Reportage

Pommes ohne Würstchen

Ob Essen oder Wohnen: Studierendenwerke sollen junge Menschen während des Studiums unterstützen. Doch die Zuschüsse sind viel zu gering. Das geht auf Kosten der Studierenden – und des Personals.
29.03.2023


Als die ersten Lastwagen frühmorgens durch die Schranke auf den Mainzer Unicampus rollen und an der Laderampe des Studierendenwerks stoppen, ist es draußen noch stockdunkel. Ab 5.30 Uhr lädt Lukas Steinau eine Lieferung nach der anderen auf seinen blauen Rollwagen: Säcke voller Reis, Gemüse- und Obstkonserven, Paletten mit frischem Salat. Mit dem Aufzug geht es ins Untergeschoss der Mensa, im fahlen Licht der Neonröhren verstaut er dort alle Lebensmittel in Lagerräumen, stapelt Pappkartons mit tiefgekühlten Karottenstücken bei minus 20 Grad im Kühlraum. »Ich bin hier die helfende Hand«, sagt Lukas Steinau. Immer wieder eilt der Logistikmeister hoch und runter, überprüft Lagerbestände und Haltbarkeitsdatum, stellt die Bestellungen für Mensen und Cafeterien zusammen, hakt Waren auf seinem Klemmbrett ab und digitalisiert die Lieferscheine.

 
Lukas Steinau sorgt dafür, dass alle Waren an den richtigen Platz kommen.

Ein Lieferant brachte nicht wie bestellt tiefgefrorenes Gemüse für Asiapfanne, sondern Chinagemüse. »Jetzt muss alles im System geändert werden«, sagt Ulrich Hempe, zuständig für den Einkauf. Die Zusatzstoffe müssen überprüft, Allergene wie Sellerie oder Erdnüsse gekennzeichnet werden. Falsche Waren, falsche Mengen, falsche Preise: Jeder kleine Fehler bringt den kompletten Ablauf durcheinander, die Abrechnung stimmt nicht mehr.

 »Wir kommen mit der Arbeit kaum hinterher«, sagt Ulrich Hempe. Das Team der Hochschulgastronomie des Studierendenwerks wurde stark zusammengekürzt. Direkt zu Beginn der Corona-Pandemie wurde die Hochschulgastronomie geschlossen und rund 45 Saisonkräfte erhielten keine neuen Arbeitsverträge, berichtet der ver.di-Vertrauensmann. Viele hätten vorher jahrelang während der Semester in der Küche oder an der Kasse gearbeitet. »Das war für die Leute bitter.« Und auch die Stammbelegschaft habe darunter zu leiden. Ihr Stress sei stark gestiegen, der Krankenstand hoch. »Wir stehen den ganzen Tag unter Strom«, sagt der Einkaufsleiter.  

Will die Cafeteria eine Müslibar aufbauen oder Brötchen mit veganem Aufstrich anbieten, stellt sich für den Einkaufsleiter stets aufs Neue die Frage: »Wo bekomme ich die Zutaten her?« Produkte sind nicht lieferbar, Mengen nicht verfügbar, Preise gestiegen. So habe sich etwa der Kilopreis für Fleisch fast verdoppelt, Spülmittel koste 30 Prozent mehr. Alles werde teurer. »Doch das Land hat die Zuschüsse seit Jahrzehnten nicht erhöht.«

 
Köchin Elke Spieß liebt den Kontakt zu den Studierenden: »Macht Spaß und hält jung.«

»Corona hat voll reingehauen«

Die Studierendenwerke wurden vor über 100 Jahren von Hochschullehrkräften und Studierenden gegründet, um junge Menschen während des Studiums zu unterstützen. Ob Essen, Wohnen, BAföG oder Beratung, bis heute gilt: »Die Studierenden sollen in Ruhe studieren, wir kümmern uns um den Rest!« Doch die Studierendenwerke müssten in die Lage versetzt werden, ihren öffentlichen Auftrag erfüllen zu können. Das wird immer schwieriger. So bleibe ihnen nichts anderes übrig, als die Preise fürs Essen oder die Semesterbeiträge zu erhöhen. Richtig findet Ulrich Hempe das nicht. Im Gegenteil. »Die Preise müssten viel niedriger sein.« Neben ihm in der Cafeteria nickt Elke Spieß hinter der Theke. Die Köchin wirft Pommes in die Fritteuse, brutzelt Würstchen auf dem Grill, heißes Fett spritzt. Studierende zahlen 3,28 Euro pro Portion. In der Mensa kostet ein Hauptgericht mit Fleisch und Beilagen knapp 5 Euro. Viel Geld, sagt Elke Spieß. »Aber Hallo!«

»Die Corona-Pandemie hat bei den Studierendenwerken voll reingehauen«, sagt Ulrich Hempe – und zeigt im Foyer der Zentralmensa auf die linke Treppe: Ein Band sperrt den Eingang ab, unten stehen hunderte Holzstühle ordentlich in Reih und Glied, alles ist dunkel, die Ausgabe leer. »Wir haben von vier Theken immer noch nur zwei geöffnet.« Die Essenszahlen seien längst nicht auf dem Niveau von vor der Pandemie.

 
Ulrich Hempe beobachtet mit Sorge, dass das Tempo auf der Arbeit immer schneller wird.

Nur noch halb so viel Personal

Auch in der Mensa der TH Bingen-Büdesheim – einer Außenstelle des Mainzer Studierendenwerks – sind die Einschnitte spürbar. Vor der Pandemie seien sie im Team zu acht gewesen, berichtet der Koch Heiko Schug. Jetzt sind es nur noch halb so viele. Das wirkt sich auch aufs Angebot aus: Standen vorher jeden Tag zwei Gerichte auf dem Speiseplan, gibt es jetzt nur noch ein Hauptgericht plus Eintopf. Viele Studierende schimpften, sagt der Koch. Die einen wünschen sich mehr Fleisch, die anderen mehr vegane oder vegetarische Gerichte. »Ich würde gerne beides anbieten.« Aber wie soll das mit so wenig Personal gehen? Heiko Schug zuckt mit den Schultern. Kürzlich wurde eine Stelle ausgeschrieben: Für vier Stunden an vier Tagen, nur während des Semesters, mit niedriger Eingruppierung. Auf die Stelle hat sich niemand beworben.

Weil vom Vortag noch Bohnen übrig sind, bereitet Heiko Schug kurzerhand ein Chili sin Carne zu, danach kocht er Milchreis und Mangopüree. In der Küche streut er im Vorbeigehen etwas Salz auf die Pommes, danach setzt er sich an die Kasse oder gibt Essen aus, damit die Kolleginnen mal kurz Pause machen können. Der Koch bestellt die Waren, nimmt die Lieferung entgegen – und hilft in der Spülküche. Früher haben die Studierenden ihre Tabletts auf ein automatisches Band gestellt, eine Maschine sortierte Besteck und Geschirr. Jetzt steht das Förderband still. »Die Reinigung dauert viel zu lange«, erklärt Heiko Schug. »Dafür hat niemand Zeit.« Deshalb sortieren sie per Hand.

Wenn der Koch krank ist, springt oft beherzt Wilma Wirtz ein. Die Kauffrau sitzt eigentlich nebenan im Büro, ist zuständig fürs Wohnheim in Bingen und berät Studierende in finanziellen Schwierigkeiten. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich die Anträge: Auf vielen Seiten erklären die Studierenden feinsäuberlich, warum sie mit ihrem Geld nicht über die Runden kommen und Unterstützung benötigen. »Tendenz stark steigend.« Dabei wüssten die meisten Studierenden gar nicht mal, dass sie Zuschüsse fürs Mittagessen oder Einmalhilfen pro Semester beantragen könnten.

Viele Studierende klagen Wilma Wirtz ihr Leid. Nur wenige haben das Glück, einen Platz im Wohnheim zu ergattern. Die Warteliste sei lang, berichtet die Bürokauffrau. Und auch dort werden die Mietpreise für ein Zimmer mit Küchenzeile und Bad jetzt um 20 Euro auf 384 Euro erhöht. Aus Geldnot kochten viele ihr Essen selbst, so Wilma Wirtz, oft Nudeln mit Tomatensoße. »Das Essen in der Mensa ist vielen zu teuer.«

Der Koch sagt, dass viele Studierende nur Beilagen bestellten. Am besten verkaufen sich Eintöpfe – und Würstchen mit Pommes für 1,70 Euro. Am Ende des Monats nur noch Pommes. Heiko Schug freut sich immer, wenn er sieht, wie die Studierenden an den Tischen zusammensitzen. »Dieser Austausch ist so wichtig«, findet er. »Da geht es um viel mehr als nur Essen.« Als die Cafeteria schließt, putzt er noch die Küche.


Kathrin Hedtke

 
Immer Süßigkeiten parat: Wilma Wirtz hat ein großes Herz für Studierende.

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