Die Bundesregierung will finanzielle Anreize setzen, länger zu arbeiten: Die Beschäftigten sollen mehr Überstunden machen, Teilzeitkräfte sollen ihre Arbeitszeit aufstocken und nach Erreichen des Rentenalters soll man bitte weiterarbeiten. Verkehrte Welt habe ich gedacht, als ich dies das erste Mal hörte. Bei den Beschäftigten will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) »Lust auf Überstunden« entfachen. Das muss in den Ohren der völlig überlasteten Altenpflegerin wie Hohn klingen. Die Bundesregierung sollte besser überlegen, wie sie bei Arbeitgebern die Lust auf Bezahlung von Überstunden wecken kann. Schließlich waren von den 1,33 Milliarden Überstunden im vergangenen Jahr weit mehr als die Hälfte unbezahlt.
Hinzu kommt, dass die Regelung Teilzeitkräfte benachteiligt, deren Mehrarbeit weiterhin voll besteuert werden soll. Das sind zum größten Teil Frauen. Überhaupt: Der Gleichstellung erweist die Bundesregierung einen Bärendienst. Die Wahrscheinlichkeit, dass vor allem Männer mehr arbeiten, ist hoch. Und bleiben Kindererziehung und Haushalt dann noch stärker an der Frau hängen?
Auch beim Thema Teilzeit braucht die Bundesregierung offensichtlich Nachhilfe. So viele Kolleg*innen würden sich freuen, Vollzeit zu arbeiten, allein ihr Arbeitgeber macht da nicht mit. Besonders häufig werden im Reinigungsdienst und in der Hauswirtschaft ausschließlich Teilzeitstellen angeboten, die Kolleg*innen müssen sich Zweit- oder sogar Drittjobs suchen. Zudem gibt es unzählige Beschäftigte, die einfach nicht mehr können und sich in die Teilzeit flüchten. Mit mehr Geld ist ihnen nicht geholfen, sie brauchen Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen. Viele arbeiten Teilzeit, weil sie sich um ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern. Die Probleme unzuverlässiger Kita-Öffnungszeiten aufgrund von fehlendem Personal und die Not, für pflegebedürftige Menschen keine entsprechende Versorgung zu finden, kennen wir im ver.di-Fachbereich zur Genüge.
Den Plan, dass die Menschen länger als bis zum Rentenalter arbeiten sollen, dürften viele Kolleg*innen als zynisch empfinden. Können sie sich doch gar nicht vorstellen, überhaupt gesund bis zur Rente durchzuhalten. Unsere Forderungen für Gute Arbeit liegen auf dem Tisch. Anreize für längeres Arbeiten gehören nicht dazu.