Mit Gesang, Getrommel und dutzenden selbstgebastelten Schildern zogen am Mittwoch (5. Februar 2020) rund 750 Menschen durch Magdeburg, um einen Tarifvertrag für die Ameos-Beschäftigten im Salzland und Haldensleben zu fordern. Der kommerzielle Klinikbetreiber verweigert seit über einem halben Jahr Tarifverhandlungen und hat stattdessen 14 Beschäftigte fristlos gekündigt und hunderte weitere Entlassungen angedroht.
Rund 620 Beschäftigte der Ameos-Kliniken waren in Bussen aus den Streikstandorten angereist, weitere 130 Teilnehmende schlossen sich dem Zug an. Die Beschäftigten widerlegten mit ihrer Demonstration eindrucksvoll die Behauptung von Unternehmenschef Axel Paeger, nur vier Prozent seiner Angestellten in Sachsen-Anhalt seien im Streik. »Wir sind deutlich mehr als vier Prozent – da hat einer in Mathe wohl gepennt«, war denn beliebtesten Sprüche auf der Demonstration zum Alten Markt.
Nicht nur der strahlende Sonnenschein war für die gute Laune der Demonstrierenden zu verdanken: Ein so kraftvolles Zeichen von Protest und Zusammenhalt, von Mut und Kreativität hätten sich die meisten wohl noch vor wenigen Monaten selbst nicht zugetraut. Immer wieder war im Demozug zu hören: »Das ist neu für uns – und es fühlt sich sehr richtig an.«
Bernd Becker, der bei ver.d in Sachsen-Anhalt für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist, betonte, dass die Löhne bei Ameos seit 2012 praktisch unverändert geblieben sind. Behauptungen des Unternehmens, man zahle so gut wie anderswo, bezeichnete er als »Quatsch – dann würden wir ja hier nicht streiken«. Und er prophezeite: »Wir werden auch dem letzten tariflos verbliebenen Krankenhaus-Arbeitgeber in Sachsen-Anhalt einen Tarifvertrag abringen, das ist das erklärte Ziel!«
Der ver.di-Landesbezirksleiter für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Oliver Greie, hob den Mut der Streikenden hervor, die sich von Ameos nicht einschüchtern lassen. Er dankte anwesenden Politiker*innen für ihre Unterstützung und appellierte gleichzeitig an sie, die Krankenhausfinanzierung zu verbessern: »In Sachsen-Anhalt wurden 198 Millionen Euro zur Rettung einer einzigen Bank ausgegeben, aber vor einer besseren Krankenhausfinanzierung schrecken Sie zurück – das kann nicht sein.«
Andrea Huth vom Marburger Bund nannte das Argument von Ameos, man habe schlechte Erfahrungen mit ver.di gemacht, »völlig vorgeschoben«. Denn auch mit der Ärzteorganisation verweigere das Unternehmen seit Jahren Verhandlungen. Und das, obwohl man an den westdeutschen Standorten durchaus Tarifverträge abschließe.
ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler kritisierte bei der Abschlusskundgebung das »unsägliche und undemokratische Verhalten« der Ameos-Geschäftsführung. »Jemanden nach 36 Jahren im Betrieb wegen einer Streikteilnahme fristlos zu kündigen – schämen Sie sich!« Den Beschäftigten sprach sie ihren Respekt aus: »Aber ihr haltet Stand, ihr sagt, wir lassen uns nicht mehr kleinmachen. Das ist eine Sternstunde der Solidarität, die mich tief beeindruckt. Ihr seid damit auch Vorbilder. Dafür, dass ihr euch auch selbst ernst nehmt, meinen Dank von Herzen.«
Während viele Akteur*innen derzeit versuchten, die Arbeit im Gesundheitswesen wieder attraktiver zu machen, schade Ameos mit seinem Vorgehen dem Image der Branche. Die Politik rief Bühler auf, das Gesundheitswesen nicht dem Markt zu überlassen. »Es muss wieder um die Menschen gehen, nicht um Profitmaximierung.« Denn: »Wenn es nur noch darum geht, Geld zu verdienen, dann wird auch das gemacht, was Geld bringt, und nicht das, was den Menschen nutzt.«
Mit welchen Belastungen die Streikenden zu kämpfen haben, wurde im Redebeitrag von Holger Waack deutlich, der zu den gekündigten Beschäftigten zählt. »Ich würde viel lieber wieder arbeiten gehen«, sagte er bewegt. »Aber ich habe keine Zweifel, dass richtig ist, was wir hier tun. Es klingt paradox, aber ich sage euch: Lasst uns streiken, denn wir wollen arbeiten.« Seine ebenfalls gekündigte Kollegin Petra Samtleben bleibt dennoch aus ganzem Herzen Pflegekraft. »Wir sind Krankenschwestern, wir kennen uns mit Schmerz aus«, erklärte sie. »Ich würde sagen: Verhandlungen mit ver.di und dem Marburger Bund fallen auf einer Skala von eins bis zehn auf weniger als eins. Liebe Geschäftsführung, nehmen Sie Verhandlungen auf – es tut nicht weh.«
Solidarische Grüße an die die Ameos-Beschäftigten überbrachten Vertreter*innen vieler anderer Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen von nah und fern. Petra Bäumler-Schlackmann aus der streikerfahrenen Essener Uniklinik hatte zusammen mit zwei ihrer Kollegen schon die Tage zuvor in Sachsen-Anhalt verbracht, um sich über Strategien im Arbeitskampf auszutauschen. Peter Sztatelman vom Uniklinikum Köln überbrachte die Solidarität der Belegschaften des »Sechserpacks« – der sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen. Ebenfalls aus NRW waren zwei »Streikhexen« nach Magdeburg gekommen, um die solidarischen Grüße von AWO-Beschäftigten aus Kitas und Seniorenwohnheimen zu überbringen. Sie stellten klar: »Ein Tarifvertrag ist keine Hexerei.«
Zwei Kolleg*innen vom Uniklinikum Mainz – dessen Belegschaft kürzlich einen Tarifvertrag für mehr Personal und Entlastung durchgesetzt hat – äußerten sich empört, dass ein Arbeitgeber Verhandlungen komplett verweigert. Sie forderten unter anderem einen Systemwandel weg vom Finanzierungssystem über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) und versicherten: »In der ganzen Republik wird wahrgenommen, was hier passiert.« Von den Ameos-Kliniken Osnabrück und Hildesheim, wo 2014 und 2016 jeweils über viele Wochen gestreikt wurde, war ebenfalls eine Delegation angereist. Frank Tiemeyer rief seinen Kolleginnen und Kollegen in Sachsen-Anhalt zu: »Wir haben über einmal über sieben und einmal über elf Wochen gestreikt – und wir haben ihn, den Tarifvertrag! Und ihr habt unsere Heuschrecke, ihr habt unsere Unterstützung.« In der ersten Streikwoche hatten Beschäftigte aus Niedersachsen eine vier Meter lange Heuschrecke nach Aschersleben gebracht, die während des Streiks 2016 gebastelt worden war.
Prominente Unterstützung erhalten die Streikenden bei Ameos auch von Landes- und Bundespolitiker*innen. Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger sagte: »Ihr macht das Richtige, Kompliment.« Er forderte Solidarität für die Gekündigten seitens der Belegschaft, der Politik und der gesamten Zivilgesellschaft »Ameos hat irgendwie nicht alle Tassen im Schrank, Leute zu kündigen, die ihr Grundrecht auf Streik wahrnehmen.« Elke Hanack, Mitglied im DGB-Bundesvorstand und im CDU-Parteivorstand, warf Ameos skrupellose Managementmethoden und »Profitgier« vor. Beschäftigtenfeindliche Methoden wie Ausgliederung, Missbrauch von Leiharbeit oder Einsparungen beim Personal seien »die hässlichste Form des Kapitalismus«, die in einer sozialen Marktwirtschaft nichts zu suchen habe.
»Wenn nur noch die Rendite zählt, bleibt der Mensch auf der Strecke«, kritisierte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. »Wenn ein Unternehmen die verantwortungsvolle Berufsauffassung gegen eure Interessen ausspielt und sagt, ihr könnt doch nicht streiken, ihr könnt doch die Menschen nicht allein lassen, dann ist das unanständig«, so die Sozialdemokratin an die Adresse der Ameos-Spitze. Die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang forderte, Demokratie dürfe nicht am Kliniktor enden. »Gewerkschaftliche Organisierung ist kein Kündigungsgrund, sondern ein Grundrecht. Ihr habt mehr verdient.«
Schon zuvor hatten auf dem Domplatz Landespolitiker*innen den Streikenden ihre Unterstützung zugesagt. Der CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Krull kritisierte scharf, dass Ameos Verhandlungen verweigert, und forderte, alle Seiten müssten bereit sein, miteinander zu reden. Drohungen und Kündigungen seien keinesfalls ein akzeptables Mittel in einer Tarifauseinandersetzung. Der Wert eines Unternehmens bemesse sich nicht nur in Bilanzen, sondern auch in der Wertschätzung der Bevölkerung und für die eigenen Beschäftigten.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Magdeburger Landtag, Katja Pähle, sagte, es seien in der Vergangenheit parteiübergreifend Fehler gemacht worden. Diese gelte es nun zu korrigieren. Die Ameos-Gruppe meine, sie könne in Sachsen-Anhalt »wilder Osten spielen. Im Westen gibt es durchaus Tarifverträge bei Ameos – und das steht auch euch zu!« Der Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag, Stefan Gebhardt, forderte die Beschäftigten auf, weiterhin für ihre Rechte zu kämpfen. Auch die Politik brauche diesen Druck von der Straße, damit den Solidaritätsbekundungen auch Taten folgten. Alle Beschäftigten im Gesundheitswesen müssten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt werden, forderte er.
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, Cornelia Lüddemann, betonte, man ringe um eine Aufstockung der Investitionsmittel, um den Krankenhäusern mehr finanzielle Mittel zu geben, damit diese gute Löhne finanzieren könnten. Auch Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) und Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) nahmen an der Demonstration teil. »Es ist gut, dass hier so klare Worte gesprochen werden«, kommentierte eine Betriebsrätin die Solidaritätsbekundungen aus der Politik. »Und dass jetzt klar wird, dass etwas getan werden muss. Auch wenn die Politik ja erst diese Situation erzeugt hat. Aber die Einsicht, dass sich etwas ändern muss, ist ja ein Anfang.«
Die Welle der Solidarität, die sich bei der Demonstration und in den vielen Solidaritätsschreiben ausdrückt, gibt den Streikenden bei Ameos Rückenwind und Kraft. Sie wissen, dass sie sie brauchen werden in der weiteren Auseinandersetzung, und zeigen sich dafür gerüstet: »Wir haben noch viele Streiklieder im Vorrat«, hieß es am Ende der Demonstration. Und eine Teilnehmerin überlegte laut: »Vielleicht lasse ich mein Schild gleich im Bus für die nächste Demo?« In Sachsen-Anhalt und darüber hinaus wird man von diesen Streikenden sicher noch einiges hören.