AWO

Weniger arbeiten bei gleichem Geld

Bei der Arbeiterwohlfahrt in Augsburg erreicht ver.di einen Tarifvertrag zur Einführung der 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich. Gewerkschaft sieht Vorbild für andere Träger.
20.04.2022
Augsburg, 6. April 2022 Kolleg*innen der AWOVita (AWO Augsburg)

Die Arbeiterwohlfahrt in Augsburg geht voran: Per Tarifvertrag werden die Arbeitszeiten in der Pflege sowie im Sozial- und Erziehungsdienst von 39 auf 35 Wochenstunden abgesenkt – ohne Lohneinbußen. »Das ist ein toller Schritt zur Entlastung der Beschäftigten. Statt die Überlastung nur zu beklagen, gehen die AWO und ver.di in Augsburg einen mutigen Schritt und verkürzen die Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich«, erklärt Roman Martynez, der gemeinsam mit seiner Kollegin Uschi Zwick die Verhandlungen für ver.di geführt hat. Robert Hinke, der bei ver.di in Bayern für das Gesundheitswesen zuständig ist, nennt die Einigung über ein entsprechendes Eckpunktepapier »ein starkes tarif- und sozialpolitisches Signal in die gesamte Branche wie auch in die Politik«. Er sei überzeugt, dass »dem guten Beispiel der Augsburger AWO über kurz oder lang auch andere Träger und Verbände folgen werden«. Sollten die Kostenträger bei der Refinanzierung Schwierigkeiten machen, werde man dies gemeinsam skandalisieren. Auch von dieser Seite müssten Lippenbekenntnissen für bessere Arbeitsbedingungen nun Taten folgen.

Im neuen Haustarifvertrag für die rund 1.000 Augsburger AWO-Beschäftigten wird die Wochenarbeitszeit in der Pflege im September dieses und kommenden Jahres um jeweils zwei Stunden abgesenkt. Im Sozial- und Erziehungsdienst tritt die Arbeitszeitverkürzung etwas später in Kraft, ab September 2024 ist die 35-Stunden-Woche aber auch dort erreicht. Man wolle damit in die Attraktivität der Pflege- und Sozialberufe investieren, erklärt Werner Weishaupt, Sprecher der AWO-Geschäftsführung. »Den Fachkräftemangel im Sozial- und Gesundheitswesen werden wir nämlich nur durch attraktive und interessante Rahmenbedingungen abbauen können.«

 

Weiterer Leuchtturm für Entlastung

Das sieht auch Roman Martynez so. »Wir schaffen damit einen weiteren Leuchtturm für Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen in Bayern«, so der ver.di-Sekretär mit Verweis auf den 2018 erzielten Entlastungs-Tarifvertrag am Augsburger Uniklinikum. Dieser beinhaltet unter anderem, dass Beschäftigte, die mehrfach in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen, zusätzliche Freizeit als Belastungsausgleich erhalten. Die örtliche AWO geht nun einen anderen Weg: Durch die generelle Arbeitszeitverkürzung sollen die Beschäftigten mehr Zeit zur Regeneration erhalten. Zugleich wird ihnen ein Wahlrecht eingeräumt: Statt der Arbeitszeitreduzierung können sie ein entsprechend höheres Gehalt wählen, was allerdings nicht für Neueingestellte gilt. Im Gegenzug können die Arbeitszeitkonten für die Laufzeit des Tarifvertrags stärker ins Plus bzw. Minus gefahren werden als bisher. Auf der Habenseite von ver.di wiederum steht, dass im Zuge der Tarifeinigung eine Reihe neuer Entgeltgruppen und Zulagen eingeführt werden, die Beschäftige besserstellen.

»Das vereinbarte Paket kann sich insgesamt sehen lassen. Vor allem aber die zusätzliche Freizeit ist durch nichts aufzuwiegen«, meint Gewerkschaftssekretär Martynez, der selbst 18 Jahre in der Altenpflege gearbeitet hat. »Wenn ich bei einem Arbeitgeber für das gleiche Geld vier Stunden pro Woche mehr Freizeit habe, dann gehe ich ganz sicher dorthin.« Der bei der AWO abgeschlossene Haustarifvertrag – der insgesamt auf dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) und in Teilen noch etwas darüber liegt – setze auch andere Träger in der Region unter Druck, bessere Arbeitsbedingungen zu bieten, argumentiert seine Kollegin Uschi Zwick. »Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn – das kann und sollte durchaus Schule machen.«

 

veröffentlicht/aktualisiert am 20. April 2022

 

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