Die rasante Inflation macht den Menschen zu schaffen. Im August stiegen die Preise nach vorläufigen Berechnungen um durchschnittlich 7,9 Prozent. Für Nahrungsmittel und Energie waren es sogar 16,6 bzw. 35,6 Prozent. ver.di macht Druck für soziale Antworten auf die Krise. Die Bundesregierung hat in ihren Entlastungspaketen einige Gewerkschaftsforderungen aufgegriffen. »Das ist ein Erfolg«, betont der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Doch sie seien »nur ein halber Schritt«, weitere Maßnahmen müssten folgen.
Beschäftigte und Rentner*innen erhalten einmalig 300 Euro, Studierende und Auszubildende 200 Euro. Zugleich sparen Hochverdiener*innen durch Lindners Steuerpläne bis zu 1.000 Euro. Geht´s noch? ver.di fordert weitere Unterstützung für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen.
Eine Antwort auf die Inflation sind höhere Löhne. Steuerfreie Einmalzahlungen alleine helfen nicht weiter. Werneke betont: »Wir haben es leider mit dauerhaft steigenden Preisen zu tun, diese erfordern nachhaltig wirkende Engelterhöhungen.« Das ist das Ziel von ver.di in den anstehenden Tarifrunden.
»Am Fetisch der Schuldenbremse festzuhalten, ist völlig unverständlich«, kritisiert Werneke. Werden Vermögende nicht angemessen besteuert und bleibt zugleich die Schuldenbremse, ist das Ergebnis absehbar: Kürzungen bei Bildung, Sozialem, Klima und Gesundheit. Wir wehren uns und fordern stattdessen den massiven Ausbau des Sozialstaats und der öffentlichen Infrastruktur. Allein in den Krankenhäusern besteht ein Investitionsstau von mindestens 30 Milliarden Euro. Auch an Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen die Budgets angesichts steigender Ausgaben dringend erweitert werden.
12,8 Prozent der Mieter*innen sind laut Statistischem Bundesamt mit ihren Wohnkosten überlastet, denn sie müssen über 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Wohnen ausgeben. Noch deutlich höher sind die Anteile unter Alleinerziehenden, Menschen mit niedrigem Einkommen und denjenigen, die in Großstädten leben. Jetzt kommt die Preisexplosion bei der Energie hinzu. Es braucht eine echte Preisbremse für Strom und Gas. Und: Die Mieten müssen runter!
»Die kleinen Leute haben das Nachsehen. Es ist eine zunehmende Belastung, nicht zu wissen, wie ich meine Rechnungen weiter bezahlen kann. Zum Glück habe ich Kinder, die mich unterstützen – und einen Garten für meinen Gemüsebedarf. Möchte ich meinen Enkelkindern mal was schenken, spare ich es mir zusammen. Die Gesellschaft hat sich verändert. Ein Leben lang habe ich im Schichtdienst gearbeitet und auch drei Söhne großgezogen. Heute muss ich mir Sorgen machen, mein tägliches Brot und eine warme Heizung im Winter bezahlen zu können. Aber ich beklage mich nicht – schlimmer geht immer. Trotzdem darf es so nicht weitergehen. Wir brauchen mehr Solidarität und Zusammenhalt.«
»Alles wird extrem teuer. Viele wissen nicht mehr, wie sie ihre Energierechnung bezahlen sollen. Auch mein ökologisch sinnvolles E-Bike muss ich erstmal zurückstellen. Ich hätte zwar gerne noch die 35-Stunden-Woche, aber in dieser Tarifrunde hat eine ordentliche Gehaltserhöhung Vorrang. Wenn es nicht anders geht, dann gehe ich dafür auch gerne auf die Straße. Wir finden jetzt schon kaum Personal. Klatschen war schon immer eine blöde Idee. Anerkennung zeigt man auch durch ein ordentliches Gehalt, das zum Leben reicht.«
»Die Preisexplosion bringt auch viele Studierende in ernsthafte Schwierigkeiten. Für sie gibt es einmalig 200 Euro – das ist zu kurz gesprungen. Und auch die Hochschulen selbst haben ein Problem: Wenn die Preissteigerungen nicht durch höhere Budgets ausgeglichen werden, sind massive Kürzungen zu befürchten. Woher soll das nötige Geld kommen? Am besten von denjenigen, die durch Krieg und Krise auch noch Extra-Gewinne einfahren. Sie müssen endlich angemessen besteuert werden.«
»Ich arbeite in der Jugendhilfe in den aufsuchenden Hilfen. Da nur ein Dienstauto für rund 30 Beschäftigte zur Verfügung steht, müssen wir die Wege zu den Klient*innen mit dem Privatwagen zurücklegen. Die Mehrkosten durch die hohen Spritpreise zahlen wir aus eigener Tasche, da die Kilometerpauschale ewig nicht angepasst wurde. Dazu kommt bei mir, dass ich ansonsten gar kein eigenes Auto benötigen würde. Seit kurzem bin ich in der Mitarbeitervertretung und auch ver.di-Mitglied. Ich werde darum kämpfen, dass sich das deutlich verbessert.«
1| Trifft die Inflation alle gleich?
Nein. Die haushaltsspezifische Inflationsrate von Familien mit geringem Einkommen betrug laut IMK-Institut im Mai 8,9 Prozent, während die Preise für Singles mit sehr hohem Einkommen um lediglich 6,5 Prozent zulegten. Der Grund ist, dass Erstere anteilig mehr für Energie und Nahrungsmittel ausgeben müssen, die sich besonders stark verteuern.
2| Leiden alle unter der Krise?
Nein. Während die Kaufkraft der Beschäftigten massiv einbricht, fahren viele Unternehmen hohe Gewinne ein – manche Energie- und Rüstungsfirmen sogar besonders hohe, weil sie von den Krisenfolgen profitieren. Europaweit erwartet die EU-Kommission eine sinkende Lohn- und steigende Gewinnquote, also eine Umverteilung zugunsten der Konzerne.
3| Droht eine »Lohn-Preis-Spirale«?
Arbeitgeber und ihnen nahestehende Wissenschaftler*innen behaupten, Lohnerhöhungen würden die Inflation weiter anheizen – es
drohe eine »Lohn-Preis-Spirale«. Dafür gibt es überhaupt keine An-
zeichen. 2021 sind die Arbeitskosten in Deutschland trotz bereits anziehender Inflation nur um 1,2 Prozent gestiegen. Hohe Löhne sind nicht die Ursache der Inflation – eher schon explodierende Gewinne. Über eine »Gewinn-Preis-Spirale« wird dennoch nicht gesprochen.
4| Was können wir tun?
Gemeinsam unsere Interessen vertreten. In den anstehenden Tarifrunden, wie im öffentlichen Dienst, will ver.di die Preissteigerung so weit wie möglich ausgleichen. Das geht nur mit großer Kampfkraft und vielen Gewerkschaftsmitgliedern. Auch gegenüber den politisch Verantwortlichen gilt es, weiter Druck zu machen. Dabei lassen wir uns nicht anhand von Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Religion oder Behinderung spalten. Mit denjenigen, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verharmlosen, die Klimakrise oder die Corona-Pandemie leugnen, machen wir uns nicht gemein. Denn unser Kraftstoff für Entlastung heißt: Solidarität.