»Nach 31 Jahren deutsche Einheit ist es höchste Zeit, Vergütung und Arbeitsbedingungen überall vollständig auf das Westniveau anzuheben«, sagt Heiko Piekorz. Er und seine Kolleg*innen an den Asklepios-Fachkliniken in Brandenburg wollen nicht länger hinnehmen, dass sie für die gleiche Arbeit bis zu 21 Prozent weniger Gehalt bekommen als Beschäftigte in Westdeutschland, zum Beispiel am Konzernsitz in Hamburg. Deshalb streiken sie. Und das mit Ausdauer: Montagfrüh (22. November 2021) endete eine weitere siebentägige Arbeitsniederlegung, insgesamt kommen die Kolleg*innen in Lübben, Teupitz und Brandenburg an der Havel schon auf 29 Streiktage. Ob es noch mehr werden, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber bei der mittlerweile achten Verhandlungsrunde am 26. November ein einigungsfähiges Angebot auf den Tisch legt.
Dass sich Asklepios bislang so vehement gegen eine angemessene Bezahlung seiner Beschäftigten in Brandenburg wehrt, kann sich ver.di-Tarifkommissionsmitglied Piekorz nur mit »ideologischer Verbohrtheit« erklären. »Die Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) wird nicht nur in Hamburg, sondern auch in Brandenburg von den Krankenkassen refinanziert.« Offensichtlich stehe für den kommerziellen Klinikbetreiber die Gewinnmaximierung an erster Stelle – auf Kosten der Beschäftigten und der Gesundheitsversorgung in der Region. Denn da im Städtischen Klinikum Brandenburg, im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann und an den öffentlichen Krankenhäusern Berlins der TVöD gilt, während die Beschäftigten der Asklepios-Fachkliniken mit teilweise bis zu 10.600 Euro weniger im Jahr abgespeist werden, wandern Pflegekräfte und andere Berufsgruppen zunehmend ab. Zu den schlechteren Konditionen Stellen neu zu besetzen, ist oft nicht möglich.
»Auf Dauer gefährdet das die Sicherheit der psychiatrischen Versorgung in der Region«, kritisiert Piekorz. »Hier ist auch die Politik gefordert.« Wenn der Staat die Gesundheitsversorgung schon nicht zurück in öffentliche Hand nehmen wolle, müsse er zumindest klare Vorgaben für eine bedarfsgerechte Personalbesetzung und eine angemessene tarifliche Vergütung machen, findet der Gewerkschafter. Zwar gibt es mit der Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) eine Personalbemessung, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat jedoch beschlossen, Verstöße dagegen auch im kommenden Jahr nicht zu sanktionieren.
Die Beschäftigten sind fest entschlossen, die Benachteiligung nicht länger hinzunehmen. Zugleich zeigen sie Kompromissbereitschaft. Doch das Angebot der ver.di-Tarifkommission, die Entgelte lediglich auf 95 Prozent des TVöD-Niveaus anzuheben, wies Asklepios zurück. »Viele sagen: Wenn der Arbeitgeber weiter derart mauert, dann bin ich hier weg«, berichtet Piekorz. Zuvor wollten sie aber mit aller Kraft versuchen, bessere Bedingungen durchzusetzen. Über 100 Kolleginnen und Kollegen sind in den vergangenen Monaten ver.di beigetreten.
Auch der Versuch von Asklepios, juristisch gegen den Streik vorzugehen, wirkte nicht als Einschüchterung, sondern als zusätzliche Motivation. Mehrfach wiesen die Gerichte den Antrag des Konzerns zurück, die Arbeitsniederlegungen wegen fehlender schriftlicher Notdienstvereinbarung untersagen zu lassen. Es sei ausreichend, dass der Notdienst in der Praxis greift und keine erheblichen Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung entstehen. »Wir stellen selbstverständlich sicher, dass durch den Streik niemand gefährdet wird«, betont der ver.di-Verhandlungsführer Ralf Franke. Dennoch hat der Ausstand deutliche Folgen: In den drei Kliniken konnten bis zu 300 Betten vorübergehend nicht belegt werden.
Vor diesem Hintergrund beginnt die harte Haltung der Konzernspitze zu bröckeln. Nach fünf Verhandlungsrunden hatte sie am 22. Juni noch kategorisch erklärt, keine weiteren Zugeständnisse zu machen. »Es brauchte 18 Streiktage, um den Arbeitgeber wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen«, blickt Franke zurück. »Das ist sehr zäh, aber es zeigt sich: Der Streik wirkt.« Ob das für seine antigewerkschaftliche Haltung bekannte Asklepios-Management nun tatsächlich verstanden hat, wird sich am 26. November zeigen. Sollte auch dann keine Einigung möglich sein, sind weitere Arbeitsniederlegungen wahrscheinlich. »Asklepios sollte sich keine Illusionen machen«, warnt Piekorz. »Die Leute sind bereit, noch viele Monate für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.«
Daniel Behruzi
Pressemitteilung, Berlin/Brandenburg, 27.11.2021. Am Abend des 26. November 2021 wurde bei den seit April 2021 laufenden Tarifverhandlungen für die rund 1.300 nichtärztlich beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Asklepios Fachkliniken in Brandenburg (Havel), in Lübben und in Teupitz in der achten Verhandlungsrunde eine Tarifeinigung erzielt.
Mit der Tarifeinigung steigen ab dem 1. April 2022 die Tabellenentgelte in zwei Schritten um bis zu 7,5 Prozent. Der zweite Erhöhungsschritt zum 1. Mai 2023 beträgt einheitlich 1,7 Prozent. Für die besonders hohe Corona-Belastung in den zurückliegenden Monaten wird im Dezember 2021 eine zusätzliche steuerfreie Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.200 EUR - bei Teilzeitbeschäftigung anteilig - gezahlt. Die Auszubildenden erhalten eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 450 EUR.
Die Tarifeinigung hat eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2023 und steht noch unter dem jeweiligen Gremienvorbehalt. Die ver.di-Tarifkommission hat der Tarifeinigung zugestimmt. Nach Abschluss der Redaktionsverhandlungen müssen noch die ver.di-Mitglieder in einer Urabstimmung dem Verhandlungsergebnis zustimmen.
„Mit der Tarifeinigung erfolgt ein wesentlicher Schritt zur Angleichung an die Tarifentgelte, die den Asklepios-Beschäftigten in Hamburg und in Göttingen gezahlt werden, auch wenn wir von 100 Prozent teilweise noch weit entfernt sind“, so Ralf Franke, der ver.di-Verhandlungsführer.
Bei einer Pflegefachkraft werden die monatlichen Tabellenentgelte zum 1. April 2022 auf 95 Prozent des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD), der auch bei Asklepios in Hamburg und in Göttingen Anwendung findet, angehoben. Mit der neuen monatlichen Pflegezulage in Höhe von 60 EUR und mit Erhöhung der monatlichen Zulage für Wechselschichtarbeit um weitere 70 EUR steigt das monatliche Entgelt bei einer Pflegefachkraft bei mindestens 14jähriger Beschäftigungszeit um 6,5 Prozent zum 1. April 2022 und mit dem zweiten Erhöhungsschritt und der weiteren Erhöhung der Wechselschichtzulage zum 1. Mai 2023 um weitere 2,8 Prozent.
Weitere Details zur Tarifeinigung vom 26. November 2021:
Landesfachbereichsleiterin Berlin-Brandenburg
030 / 8866-5300
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Krankenhäuser
030/6956-1812
diana.sgolik@verdi.de