von Kathrin Hedtke
Nach jeder Operation klingelt das Diensttelefon in der Tasche ihres grünen Arbeitskittels: Der OP-Saal soll bitte gereinigt werden, so schnell wie möglich, auch mitten in der Nacht und am Wochenende. »Wir sind immer unter Zeitdruck«, sagt Ana Maria P. Die 51-Jährige ist bei den Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden als Vorarbeiterin des OP-Reinigungsdienstes angestellt. Bei jedem Anruf schickt sie sofort Kolleginnen oder eilt selbst los: Die Reinigungskräfte putzen Blut weg, wischen Böden und Wände, reinigen Oberflächen, säubern Geräte, entsorgen Müll und schmutzige Wäsche. Zum Schluss desinfizieren sie den kompletten Operationssaal. »Wir haben eine große Verantwortung«, sagt Ana Maria P. Hygienemängel im Krankenhaus könnten zum Tod führen.
»Doch wir haben viel zu wenig Personal.« Darunter leide zwangsläufig die Hygiene. Früher, als die Klinik noch der Stadt gehörte, waren 19 Kolleginnen und Kollegen für den Zentral-OP mit 15 Sälen zuständig. Seit der private Helios-Konzern das Haus übernommen hat, seien es noch sieben.
Ana Maria P. putzt seit über 30 Jahren in der Klinik. Großgeworden ist sie in einem Dorf in Portugal. Nach der Schule wollte sie etwas von der Welt sehen, fuhr mit dem Bus zu ihrer Tante nach Wiesbaden – und blieb. Erst jobbte sie als Tagesmutter und Zimmermädchen in einem Hotel, dann wechselte sie ins städtische Krankenhaus und arbeitete viele Jahre auf der Kinderstation als Reinigungskraft, Hand in Hand mit den Pflegekräften. In der Pause frühstückten alle zusammen. »Wir waren wie eine Familie.« Vor allem hätten sie Zeit gehabt, ihre Arbeit richtig zu erledigen. Jetzt kämen die Reinigungskräfte auf den Stationen oft nur dazu, einmal ganz schnell durchzuwischen – und fertig.
Kürzlich klingelte mitten in der Nacht ihr Handy, als sie auf einer Geburtstagsfeier war: Die einzige Kollegin in der Nachtschicht war umgekippt – und niemand war mehr da, um die OP-Säle zu putzen. Ana Maria P. ermutigt ihr Team, auch im größten Stress nicht auf ihre Pausen zu verzichten. »Viele machen immer alles möglich, rennen noch schneller. Aber dadurch wird ja nichts besser.« Zumal der Job körperlich sehr anstrengend ist. Etwa 17.000 Schritte legt sie pro Schicht zurück, zehn Kilometer. »Mir tut alles weh.« Wenn es ganz schlimm wird, nimmt sie eine starke Schmerztablette – und arbeitet weiter. Sie zeigt auf ihren Rücken, seit Wochen kann sie nur mit Wärmflasche schlafen. Hinzu kommt ihr schlechtes Gewissen. Ihr Arzt fragte Ana Maria P. neulich, warum sie so viele Migränetabletten braucht. »Es ist immer ein blödes Gefühl, wenn ich nach Hause fahre und mein Team alleine lassen. Ich sehe ja, wie viel noch zu tun ist.«
Zum Glück hat Ana Maria P. noch ihren alten Vertrag und wird nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt – im Gegensatz zu vielen Kolleg*innen, die bei einer ausgegliederten Servicegesellschaft angestellt sind. »Das ist unfair«, findet die Vorarbeiterin, »und sorgt für schlechte Stimmung.« Ihre Forderung: »Ein Betrieb, eine Belegschaft, ein Tarifvertrag.«
Als Helios die Klinik übernahm, trat Ana Maria P. in ver.di ein. Die Gewerkschaft war ihr schon vorher ein Begriff, von den Streiks in den Tarifrunden. »Dass die Leute auf die Straße gehen und laut ihre Meinung sagen, das hat mir gefallen.« Inzwischen sei ihr gesamtes Reinigungsteam im Zentral-OP in ver.di organisiert. »Damit wir ein anderes Arbeitsklima schaffen.« Deshalb hat sie sich auch in den Betriebsrat wählen lassen. Ihr Ziel: »Entlastung! Und mehr Personal! Davon profitieren alle.«