Offener Brief an Arbeitsrechtliche Kommissionen von Caritas und Diakonie - ver.di fordert erneute Beratung über Tarifvertrag Altenpflege
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) fordert in einem Offenen Brief die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie auf, erneut über die bundesweite Erstreckung des zwischen ver.di und dem Arbeitgeberverbandes BVAP ausgehandelten Tarifvertrags Altenpflege zu beraten. "Helfen Sie, den Weg frei zu machen, dass der Tarifvertrag bundesweit erstreckt werden kann. Das ist der einzige Weg, um kurzfristig bessere Mindestarbeitsbedingungen in der Altenpflege zu schaffen", heißt es in dem Offenen Brief.
Berlin, 29. März 2021
Sehr geehrtes Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kollegin, lieber Kollege,
am 25. Februar hat die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas der bundesweiten Erstreckung des zwischen BVAP und ver.di ausgehandelten Tarifvertrags Altenpflege die Unterstützung verweigert. Einen Tag später hat sich auch die Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie nicht zu diesem wichtigen Projekt bekannt. Damit wurde die Hoffnung von hunderttausenden Pflegepersonen enttäuscht, für ihre verantwortungsvolle und engagierte Arbeit künftig einen wenigstens einigermaßen fairen Lohn zu bekommen.
Unzählige Menschen in diesem Land sind fassungslos, dass eine bessere Bezahlung von Beschäftigten in der Altenpflege ausgerechnet an den christlichen Wohlfahrtsverbänden gescheitert ist. Gerade auch in der Corona-Pandemie wurde die wertvolle Arbeit in der Altenpflege und die schwierigen Rahmenbedingungen allen vor Augen geführt.
Den Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen wurde mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz in diesem Prozess ein Sonderrecht eingeräumt. Dies war das Ergebnis eines langen und unter ständiger Beteiligung von Diakonie und Caritas ausgestalteten Gesetzgebungsprozesses. Damit sollte unter Anerkennung des kirchlichen Sonderwegs erstmalig eine echte Chance eröffnen, die Mindestarbeitsbedingungen in der Altenpflege bei all jenen Anbietern deutlich zu verbessern, die sich strikt Tarifverträgen verweigern. Caritas und Diakonie wurde damit eine besondere Verantwortung übertragen.
Da die Lohnbedingungen in den Altenpflegeeinrichtungen von Caritas und Diakonie vergleichsweise gut sind, hätte der Tarifvertrag Altenpflege auch nicht in ihre Entgeltstrukturen eingegriffen. Auch das von Arbeitgebern der Caritas öffentlich vorgebrachte Argument, dass die Pflegekassen dann nur noch maximal bis zu dessen Höhe refinanziert hätten, überzeugt nicht. Denn dann hätte der seit über zehn Jahre geltende Pflegemindestlohn die gleiche Wirkung haben müssen. Bekanntlich werden die Pflegesatzverhandlungen auf der Basis der konkret kalkulierten Kosten der Pflegeeinrichtungen geführt. Und im § 84 Absatz 2 des SGB XI heißt es dazu: „Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden.“
Daran hätte sich auch durch eine bessere Verordnung über Mindestbedingungen nichts geändert, wie auch der Verband der Kassen (GKV-Spitzenverband) öffentlich bestätigt hat.
Ein weiterer Grund für die Entscheidungen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen war offensichtlich die Ankündigung von Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), Versorgungsverträge von der Zahlung von Tariflöhnen abhängig zu machen. Dieses Versprechen“ wurde gegenüber den Mitgliedern der Arbeitsrechtlichen Kommissionen wenige Tage vor Ihrer Abstimmung sogar noch einmal erneuert. Es ist schon bemerkenswert, dass ein Minister gegen die Umsetzung des Pflegelöhneverbesserungsgesetz agiert, welches die Regierung, der er angehört, auf den Weg gebracht hat.
Inzwischen hat der Bundesgesundheitsminister seine Überlegungen in einem Gesetzentwurf konkretisiert. Diese müssen nicht nur uns Tarifvertragsparteien alarmieren, sondern auch die Mitglieder in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen und erst recht die Beschäftigten in der Altenpflege, auch bei Caritas und Diakonie. Denn in diesem Entwurf ist das Erfordernis einer Tarifbindung nur noch eine Farce. Und auch für die Arbeitsbedingungen bei kirchlichen Trägern soll es keine Sicherheit mehr geben. Künftiger Maßstab für die Vergütung in der Altenpflege soll dann nur noch die von den kommerziellen Trägern über Jahre nach unten gedrückte „ortsübliche Entlohnung“ sein. Die Ankündigung von Herrn Spahn entpuppt sich als Reform, die sogar die Löhne drücken könnte, statt sie zu erhöhen. Auf alle Fälle werden sie auf niedrigem Niveau gehalten. Und es ist ein Angriff auf die Tarifautonomie und den Flächentarifvertrag.
Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie im Namen der hunderttausenden Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die noch immer nur für Mindestlohn diese wichtige Arbeit leisten, um eine neue Beratung über den Tarifvertrag Altenpflege in Ihren Kommissionen. Das Gesetz sagt im Übrigen nichts dazu, dass die Kommissionen nur einmal beraten und entscheiden dürften. Helfen Sie, den Weg frei zu machen, dass der Tarifvertrag bundesweit erstreckt werden kann. Das ist der einzige Weg, um kurzfristig bessere Mindestarbeitsbedingungen in der Altenpflege zu schaffen.
Wer, wenn nicht Caritas und Diakonie, die beiden bedeutenden kirchlichen Wohlfahrtsverbände sollte die Größe haben, eine Entscheidung, die sich als nicht richtig herausstellt, zu revidieren?
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie in Anbetracht der neuen Lage auf, in Sondersitzungen schnellstmöglich den Antrag auf die Erstreckung des Tarifvertrages zu unterstützen. Das öffentliche Interesse daran ist unstrittig.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Bühler
Mitglied des Bundesvorstands
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