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Scheinheilig

Caritas-Arbeitgeber zerstören Hoffnung von hunderttausenden Pflegepersonen auf bessere Bezahlung
24.03.2021
Protestaktion bei der Caritas am 18. März 2021 in Mainz

Am 8. Februar 2021 haben die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nach 16-monatigen Verhandlungen einen Tarifvertrag über Mindestbedingungen in der Altenpflege abgeschlossen. Beide Tarifvertragsparteien verfolgten unter anderem das Ziel, dass die getroffenen Regelungen auf Grundlage des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) durch den Bundesarbeitsminister verbindlich auf die gesamte Pflegebranche erstreckt wird. Damit hätte dem vor allem durch kommerzielle Pflegeanbieter betriebenen Lohndumping ein Riegel vorgeschoben werden können. Dies war der Pflegekommission, die die letzten 10 Jahre für den Pflegemindestlohn zuständig war, nicht gelungen. Auf Grundlage des Tarifvertrags wären die Mindestentgelte in der Pflegebrachen bis Mitte 2023 um durchschnittlich 25 Prozent gestiegen.

Damit der Tarifvertrag erstreckt werden kann, hat der Gesetzgeber den Kirchen ein Beteiligungsrecht eingeräumt. Das heißt konkret: Die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie müssen von den Tarifvertragsparteien zum voraussichtlichen Inhalt des Tarifvertrags angehört werden und am Ende einem Antrag auf Erstreckung zustimmen. Die Anhörung der Caritas hat am 15. Januar 2021, die der Diakonie am 21. Januar 2021 stattgefunden. BVAP und ver.di haben daraufhin die Anhörungen aufgewertet und noch einmal Veränderungen am Tarifvertrag vorgenommen.

Am 25. Februar 2021 dann der Schock. Die Bundeskommission der Caritas hat gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite dem Antrag von ver.di und BVAP auf Erstreckung des Tarifvertrags über Mindestarbeitsbedingungen in der Pflegebranche nicht zugestimmt. Damit hat die Caritas ihr gesetzlich eingeräumtes Beteiligungsrecht pervertiert und in eine Blockadehaltung verwandelt. Hundertausende Pflegepersonen - vor allem bei den kommerziellen Pflegeanbietern – sind die Verlierer.

Die Diakonie duckt sich weg und verhöhnt den Tarifvertrag

Und am 26. Februar 2021, nur einen Tag später, hat auch die Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie dem Tarifvertrag die Unterstützung verweigert. Die Diakonie hat sich weggeduckt und sich nicht einmal mit dem Antrag beschäftigt, sondern diesen einfach von der Tagesordnung abgesetzt.

Spätestens damit dürfte allen Pflegepersonen in Deutschland klar sein: Bei der Hoffnung auf bessere Löhne und Arbeitsbedingungen können sie nicht auf die Kirche zählen. Nach dem Klatschen folgte jetzt die Klatsche. Und dann noch das: Der Arbeitgeberverband der Diakonie verhöhnt die Tarifverhandlungen lapidar: „Schade um die verlorene Zeit!“

 

Die Caritas behauptet: "Der Tarifvertrag Altenpflege greift in Strukturen der AVR z.B. bei der Ost/West-Angleichung oder der Differenzierung der Entgelte zwischen Alltagsbegleiter*innen/ Betreuungskräften etc. und ungelernten Hilfskräften ein […]."

Richtig ist: Mit den bei den Tarifverhandlungen gefundenen Kompromissen wäre noch längst nicht alles gut. Wir haben Mindestarbeitsbedingungen vereinbart. Wenn diese schon in die Strukturen des Caritas-Entgeltgefüges eingreifen, dann kann es mit den guten Bedingungen bei der Caritas nicht so weit her sein. Auf der anderen Seite behauptet die Caritas, dass sie heute schon höhere Gehälter zahlen würde. Was denn nun?

Tatsächlich zahlt die Caritas heute – 30 Jahre nach der Deutschen Einheit - im Osten noch weniger als im Westen. Und die Alltagsbegleiter*innen/ Betreuungskräfte und ungelernten Hilfskräfte werden schlechter bezahlt als bei anderen Trägern mit Tarifvertrag. Beides will die Caritas offensichtlich nicht angetastet wissen.

Diese Positionen stehen im Übrigen im Widerspruch zu den vereinbarten Zielen in der Arbeitsgruppe 5 der Konzertierten Aktion Pflege, denen auch die Caritas zugestimmt hat. Hier heißt es im Ergebnis: „Die Mitglieder der Arbeitsgruppe 5 sind gemeinsam der Auffassung, dass dieser Weg durch die Festlegung verbindlicher Lohnuntergrenzen für die Altenpflege weiter unterstützt werden muss. […] Darüber hinaus empfiehlt sie eine Befassung mit der Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost- und Westdeutschland.“

 

Die Caritas behauptet: "Im Tarifvertrag Altenpflege fehlt die betriebliche Altersvorsorge."

Richtig ist: Es ist gesetzlich ausdrücklich ausgeschlossen, solche Regelungen auf die gesamte Pflegebranche erstrecken zu können. Die Caritas hat in der Anhörung erklärt, dass sie das durchaus weiß. Um der Caritas dennoch entgegen zu kommen, haben BVAP und ver.di im Tarifvertrag die Möglichkeit eröffnet, Beiträge zur Entgeltumwandlung bei der Berechnung des Mindestlohns zu berücksichtigen. Dieses Thema jetzt trotzdem als Ablehnungsgrund anzuführen, ist zutiefst unseriös. Natürlich wollen wir als ver.di gute betriebliche Altersversorgungen. Für die tarifgebundenen Arbeitgeber gibt es vielerorts hierzu gute Regelungen.

Die perfide Caritas-Logik: Wer keine betriebliche Altersversorgung bekommt, braucht auch keine auskömmlichen Löhne.

 

Die Caritas behauptet: "Im Tarifvertrag Altenpflege fehlen passgenaue Arbeitszeitmodelle."

Richtig ist: Auch hier gilt: Es gibt keine gesetzliche Möglichkeit, solche Regelungen für die gesamte Pflegebranche zu erstrecken. Außerdem werden „passgenaue Arbeitszeitmodelle“ bekanntlich am besten in Dienstplänen geregelt.

 

Die Caritas behauptet: "Im Tarifvertrag Altenpflege fehlen Stufendifferenzierungen."

Richtig ist: Die Tarifvertragsparteien haben ausgeschöpft, was an Entgeltdifferenzierungen erstreckbar ist. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz lässt zu, dass bis zu drei Qualifikationsstufen differenziert werden kann. Diese haben wir vereinbart. Der Tarifvertrag regelt Mindestentgelte. Ein Mindestentgelt regelt eine untere Grenze. Bessere Regelungen können immer zusätzlich kollektiv vereinbart werden. Die Caritas-Logik auch hier: Wer keine weiteren Stufenaufstiege bekommen kann, braucht auch keine höheren Einstiegslöhne.

 

Die Caritas behauptet: "Im Tarifvertrag Altenpflege fehlen Überstundenregelungen."

Richtig ist: Es stimmt, dass der gefundene Kompromiss keine Überstundenregelungen vorsieht. Aber lässt man daran bessere Löhne für hunderttausende Altenpfleger*innen scheitern?

 

Die Caritas behauptet: "Die Kostenträger hätte zukünftig die „besseren“ AVR-Regelungen der Caritas zukünftig nicht mehr anerkannt. Die Caritas-Beschäftigten hätten Lohnminderungen hinnehmen müssen."

Richtig ist: Die Caritas verkauft die Öffentlichkeit und ihre eigenen Beschäftigten schlichtweg für dumm. Die Pflegesätze werden von der Caritas und jedem anderen Träger mit den zuständigen Pflegekassen auf der Basis der tatsächlichen geplanten Ausgaben verhandelt. Kosten, die für den Träger aufgrund von kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien oder Tarifverträgen entstehenden, dürfen laut § 84 (2) SGB XI nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Daran hätte sich auch durch eine neue Regelung zu Mindestbedingungen in der Altenpflege nichts geändert.

 

Die Caritas behauptet: "Die Kostenträger hätte zukünftig die „besseren“ AVR-Regelungen der Caritas zukünftig nicht mehr anerkannt. Die Caritas-Beschäftigten hätten Lohnminderungen hinnehmen müssen."

Richtig ist: Die Caritas verkauft die Öffentlichkeit und ihre eigenen Beschäftigten schlichtweg für dumm. Die Pflegesätze werden von der Caritas und jedem anderen Träger mit den zuständigen Pflegekassen auf der Basis der tatsächlichen geplanten Ausgaben verhandelt. Kosten, die für den Träger aufgrund von kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien oder Tarifverträgen entstehenden, dürfen laut § 84 (2) SGB XI nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Daran hätte sich auch durch eine neue Regelung zu Mindestbedingungen in der Altenpflege nichts geändert.

Auch der Pflegemindestlohn, den es seit über 10 Jahren gibt, hatte nicht den Effekt, der hier an die Wand gemalt wurde.  Die auf Grundlage des Tarifvertrags ersteckten neuen Pflegemindestlöhne hätten keine negativen Effekte für die Caritas-Beschäftigten gehabt aber für hunderttausende Beschäftigte deutlich mehr Einkommen bedeutet.

Die Caritas behauptet: "Wir lehnen einen Einheitstarifvertrag ab und wünschen uns einen Wettbewerb von Tarifwerken in der Altenpflege."

Richtig ist: Das erklärte Ziel war gerade auch ein fairer Wettbewerb zwischen den Trägern. Träger mit Tarifverträgen und anständigen Arbeitsbedingungen sollten im wirtschaftlichen Wettbewerb nicht länger Nachteile haben gegenüber kommerziellen Pflegekonzernen, die ihre Mitarbeiter*innen ausbeuten.

Was wäre denn eigentlich an einem einheitlichen guten Tarifvertrag für alle Pflegeanbieter verkehrt? Branchentarifverträge sind in anderen Bereichen eher die Regel als die Ausnahme. Und auch in der Altenpflege war das bis zur Einführung der Pflegeversicherung faktisch so. Dann kam der wirtschaftliche Wettbewerb und die Kommerzialisierung der Altenpflege, die auf Kosten der Beschäftigten und am Ende auch zulasten der Pflegebedürftigen geht. Die Caritas macht sich zum verlängerten Arm der kommerziellen Pflegeanbieter.

 

Die Caritas behauptet: "Wir sehen den Dritten Weg durch eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrag Altenpflege gefährdet."

Richtig ist: Die Festlegung von Mindestbedingungen in der Pflege erfolgt auf Grundlage des Arbeitnehmerentsendegesetzes. Dort hat der Gesetzgeber den Kirchen eine besondere Verantwortung übertragen. Diese haben die kirchlichen Kommissionen nicht wahrgenommen. Deshalb: Nicht der Tarifvertrag gefährdet den sogenannten „Dritten Weg“. Diesen bringt die Caritas durch ihr verantwortungsloses und scheinheiliges Verhalten schon ganz alleine in Misskredit. Es ist an der Zeit, die verfassungsrechtlich geschützte Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht kritisch zu hinterfragen.

 

Die Caritas behauptet: "Wir setzen bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Altenpflege auf die Pflegekommission und die Reformvorschläge von Bundesgesundheitsminister Spahn."

Richtig ist: Mit der Pflegekommission setzt die Caritas auf einen „toten Gaul“. Die Pflegekommission hat es in über 10 Jahren nicht geschafft, das Problem zu lösen. Statt jetzt den Weg frei zu machen für bessere Löhne, vertröstet die Caritas hunderttausende Beschäftigte auf später – vielleicht - irgendwann.

Die Caritas hofft auf ein „ungelegtes Ei“. Gesundheitsminister Spahn hat im November 2020 einen Gesetzentwurf angekündigt, der aus seiner Sicht alle Probleme kurzfristig lösen soll. Außer dieser Ankündigung ist aus dem Hause Spahn bis heute nichts gekommen. Aber kurz vor der Abstimmung in den arbeitsrechtlichen Kommissionen hat der Bundesgesundheitsminister den Kommissionen noch einmal seine Pläne dargelegt und damit gegen das Pflegelöhneverbesserungsgesetz der Bundesregierung, der er bekanntlich angehört, agiert.

 

Die Caritas behauptet: "Solidarität heißt für uns nicht, schlechteren Löhnen in der Pflege zustimmen zu müssen und damit die Refinanzierung der Pflege in der Caritas künftig auf schlechtere Beine zu stellen. Das wäre falsch verstandene Solidarität."

Richtig ist: Das Thema hatten wir schon. Wenn man falsche Schlussfolgerungen zieht, werden sie auch nicht wahr, wenn man sie mit anderen Worten wiederholt. Die Solidarität der Arbeitgeber von Caritas und Diakonie gilt offensichtlich mehr Herrn Brüderle vom privaten Arbeitgeberverband als den ausgebeuteten Altenpfleger*innen. Die Caritas hat aus egoistischen und ideologischen Gründen eine große Chance für die Altenpflege vertan.

 

Was die Caritas verschweigt…

Die Caritas in der Pflegemindestlohnkommission

Die Caritas setzt bei der Verbesserung der Mindestarbeitsbedingungen in der Pflege auf die Pflegemindestlohnkommission. Diese Kommission existiert seit über 10 Jahren und hat de facto nur sehr wenig erreicht. Alle Punkte, die der Caritas im Tarifvertrag Altenpflege, haben die Caritas-Dienstgeber in der Kommission im Schulterschluss mit Diakonie und kommerziellen Anbietern verhindert. In der 4. Pflegekommission hat ver.di z.B. gefordert

  • Überstundenzuschlag: Caritas-Dienstgeber: Nein!
  • Zusätzliches Urlaubsgeld: Caritas-Dienstgeber: Nein!
  • Höchstarbeitszeit: Caritas-Dienstgeber: Nein!
  • Pausenregelungen: Caritas-Dienstgeber: Nein!
  • Stufendifferenzierungen: Caritas-Dienstgeber: Nein!
  • Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz: Caritas-Dienstgeber: Nein!  

Die Caritas in der Konzertierten Aktion Pflege

Im Juni 2019 hat die Caritas gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege einem umfassenden Maßnahmenpaket für mehr Ausbildung, mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Entlohnung zugestimmt. Dazu gehörte auch, dass die Festlegung des Pflegemindestlohns zukünftig auf Grundlage eines Tarifvertrags erfolgt. Heute will die Caritas davon offenbar nichts mehr wissen. 

Die Caritas hat sich in der AG 5 der Konzertierten Aktion Pflege ausdrücklich hinter eine Erstreckung eines Tarifvertrages nach § 7a AEntG gestellt und diesen Weg befürwortet. Im Ergebnisbericht dazu heißt es:

„Eine Mehrheit der Arbeitsgruppe 5 (Anm.: zu der die Caritas gehörte) befürwortet die Festlegung von Lohnuntergrenzen und weiterer Mindestarbeitsbedingungen durch Erstreckung eines Tarifvertrags auf Grundlage von § 7a AEntG. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sollen zügig den Abschluss eines Tarifvertrags für die Beschäftigten in der Altenpflege anstreben.“

Die Caritas im Bundestag

Mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz wurde die Grundlage für die Tarifvertragslösung bei der Festlegung des Pflegemindestlohns geschaffen. Das Arbeitnehmerentsendegesetz wurde eigens für die Beteiligung der kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen angepasst. Die Caritas war in der Anhörungsphase in die politische Meinungsbildung im Bundestags eng eingebunden. In der schriftlichen Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes heißt es wörtlich: „Sowohl für die Tarifpartner des Tarifvertragsweges als auch für die Dienstgebervertreter und Mitarbeitervertreter auf dem „Dritten Weg“ ergeben sich neue Chancen und Notwendigkeiten zur Zusammenarbeit.“

Diese zahlreichen Chancen und Angebote zur Zusammenarbeit während des Tarifprozesses wurden von der Caritas-Dienstgeberseite nicht genutzt. Im Gegenteil. Es wurden immer neue Forderungen und Erwartungen an die Tarifvertragsparteien adressiert, um ganz am Ende des Prozesses trotz allen Entgegenkommens seitens ver.di und BVAP schlicht NEIN zu sagen.

Wie kann es weitergehen? Spahn muss endlich liefern.

Jetzt ist Bundesgesundheitsminister Spahn an Zug. Seine bloßen Ankündigungen helfen den Beschäftigten nichts und die Zeit ist knapp bis zur anstehenden Bundestagswahl. Bereits im November 2020 hatte er einen Gesetzentwurf angekündigt, mit dem Pflegeanbieter, die Versorgungsverträge mit den Pflegekassen abschließen wollen, Tarifverträge anwenden müssen. Wie genau das aussehen soll, ist noch völlig unklar. Sichergestellt werden muss, dass dazu nicht die Anwendung eines x-beliebigen Dumping-Tarifvertrags mit einer Pseudo-Gewerkschaft reicht.

 

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