Die Beschäftigten mehrerer Asklepios-Kliniken streiten weiter für Tarifverträge. Bislang gibt es lediglich im ehemaligen Landesbetrieb Krankenhäuser in Hamburg sowie an einigen anderen Kliniken tarifliche Vereinbarungen mit der Gewerkschaft ver.di. Während für die Ärztinnen und Ärzte ein konzernweiter Tarifvertrag gilt, sind die nicht-ärztlichen Beschäftigten an etlichen Standorten ohne tarifvertraglichen Schutz. Das schadet nicht nur ihnen, sondern setzt langfristig auch die Zukunft der Kliniken aufs Spiel, wenn diese im Wettbewerb um dringend benötigte Arbeitskräfte das Nachsehen haben. Die Beschäftigten wollen dem nicht tatenlos zusehen. Sie fordern eine angemessene Vergütung und gute Arbeitsbedingungen – verbindlich festgeschrieben in Tarifverträgen. Doch der kommerzielle Klinikbetreiber stellt auf stur. Statt auf seine Beschäftigten zuzugehen, droht er ihnen mit Outsourcing und versucht, Streikende einzuschüchtern.
In den Schildautalkliniken im niedersächsischen Seesen treten die Beschäftigten seit Juli 2019 immer wieder in den Streik. Ihre Forderung: Anwendung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD). Dieser gilt nur für einen kleinen Teil der rund 850 Beschäftigten, die noch einen alten Arbeitsvertrag mit der von Asklepios übernommenen Kreisklinik haben. Der Rest ist deutlich schlechter gestellt. So verdient eine examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin jedes Jahr rund 5.000 Euro weniger als im öffentlichen Dienst. Bei Physio- und Ergotherapeut*innen in Vollzeit kann der Unterschied sogar weit mehr als 8.000 Euro im Jahr ausmachen.
Die Betroffenen wollen, dass diese Ungleichbehandlung ein Ende hat. Mit 635 Unterschriften hat die überwältigende Mehrheit der Belegschaft klar gemacht, dass sie hinter den Tarifforderungen steht. Über die Hälfte der nicht-ärztlichen Beschäftigten hat sich der Gewerkschaft angeschlossen.
Auch die Kolleginnen und Kollegen der orthopädischen Fachklinik Lindenlohe im oberpfälzischen Schwandorf wollen einen Tarifvertrag. Seit Asklepios die Klinik im November 2004 vom Deutschen Roten Kreuz übernommen hat, verweigert der Konzern Tarifverhandlungen. Stattdessen wendet er einen Vertrag mit der »Gewerkschaft« DHV an, deren Tariffähigkeit derzeit vor Gerichten überprüft wird und der weit unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes liegt. Um das zu ändern, haben die Beschäftigten bereits Warnstreiks mit guter Beteiligung auf die Beine gestellt.
Asklepios betreibt 160 Gesundheitseinrichtungen in 14 Bundesländern, darunter Akutkrankenhäuser aller Versorgungsstufen, Fachkliniken, psychiatrische und forensische Einrichtungen, Reha-Kliniken, Pflegeheime und Medizinische Versorgungszentren. Seit 2006 verdoppelte das Unternehmen den Umsatz und vervierfachte den operativen Gewinn (EBITDA) auf 12,2 Prozent im Finanzjahr 2016. 2018 erwirtschafteten die Beschäftigten einen Gesamtgewinn von 171,1 Millionen Euro. Alleiniger Eigentümer ist Bernard große Broermann, dessen Gesamtvermögen auf 4,5 Milliarden Euro geschätzt wird (2019). Damit steht er laut dem Magazin Forbes auf Platz 365 der Liste der reichsten Menschen weltweit.
Bislang ignoriert Asklepios die Tarifforderungen seiner Beschäftigten. Stattdessen versucht das Management, zwischen Gewerkschaft, Beschäftigte und Betriebsräte einen Keil zu treiben, indem es den Betriebsräten »Angebote« für eine betriebliche »Arbeits- und Sozialordnung« macht. Die betrieblichen Interessenvertretungen werden zu Vereinbarungen über Lohn und Gehalt sowie Arbeitsbedingungen gedrängt, die laut Betriebsverfassungsgesetz unzulässig sind (§77, Abs. 3). Den Betriebsräten wird suggeriert, dies sei die einzige Möglichkeit, etwas für die Belegschaft zu tun.
So geschieht es aktuell in Lindenlohe. Als Reaktion auf die Streiks hat das Unternehmen dem Betriebsrat eine betriebliche Vereinbarung angeboten, in der die seit vielen Jahren geforderte Angleichung bei Arbeitszeit und Urlaub – also die 38,5-Stunden-Woche und 30 Urlaubstage für alle – umgesetzt wird. Die Entgelte der Beschäftigten sollen steigen. Die der Pflegekräfte sollen allerdings immer noch drei Prozent, die der anderen Beschäftigten sogar acht Prozent unter dem TVöD-Niveau liegen.
»Es ist beeindruckend, mit welcher Ausdauer sich die Beschäftigten der Asklepios-Kliniken Seesen und Lindenlohne für einen Tarifvertrag einsetzen. Das ist der richtige Weg. Denn
so verschaffen sie sich Respekt. Die anspruchsvolle und anstrengende Arbeit im Krankenhaus muss angemessen entlohnt werden. Sonst werden sich dafür in Zukunft nicht mehr genug Menschen finden. Einerseits über Fachkräftemangel zu jammern und andererseits den Beschäftigten stur Tarifverträge zu verweigern – das passt nicht zusammen. Gerade von Unternehmen, die sich aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern finanzieren, kann man etwas anderes erwarten.«
Sylvia Bühler ist Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und leitet den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.
Die Offerte ist eine direkte Folge der Streiks und ein Beleg dafür, dass es sich lohnt zu kämpfen. Sie ist aber auch ein »vergiftetes Angebot«: Zum einen, weil sie zwischen Pflegekräften und anderen Beschäftigten spaltet – und dadurch alle schwächt. Zum anderen, weil eine solche Regelungsabrede mit dem Betriebsrat keine Sicherheit schafft. Sie ist nicht individuell einklagbar. Künftige Lohnerhöhungen sollen nicht ausgehandelt, sondern anhand von Kennzahlen errechnet werden – und auf maximal 2,5 Prozent beschränkt sein. Aus diesen Gründen hat die große Mehrheit der ver.di-Mitglieder in Lindenlohe die »Arbeits- und Sozialordnung« abgelehnt. Sie wollen sich weiter für einen Tarifvertrag auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes einsetzen.
Der Abschluss von Tarifregelungen ist in Deutschland ausdrücklich Gewerkschaften vorbehalten. Mit gutem Grund: Die betrieblichen Interessenvertretungen können nicht zum Arbeitskampf aufrufen und ein gutes Ergebnis daher nicht gegen Widerstände durchsetzen.
Asklepios steht durch die Aktionen der Beschäftigten unter Druck. Daher ist jetzt ist die Gelegenheit, rechtlich bindende Tarifverträge zu erreichen. Das gilt es zu nutzen.
»Der Fall Asklepios zeigt exemplarisch, welche Blüten privates Gewinnstreben im Bereich der Daseinsvorsorge treibt. Bernard große Broermann ist mit Geschäften im Gesundheitswesen zum Multimilliardär geworden. Zugleich verweigert sein Unternehmen den Beschäftigten eine tarifliche Bezahlung. Dass sie sich dagegen zur Wehr setzen, ist auch im Interesse der Patienten und der Gesellschaft als Ganzes. Denn auf Basis von Niedriglöhnen gibt es dauerhaft keine gute Versorgung. Schluss mit der Profitmaximierung im Gesundheitswesen!«
David Matrai ist bei ver.di in Niedersachsen und Bremen verantwortlich für das Gesundheits- und Sozialwesen.
Neben Spaltungsversuchen setzt der Konzern auf Einschüchterung. So hat das Management in Seesen versucht, Beschäftigte per einseitiger »Notdienstverpflichtung« vom Streik abzuhalten – unrechtmäßig und ebenso erfolglos wie die ausgelobten Streikbrecherprämien. Auch die zum 1. Januar 2020 erfolgte Ausgliederung von rund 120 Therapeut*innen und zehn Angestellten in Rezeption und Archiv sieht ver.di in Zusammenhang mit dem Arbeitskampf. Denn wirtschaftliche oder fachliche Gründe für diesen Schritt sind nicht zu erkennen. Auch die angedrohte Ausgliederung der Zentralen Sterilgutversorgung in Lindenlohe hat aus ver.di-Sicht vor allem das Ziel, die Beschäftigten einzuschüchtern.
In Seesen hat die Belegschaft dem bereits eine Absage erteilt und klargemacht: Sie lässt sich weder spalten noch einschüchtern. Bei einer aktiven Mittagspause Ende Januar und bei einer Streikkonferenz am 18. Februar bekräftigten Pflegekräfte und Therapeut*innen, dass sie zusammenhalten. ver.di hat die neu gegründete Asklepios Therapie GmbH ebenfalls zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Weitere gemeinsame Streiks in Klinik und Tochtergesellschaft sind jederzeit möglich.
»Die Kolleginnen und Kollegen bei Asklepios haben schon viel bewegt. Der Konzern steht unter Druck, auf die Beschäftigten zuzugehen, und hat erste Angebote nachgebessert. Der Kampf hat sich damit schon gelohnt. Allerdings will das Unternehmen eine verbindliche tarifliche Regelung unbedingt vermeiden. Es ist richtig, an der Forderung nach einem Tarifvertrag festzuhalten. Asklepios muss endlich anerkennen, was in deutschen Krankenhäusern der Normalfall ist: Tarifverträge, die zwischen Gewerkschaft und Unternehmen auf Augenhöhe ausgehandelt werden. Wir bleiben dran.«
Robert Hinke ist bei ver.di in Bayern verantwortlich für das Gesundheits- und Sozialwesen.
Für die meisten von der Ausgliederung betroffenen Therapeut*innen ändert sich zunächst nichts. Sie befürchten aber, dass die Patientenversorgung schwieriger wird, weil die Aufspaltung die Zusammenarbeit zwischen den Beschäftigtengruppen erschwert. Kommunikationswege werden länger und komplizierter – zumal die Geschäftsführung der Therapie GmbH nicht vor Ort, sondern in Hessen sitzt. Deshalb streitet ver.di weiter dafür, dass alle Beschäftigten des Krankenhauses zu demselben Betrieb gehören und die gleichen – tariflich abgesicherten – Rechte haben.
»Ich kann mich als Bundesarbeitsminister natürlich nicht in Tarifverhandlungen einmischen, ich erwarte jedoch, dass beide Parteien, Asklepios und ver.di, miteinander reden. Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern sind in unserem Land ein hohes Gut, weil dadurch die Arbeitsbedingungen gut geregelt werden.« Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales
»Wer Pflegekräfte schlecht bezahlt, darf über den Fachkräftemangel nicht jammern. Der Konzern muss endlich mit der Gewerkschaft über einen Tarifvertrag und bessere Löhne verhandeln.« Sigmar Gabriel (SPD), ehemaliger Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister
»Der Kreistag Goslar (…) fordert zu konstruktiven Gesprächen auf und unterstützt den Wunsch der Beschäftigten nach angemessenen und vergleichbaren Löhnen.« Resolution des Kreistags Goslar, einstimmig verabschiedet am 23. September 2019
»Die CDU/FDP-Gruppe steht hinter den Forderungen des Betriebsrates und der Gewerkschaft ver.di. Für den Standort Seesen ist ein mit der Gewerkschaft ver.di auszuhandelnder Tarifvertrag die beste Lösung für die Zukunft der Asklepios-Klinik.« CDU/FDP-Gruppe im Rat der Stadt Seesen
Krankenhäuser
in Mutterschutz/Elternzeit