Das Arbeitszeitgesetz schützt. Doch durchlöchern die Gesetzgeber diese Ansprüche sogleich durch unübersichtliche Ausnahmen. Auch unsere Tarifverträge schützen. Doch bleiben deren Paragrafen oft schwer verständlich. Also kommt uns das Schutzversprechen der Arbeitswissenschaft gerade recht!
Autor: Tobias Michel (schichtplanfibel.de) Zeichnungen: Matthias Berghahn
§ 6 Nacht- und Schichtarbeit
(1) Die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer ist nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen.
»Ist … festzulegen«? Die Vorgesetzten müssen die gesamte Arbeitszeit der Schichten endgültig bestimmen. Das bloß ungefähre Ankündigen von Tagen mit »Dienst« reicht nicht. Damit legt sich auch der Arbeitgeber fest. Der Dienstplan wird verbindlich – für beide Seiten bindend.
Auch wenn manche Vorgesetzten es nur schwer glauben möchten – das Arbeitszeitgesetz ist hier zwingend. »Es handelt sich um eine öffentlichrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, die gegebenenfalls mit einer Anordnung durchgesetzt werden kann.« So weist zum Beispiel das NRW-Arbeitsministerium seine Aufsichtsämter an.
Arbeitswissenschaftler*innen ordnen nichts an. Sie leiten aus ihren Forschungen Empfehlungen ab. Zahlreiche Institute und Ämter sammeln diese Erkenntnisse. Aus dem, was in Fachkreisen weitgehend unumstritten ist, haben sie über die Jahre hinweg einen Kanon geformt. Wir stellen diese Quellen für alle bereit.
Jede der Empfehlungen nimmt unterschiedliche Belastungen in den Blick und zieht eine Grenzlinie. Das führt dann zu widersprüchlichen Vorschlägen, wie Belastungen zu verteilen und zu begrenzen sind. Und doch steht es den Vorgesetzten nicht etwa frei, aus all den Vorschlägen ein paar genehme herauszupicken.
Die Beschäftigten selbst dürfen und sollen entscheiden, was sie besonders belastet. Und genau die dann passenden Vorschläge der Arbeitswissenschaft sind anderen vorzuziehen. »Sie sind gegebenenfalls gegeneinander abzuwägen und entsprechend der betrieblichen und individuellen Wünsche der Beschäftigten umzusetzen. Ziel ist, bei aller Belastung der Beschäftigten durch Nacht- und Schichtarbeit die menschengerechte Gestaltung der Arbeit so gut wie möglich zu gewährleisten.«
Bezirksregierung Detmold t1p.de/arbeitszeitgesetz
Unterschiedliche Bedürfnisse: Wer Wechselschichtarbeit leisten muss, klagt meist über überlange Nachtschichtfolgen. Mit jeder zusätzlichen Nacht wächst die Erschöpfung. Da bringen eingeschobene Freischichten Entlastung. Doch Kolleginnen und Kollegen in Dauernachtarbeit wünschen sich ihre Freischichten verblockt in Freiwochen. Dafür sind sie bereit, eine massierte Folge an Nachtschichten hinzunehmen.
Legt ein Dienstplan deine Schichten fest? Entgegen den Empfehlungen der Arbeitswissenschaft? Doch diese Leitlinie ist dir wichtig? Rechtswidrige Anordnungen bleiben unverbindlich!
»Das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht ist für den Arbeitgeber auch zivilrechtlich bindend und nicht per Vertrag abdingbar*. Bei Verstoß gegen das ArbZG hat der Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht sowie ggfs. einen Anspruch auf Schadensersatz.« (DGAUM 2020)
*verkäuflich; darf abweichend ersetzt werden
Neben der bezahlten Arbeitszeit müssen viele Beschäftigte noch – unbezahlte – Familienarbeit leisten. Auch diese belastet. Doch sie bleibt in den Dienstplänen unsichtbar. Deshalb räumt die Arbeitswissenschaft bei Schichtarbeit den Wünschen der Einzelnen einen Vorrang ein:
Die Teams entscheiden, bis wann der Dienstplan ausgehängt wird. Die Schichtarbeitenden brauchen für ihre Lebensplanung Pläne, auf die sie sich verlassen können.
Mit jeder Stunde steigt die Belastung in einer Schicht. Mit jeder Schicht wachsen Ermüdung und Erholungsbedarf.
Spätschichten und Wochenddienst belasten das soziale Leben. Der Erholungswert von zwei zusammenhängenden freien Tagen ist höher als der von vereinzelten Freischichten. Deshalb:
Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat.
BAG 09.12.2020 – 10 AZR 333/20, Randnummer 37
Die Belastung und Beanspruchung der Beschäftigten steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Anzahl der Nächte pro Monat und die Anzahl der Nächte hintereinander, in denen Nachtarbeit geleistet wird.
BAG Urteil 09.12.2020- 10 AZR 334/20, Rn. 70
Wochenendarbeit muss vertraglich geregelt sein und kann nicht allein als Direktive vom Chef vorgeschrieben werden.
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil 24.10.2003 – 9 Sa 521/03
Die zusammenhängende Freizeit an den Wochentagen Samstag/Sonntag [wird] ganz allgemein als erstrebenswert und vorteilhaft angesehen.
LAG Berlin-Brandenburg Urteil 20.08.2015 - 26 Sa 2340/14, Rn. 23
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags dokumentierte 2021 ausgewählte Studien zu Regelungsfragen des Arbeitszeitgesetzes aus arbeitswissenschaftlicher Sicht
(WD-6-085-21).
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