Die Auseinandersetzung um das Befristungsunwesen an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen geht in die nächste heiße Phase. Zum Jahresende will das Bundesbildungsministerium eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorlegen.
von Daniel Behruzi
»Wir brauchen keine weitere Alibi-Novellierung, sondern eine grundlegende Reform«, fordert Sonja Staack, die bei ver.di für wissenschaftliche Einrichtungen zuständig ist. »Die letzte Gesetzesänderung 2016 hat an den Grundproblemen nichts geändert. Die Bundesregierung muss daraus die nötigen Schlussfolgerungen ziehen – im Interesse der Beschäftigten und im Sinne guter Wissenschaft.«
Immer noch seien 92 Prozent des wissenschaftlichen Hochschulpersonals unter 45 Jahren (ohne Professor*innen) befristet angestellt – ein mickriger Prozentpunkt weniger als 2016. »Es ist glasklar: Die Novelle von 2016 ist gescheitert«, kritisiert Staack. Das belege auch die offizielle Evaluation – trotz deren sehr beschränkter Fragestellung. Die InterVal GmbH und das HIS-Institut für Hochschulentwicklung waren im Auftrag des Ministeriums vor allem der Frage nachgegangen, ob die mit der Novelle von 2016 bezweckte Reduktion extrem kurzer Vertragslaufzeiten erreicht wurde. In diesem Punkt gibt es zwar eine gewisse Verbesserung, mit durchschnittlich 20 Monaten sind die Verträge aber immer noch viel zu kurz, um die Qualifikationsziele zu erreichen (siehe Grafik). Zudem hat sich die nach 2016 bestehende Tendenz zu etwas längeren Laufzeiten zuletzt schon wieder umgekehrt.
Dass sich an der prekären Situation eines überwältigenden Teils der Wissenschaftler*innen in Deutschland nichts verbessert hat, belegt auch eine alternative Evaluation, die von ver.di und der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wurde. Darin wird deutlich, wie stark die Lebensqualität der Betroffenen unter dem Befristungsregime leidet. So berichten fast 40 Prozent, sie hätten wegen ihrer Tätigkeit an einer Hochschule schon mal einen Kinderwunsch zurückgestellt. »Eine bekam direkt zu hören, sie müsste sich entscheiden: Mutter sein oder Karriere machen«, berichtet der Soziologe Tilman Reitz von der Uni Jena. Der Co-Autor der alternativen Evaluation verweist zudem darauf, dass sich befristet Beschäftigte besonders oft mit wissenschaftlicher Kritik zurückhalten, um Vorgesetzte nicht zu verprellen und sich keine Beschäftigungschancen zu verbauen: Nur 29 Prozent der befristeten Wissenschaftler*innen verkneifen sich demnach nie Kritik, bei denjenigen mit unbefristetem Arbeitsvertrag sind es 41 Prozent. Die Befristungspraxis fördere also nicht, wie oft behauptet, Wissenschaftsfreiheit und Innovation, sondern schade dieser.
»Es ist keine Frage: Unter den massenhaften Befristungen leiden nicht nur wir als Beschäftigte«, meint Nadja T., die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Darmstadt arbeitet und sich in der Initiative darmstadtunbefristet engagiert. »Auch für die Wissenschaft und die Hochschulen selbst ist das derzeitige System völlig kontraproduktiv.« Bei Veranstaltungen der Initiative hätten Kolleg*innen zum Beispiel davon berichtet, dass teilweise sehr teure Großgeräte angeschafft oder Programme entwickelt wurden, für deren Nutzung aber nur befristet Beschäftigte angestellt würden. »Da geht immer wieder dringend benötigtes Wissen verloren. Das ist verrückt, andere Institutionen oder Unternehmen würden sich nie so verhalten«, ist die promovierte Geschichtswissenschaftlerin überzeugt.
»Argumente gegen das Sonderbefristungsrecht an Hochschulen gibt es reichlich«, sagt die Gewerkschafterin Staack. »Spätestens seit #IchBinHanna ist einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass es so nicht weitergehen kann.« Unter dem Hashtag hatten im Sommer 2021 zehntausende Berichte auf Social-Media-Kanälen den Unmut von Wissenschaftler*innen dokumentiert. Ob das FDP-geführte Bundesbildungsministerium daraus die nötigen Konsequenzen zieht, ist aber ungewiss.
Das einzufordern, hat sich ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Wissenschafts-Netzwerken zur Aufgabe gemacht. Gemeinsam fordern sie unter anderem, dass im Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur noch Promotionen als Qualifikation gelten. »Nach der Promotion noch davon zu reden, die Wissenschaftler*innen seien in der Qualifikationsphase, ist absurd. Für Postdocs braucht es unbefristete Stellen oder zumindest Perspektiven darauf«, erklärt Staack. Bei befristeten Promotionsstellen seien verbindliche Vorgaben zu Vertragslaufzeiten nötig, damit die Qualifikation während dieser auch abgeschlossen werden könne. Zudem fordert das Bündnis, dass Zeiten der Kindererziehung und chronische Krankheiten einen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung begründen. Derzeit ist es den Hochschulleitungen überlassen, ob sie diese gewähren oder nicht. Auch soll im Gesetz klargestellt werden, dass tarifliche Regelungen zur Ausweitung unbefristeter Arbeitsverhältnisse an Hochschulen möglich sind.
»Jetzt kommt es darauf an, für diese Forderungen Druck zu machen«, betont Staack. »Wir wollen vor Ort und auf Bundesebene mit den politisch Verantwortlichen ins Gespräch kommen und aufzeigen, was sich ändern muss.« Wie viel Druck dafür entwickelt werden kann, hänge auch und vor allem vom Engagement der Betroffenen ab.
Die Corona-Pandemie bedeutete für viele Hochschulbeschäftigte eine große Belastung. Die Lehre musste binnen kurzer Zeit auf digitale Formate umgestellt werden. Zum Teil wurden Forschungsprojekte durch erschwerten Feldzugang oder geschlossene Labore verzögert. Besonders betroffen: befristet Beschäftigte. Die Bundesregierung reagierte mit der Verlängerung der gesetzlichen Höchstbefristungsdauer um bis zu ein Jahr.
Doch ob Verträge tatsächlich verlängert werden, bleibt den Hochschulleitungen überlassen. An der Uni Potsdam hat der akademische Personalrat deshalb im Rahmen eines Maßnahmenpakets vereinbart, dass Arbeitsverhältnisse entsprechend verlängert werden sollen. Über 200 Wissenschaftler*innen, etwa 15 Prozent aller Befristeten, machten davon bislang Gebrauch. Dafür wurde der Personalrat für den Personalrätepreis 2022 nominiert.
Ebenfalls nominiert wurden der Gesamtpersonalrat der Uni Potsdam für eine Vereinbarung zur Inklusion und der Personalrat der Medizinischen Hochschule Hannover für die Etablierung einer Krisenbegleitung nach traumatischen Erlebnissen.