippinische Pflegekräfte suchte, musste Chuck Colas nicht lange überlegen. Zumal seine Tante in Boppard am Rhein lebt.

Dann ging es los, ins private Pflegeheim in der deutschen Provinz. »Mein Chef war wirklich super.« Er habe ihm geholfen, wo er nur konnte. Auch die Kolleginnen und Kollegen seien eigentlich in Ordnung gewesen. Aber die Sprachbarriere habe immer zwischen ihnen gestanden. »Ich hatte das Gefühl, dass die Leute mich für dumm halten.« Der junge Kollege spürte, dass ihn eine »Grenze« von den anderen trennte. Sonst sei er immer gut gelaunt, berichtet er, aber in dieser Zeit im Altersheim wurde er fast depressiv. Bei Youtube stellte er ein Video ein, die Botschaft: Ja, in Deutschland kann man als Pflegekraft gut Geld verdienen. »Aber ist es das wert?«

Migrantische Beschäftigte gezielt ansprechen

Ein Freund aus Bonn schlug vor, ans dortige Universitätsklinikum zu wechseln. »Die beste Idee.« Kurz darauf konnte Chuck Colas in der Kardiologie anfangen, begann nach wenigen Monaten eine Weiterbildung zum Fach-OP-Pfleger. Inzwischen arbeiten an der Uniklinik mehr als 500 Pflegekräfte aus den Philippinen, plus jene aus Mexiko, Pakistan, Iran und anderen Ländern. Um sie für ver.di zu gewinnen, sei es nicht damit getan, ein Flugblatt zu übersetzen. »Wir müssen sie gezielt ansprechen und dafür viel Zeit einplanen.« Auch sei es sinnvoll, Schlüsselpersonen aus den Communities zu gewinnen. Chuck Colas ist überzeugt, dass sich der Einsatz für alle Seiten lohnt. Zudem schweißt es enorm zusammen, gemeinsam für eine Sache zu kämpfen. »Jetzt kann ich wieder lachen.«

 

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