Beschäftigte der Asklepios-Schildautalkliniken in Seesen bei Göttingen streiken für einen Tarifvertrag – und für die Zukunft ihres Krankenhauses. Mehrheit in ver.di organisiert.
»Es geht ums Geld. Aber es geht auch um die Zukunft unserer Klinik«, sagt der Krankenpfleger Martin Kupferschmidt. Gemeinsam mit 220 anderen Beschäftigten der Asklepios-Schildautalkliniken im niedersächsischen Seesen hat er am Freitag (6. September 2019) zum dritten Mal die Arbeit niedergelegt. Die Belegschaft will so Druck machen, damit das Unternehmen endlich über einen Tarifvertrag auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes (TVöD) verhandelt. Bislang liegen die Gehälter deutlich darunter: Ein Physiotherapeut verdient zwischen 400 und 1.000 Euro weniger im Monat, eine Sozialarbeiterin bis zu 1.200 Euro. Bei Pflegekräften ist die Diskrepanz zum Flächentarifvertrag nicht ganz so groß. Doch auch hier führt der tariflose Zustand dazu, dass kaum jemand in den einst sehr renommierten Schildautalkliniken anfangen will. »Alle Krankenhäuser rund um Seesen sind tarifgebunden«, erklärt der Medizinisch-Technische Radiologie-Assistent Michael Wollenweber. »Spätestens wenn Bewerber hören, was sie bei uns verdienen, winken sie ab.«
Früher seien die Schildautalkliniken der »Leuchtturm« im Asklepios-Konzern gewesen, betonen die Beschäftigten. Doch seit einem Geschäftsführerwechsel 2017 gehe es bergab. Ein ganzer Krankenpflegekurs wurde in dem Jahr nicht übernommen, das Management verhängte einen Einstellungsstopp, der außerhalb der Pflege immer noch gilt. Die Belastung nahm massiv zu, ebenso die Krankheitsquoten. Die Qualität der Patientenversorgung aufrechtzuerhalten, wurde immer schwieriger. »Dabei ist unser Haus quasi systemrelevant«, betont Wollenweber, der sich auch im Betriebsrat und in der ver.di-Streikleitung engagiert. In der Klinik werden Schlaganfallpatient*innen aus der ganzen Region versorgt. Im Anschluss an die Akutbehandlung werden sie im Reha-Bereich am selben Standort wieder fit gemacht. Doch der gute Ruf hat in den vergangenen Jahren gelitten.
Immer wieder warnte der Betriebsrat vor den Folgen von Überlastung und untertariflicher Bezahlung. Doch die Geschäftsführung ignorierte die Appelle oder versuchte, die Beschäftigten mit Alibimaßnahmen ruhig zu stellen. »Irgendwann wurde uns klar: Allein über den Betriebsrat geht das nicht. Wir brauchen die Gewerkschaft«, so der Betriebsratsvorsitzende Oliver Kmiec. Auf einer Betriebsversammlung appellierte er an seine Kolleg*innen: Nur wenn sie sich in ver.di organisieren, können sie eine tarifliche Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Die Resonanz war enorm. »Die Leute sind so frustriert und wütend über Asklepios, dass sie uns das Büro einrennen und Mitglied werden wollen«, berichtet der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und ver.di-Aktivist Martin Kupferschmidt. »So etwas hätte ich mir früher nicht vorstellen können.« Von den rund 600 nicht-ärztlichen Beschäftigten, für die der Tarifvertrag gelten würde, haben sich bereits über die Hälfte ver.di angeschlossen. Die meisten Stationen und Bereiche haben Teamdelegierte bestimmt, die sich wöchentlich treffen, diskutieren und Aktionen planen.
Mittels einer sogenannten Mehrheitspetition machte die Belegschaft deutlich, dass sie hinter den Tarifforderungen steht. Doch die Geschäftsführung fand trotz langfristiger Ankündigung keine zehn Minuten Zeit, die von 635 Kolleginnen und Kollegen unterschriebene Petition entgegenzunehmen – ein weiterer Affront gegenüber denjenigen, die die Gewinne von Asklepios erwirtschaften. Und das tun sie immer noch. Trotz der Kürzungen überweisen die Schildautalkliniken einen Überschuss an die Hamburger Konzernzentrale. Dieser erreicht allerdings nicht mehr die veranschlagte operative Marge von zwölf Prozent – dem Vernehmen nach weil das Personal fehlt und Leistungen eingeschränkt werden müssen.
Statt endlich auf die Beschäftigten zuzugehen, setzt das Asklepios-Management auf Einschüchterung. So verkündete es kürzlich, die Therapiebereiche ausgliedern zu wollen. Die Betroffenen erfuhren davon »nebenbei«, durch die Einladung zu einer Mitarbeiterversammlung, bei der es unter Tagesordnungspunkt 6 um die »Ausgliederung der Therapiebereiche in eine Therapiegesellschaft« gehen soll. »Hier versucht Asklepios, seine Beschäftigten in übelster Manier zu verunsichern«, kritisiert der ver.di-Verhandlungsführer Jens Havemann. Es sei kein einziges unternehmerisch sinnvolles Motiv für die Ausgliederung erkennbar. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen fühlten sich »vor den Kopf gestoßen«, so der Betriebsratsvorsitzende Oliver Kmiec. Doch die Belegschaft werde sich nicht spalten lassen und weiter an einem Strang ziehen.
Vor dem Hintergrund der harten Haltung des Unternehmens richten sich die Beschäftigten auf eine lange Auseinandersetzung ein. Am Freitag nutzten sie den Streik, um in Arbeitsgruppen über das weitere Vorgehen zu diskutieren. Von den Kolleginnen und Kollegen kamen dabei etliche Ideen, wie die Belegschaft noch besser organisiert und die lokale Bevölkerung in den Konflikt einbezogen werden könnte. »Wir müssen den Menschen immer wieder klar machen, dass es nicht nur um uns geht, sondern um jeden Bürger und jeden Krankenversicherten, der Anspruch auf eine gute Versorgung hat«, meinte eine Kollegin.
Auch andere Asklepios-Belegschaften sollen angesprochen und mobilisiert werden. Viele von ihnen haben bereits mit Schreiben und Aktionen ihre Solidarität bekundet. »Ich hoffe, dass wir einen Stein ins Rollen bringen und die Kolleginnen und Kollegen der anderen Häuser ebenfalls anfangen, sich zu organisieren und aktiv zu werden«, erklärt Martin Kupferschmidt. Zugleich stellt er klar: »Die Leute hier sind keine Revoluzzer. Sie haben nur Angst um ihre Klinik und wollen die Patienten endlich wieder gut versorgen können.« Um das zu erreichen, sind die Pflegekräfte, Therapeut*innen und anderen Beschäftigten der Seesener Schildautalkliniken aber offenbar zu Vielem bereit.
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