Asklepios

Eine Lösung für alle

Beschäftigte der Schildautalklinik Seesen lassen sich nicht gegeneinander ausspielen und wollen ein Ergebnis für alle Berufsgruppen. Unbefristeter Streik in der zweiten Woche.
13.10.2020
Streikkundgebung von Asklepios-Beschäftigten am 13. Oktober 2020 in Seesen

»Unglaublich, wie wir zusammenstehen, wie wir den Druck, den Asklepios ausübt, gemeinsam auffangen und zurückgeben«, so der Krankenpfleger Martin Kupferschmidt von der ver.di-Streikleitung. Seit anderthalb Wochen wird die Schildautalklinik im niedersächsischen Seesen »in einer neuen Dimension« bestreikt – nämlich unbefristet und mit der Ansage an das Management, die Belegung entsprechend der Streikbeteiligung herunterzufahren. Das hat merkliche Auswirkungen: Waren in der Akutklinik vor dem Streik noch etwa 180 Betten regelmäßig belegt, sind es jetzt nur noch 96. Von den rund 80 Reha-Betten sind lediglich 26 belegt. Neben dem Streik ist das allerdings auch darauf zurückzuführen, dass Betten für Covid-19-Patient*innen freigehalten werden und weitere wegen eines Wasserschadens nicht belegt werden können.

Zu Beginn der neuen Streikphase am 5. Oktober 2020 erklärten die ver.di-Teamdelegierten in einer Resolution: »Wir Beschäftigte kämpfen mit Herzblut für die Zukunft unserer Klinik, für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Patientenversorgung, welche durch das unverantwortliche Handeln des Konzernmanagements tagtäglich gefährdet wird.« Nicht die Arbeitsniederlegung sei für die Patientenversorgung eine Gefahr, sondern »der von Profitmaximierung bestimmte Alltag im Asklepios-Konzern«.

 

Bestätigt wird diese Haltung durch einen »Brandbrief« vier ehemaliger Chefärzte der einst sehr renommierten Spezialklinik für Schlaganfallpatient*innen, in dem sie Asklepios einen »katastrophalen Leistungsabbau« vorwerfen. In dem im Seesener Beobachter veröffentlichten Schreiben zeigen sich die Mediziner voller Sorge über Zustand und die Zukunft der Schildautalklinik. Angesichts etlicher »nicht nachvollziehbarer Entscheidungen«, wie Kündigungen und Stellenkürzungen, sowie mangelnder Dialogbereitschaft bestehe »die große Sorge, dass die Maßnahmen der Geschäftsleitung der Vorbereitung dienen, die Klinik insgesamt oder wesentliche Abteilungen in anderen Asklepios-Kliniken zu verlegen«.

Das Vorgehen des Konzerns in dem seit über einem Jahr andauernden Tarifkonflikt lässt in der Tat kaum andere Schlussfolgerungen zu. Er hat die Therapeut*innen in eine gesonderte GmbH ausgegliedert und den Reha-Bereich abgespalten. Der Klinikstandort besteht mittlerweile aus zehn unterschiedlichen Gesellschaften. Kurz vor Beginn des unbefristeten Streiks wurden zudem sieben Therapeut*innen gekündigt, bei zwei weiteren ließ das Unternehmen befristete Verträge auslaufen. Die Rücknahme der Kündigungen ist für die Streikenden daher eine zentrale Forderung. Die andere: Eine Lösung, die allen Berufsgruppen Verbesserungen bringt.

 
Streikkundgebung von Asklepios-Beschäftigten am 13. Oktober 2020 in Seesen

Selbst Spahn ist genervt

»Mit allen relevanten Wettbewerbern gibt es quasi flächendeckend Tarifverträge«, betont der ver.di-Verhandlungsführer Jens Havemann. Im Asklepios-Konzern seien diese hingegen die Ausnahme und stammten in der Regel noch aus den Zeiten vor der Privatisierung. Das kritisiert auch der Asklepios-Konzernbetriebsrat, der bei einer Sitzung am 5./6. Oktober seine Solidarität mit den Streikenden erklärte. »So wie die Kolleg*innen in Seesen fordern die Beschäftigten vieler Asklepios-Kliniken einen branchenüblichen Tarifvertrag auf TVöD-Niveau mit der Gewerkschaft ver.di«, heißt es in der Stellungnahme. Von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich am Rande der Gesundheitsministerkonferenz am 30. September von Asklepios genervt gezeigt hatte, erwarte man mehr. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der Konzernbetriebsrat in einem Offenen Brief an Spahn kritisiert, dass private Konzerne wie Asklepios Gewinne aus Sozialversicherungsbeiträgen generieren, sich aber weigern »die Regeln in Deutschland anzuerkennen und konkurrenzfähige Tarifverträge abzuschließen«.

Das Hamburger Unternehmen, das seit Übernahme der Rhön AG zum zweitgrößten Klinikbetreiber in Deutschland aufgestiegen ist, will in Seesen lediglich mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über Entgeltbedingungen treffen. In der Akutklinik sollen sich die Gehälter demnach am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) orientieren. Das Angebot für den Reha-Bereich liegt deutlich darunter und würde einen Teil der Beschäftigten schlechterstellen als jetzt. Und für die Therapeutinnen und Therapeuten hat Asklepios dem Betriebsrat überhaupt kein Angebot vorgelegt. »Es kann nicht sein, dass die Situation für die Therapie Horror ist, für die Reha Elend und das Akuthaus mit ein paar Brotkrumen abgespeist wird«, begründet der ver.di-Sekretär Patrick von Brandt die Fortsetzung des Arbeitskampfs.

Dafür hatten sich in der vergangenen Woche 150 Teilnehmer*innen einer Streikkonferenz einstimmig ausgesprochen. Um die Corona-Regeln einzuhalten, fand das Treffen nacheinander in drei Schichten statt. Am Donnerstag (15. Oktober 2020) wollen die Streikenden erneut zusammenkommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

 
Streikkundgebung von Asklepios-Beschäftigten am 13. Oktober 2020 in Seesen

Enorme Solidarität

Dass die Streikenden trotz der Einschüchterungs- und Spaltungsversuche durch Asklepios so lange durchgehalten haben, ist auch auf die enorme Solidarität zurückzuführen, die ihnen von allen Seiten entgegengebracht wird. Das Bürgerbündnis »Wir für Seesen« hat in dem Städtchen in der Nähe von Göttingen über 6.000 Solidaritätsunterschriften gesammelt. Stadt- und Kreistag erklärten ihre Unterstützung.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) betont in einer Videobotschaft, die Landesregierung wünsche sich überall mehr Tarifbindung. Er verwies darauf, dass es »viele, viele Krankenhäuser« in der Region gebe, die an einen Tarifvertrag gebunden sind. Auch der Göttinger Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin (Grüne) nennt es »völlig unverständlich«, dass Asklepios anders als andere Klinikbetreiber in der Region Tarifverträge verweigert. »Noch hanebüchener« sei es, Tarifverträge durch Teilbetriebsvereinbarungen ersetzen zu wollen. »Hier wird ganz offensichtlich der Versuch gemacht – auch zulasten der Patienten –, alles aus dieser Klinik in Seesen herauszupressen.« Der ehemalige Bundesumweltminister fügt in dem Video hinzu: »Es kann nicht sein, dass privatisierte Kliniken dafür herhalten müssen, die Renditeerwartungen eines Luxushotelbetreibers und Multimilliardärs zu finanzieren.«

Solidarität kommt indes nicht nur aus der Politik, sondern vor allem aus der Bevölkerung und von anderen Belegschaften. Deshalb bedankten sich die Streikenden am Freitag (9. Oktober 2020) bei ihren Kolleginnen und Kollegen der Seesener Verpackungsbetriebe CROWN und Trivium für ihre seit Monaten andauernde Unterstützung. Sie verteilten an den Werkstoren Süßigkeiten. Und dieses Mal waren es die Klinikbeschäftigten, die für ihre Kolleg*innen in der Industrie 90 Minuten lang ununterbrochen klatschten.

 

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Streikende erwarten von Asklepios bis zum 26. Oktober ein Angebot mit einer »Lösung für alle« –Kapazitäten des Krankenhauses bleiben reduziert

Pressemitteilung, Seesen, 16.10.2020. Der unbefristete Streik in den Asklepios-Kliniken in Seesen geht in eine dritte Woche. Die Beschäftigten haben sich am Donnerstag in einer Streikkonferenz einhellig für eine Fortsetzung des Streikes auf dem bisherigen Niveau ausgesprochen, bei dem die Kapazitäten des Krankenhauses drastisch reduziert werden und damit Asklepios erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügt.

Ver.di-Verhandlungsführer Jens Havemann: »Asklepios lässt den Beschäftigten leider keine andere Wahl. Es muss eine Lösung für alle geben. Das war die klare Botschaft der Konferenz. Die Spaltungsversuche müssen ein Ende haben. Die Kündigungen in der Therapie GmbH müssen zurückgenommen werden und die Beschäftigten erwarten ein Angebot auch für die Reha und die Therapie sowie Nachbesserungen in der Akutklinik.«

Asklepios hatte in Gesprächen mit dem Betriebsrat bisher lediglich für einen Teil der Beschäftigten im Akut-Krankenhaus einige Verbesserungen in Aussicht gestellt. Diese Gespräche werden am 26. Oktober fortgesetzt. Linda Bohmhauer, Krankenschwester und Mitglied der ver.di-Streikleitung: »Wir setzen unseren Streik ab Montag, den 26. Oktober aus. Das ist ein klares Signal an Asklepios. Wir erwarten ein akzeptables Angebot für alle und wir wollen Ruhe für lösungsorientierte Gespräche schaffen.«

Havemann weist nochmals darauf hin, dass selbstverständlich kein Corona-Bett bestreikt wird. »Sobald ein Covid-19-Patient in der Klinik aufgenommen wird, werden wir in diesem Bereich der Klinik die Kapazitäten auf das Vorstreik-Niveau anheben.« Sandra Grundmann, Auszubildende und Mitglied der Streikleitung: »Der Streik ist nicht unser Wunsch, wir wollen die Patienten gut versorgen. Das aber macht Asklepios uns mit seiner Sparpolitik unmöglich. Die Personalkürzungen, die Ausgliederung der Therapie, die Abspaltung der Reha – all das bringt für die Patienten Probleme – genauso wie es die ehemaligen Chefärzte in ihrem Brandbrief beschrieben haben. Wir Azubis spüren direkt, welche Auswirkungen diese Personalkürzungen im Alltag haben. Die Praxisanleitung fällt immer häufiger aus. So können wir nur schlecht adäquat ausgebildet werde, um einmal qualifizierte Pflegefachkräfte zu werden.«

Das bisherige Vergütungsniveau in den Schildautalkliniken führt dazu, dass Asklepios massive Probleme hat, Personal für die Klinik zu halten und neu zu gewinnen. Die Beschäftigten sehen durch die großen personellen Lücken den Standort gefährdet und fordern mit ihren Streiks einen Tarifvertrag und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf das konkurrenzfähige Niveau des Öffentlichen Dienstes. Betriebsratsvorsitzender Oliver Kmiec: »Wir wissen, dass wir die Klinik in kürzester Zeit wieder zu dem Leuchtturm machen können, der er immer gewesen ist. Das Konzept der Klinik ist wirklich perfekt. Wir können den Patienten alles bieten, was auch immer sie gerade brauchen. Das einzige, was wir dafür brauchen ist, ist ein Konzern, der den rigiden Sparkurs verlässt und in das Personal investiert.«

Martin Kupferschmidt, Krankenpfleger und Mitglied der ver.di Streikleitung: »Die Streikkonferenz war wieder Gänsehaut pur. Ein Haus, ein Team, eine Einheit. Das Akuthaus ist nichts ohne die Therapie und ohne die Reha. Wir wollen endlich wieder eine gute Klinik sein – davon war der ganze Tag getragen. Leider bewegt sich Asklepios aber ohne Streikdruck nicht.«

Der Umgang von Asklepios mit Grundrechten der Beschäftigten war am Mittwoch dieser Woche wieder einmal deutlich geworden. Eine Delegation der Streikenden hatte dem Sitz der Asklepios Therapie GmbH in Bad Salzungen (Thüringen) einen Besuch abgestattet, um gegen die ausgesprochenen sieben Kündigungen zu protestieren. Als der dortige Geschäftsführer Martin Merbitz am Morgen von dem Besuch erfuhr, regierte er aufgebracht und drohte gegenüber dem Betriebsrat an, dieser Besuch werde »Konsequenzen« haben. Havemann dazu: »Die Menschen haben ihr Grundrecht auf Streik und Demonstration wahrgenommen, um gegen Kündigungen zu protestieren, die die Patientenversorgung verschlechtern. Da gibt es keinerlei Grund Drohungen auszusprechen. Es ist bezeichnend und bedauerlich, welche Einstellung im Asklepios-Management vorzuherrschen scheint.«

 

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