»Synergien heben«, »Effizienz steigern«, »Kostenstrukturen überprüfen«, »Portfolio anpassen« – mit diesen Stichworten umschreibt Fresenius in allen Konzernsparten und Ländern seine Strategie, möglichst hohe Gewinne mit Gesundheitsdienstleistungen zu erwirtschaften. Beim digitalen Treffen der »Fresenius Global Union Alliance« – dem 2019 gegründeten internationalen Netzwerk von Gewerkschafter*innen bei Fresenius – am 26. Oktober 2021 wurde deutlich: Allzu oft geht dieses Vorgehen zu Lasten der Beschäftigten und Patient*innen.
»Fresenius macht weiter Gewinne, aber sie fließen nicht mehr ganz so üppig wie in der Vergangenheit«, fasste die ver.di-Bereichsleiterin Gesundheitspolitik, Grit Genster, die aktuelle Lage des im hessischen Bad Homburg ansässigen Konzerns zusammen. Im vergangenen Jahr lag das Konzernergebnis mit gut 1,7 Milliarden Euro leicht unter dem Vorjahresniveau. Hintergrund ist unter anderem, dass rund 15.000 Dialysepatient*innen in den USA infolge der Corona-Pandemie frühzeitig verstorben sind, was der vor allem in Nordamerika präsenten Tochter Fresenius Medical Care Umsatzeinbußen bescherte. Obwohl das Geschäft in anderen Bereichen trotz oder wegen der Pandemie gut läuft – zum Beispiel beim Medizinproduktehersteller Kabi, aber auch bei der größten deutschen Klinikkette Helios – dreht das Management nun an der Kostenschraube.
Bis 2023 sollen jährlich mindestens 100 Millionen Euro eingespart werden. Dabei hat die Fresenius-Hauptversammlung im Mai beschlossen, fast eine halbe Milliarde Euro an die Aktionärinnen und Aktionäre auszuschütten. Durch das Programm zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung wird sich der Druck auf die Beschäftigten absehbar weiter erhöhen. Allein bei Fresenius Medical Care sollen weltweit 5.000 Arbeitsplätze vernichtet werden. »Deshalb ist es wichtig, dass wir uns vernetzen und gemeinsam daran arbeiten, Arbeitnehmerrechte bei Fresenius kollektiv durchzusetzen«, sagte Genster, die für ver.di im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt. Eben dieser Vernetzung dienen die Treffen der »Globalen Allianz«, die sobald es die pandemische Lage zulässt auch wieder in Präsenz stattfinden sollen. Am 26. Oktober 2021 beteiligten sich daran rund 80 Vertreter*innen von Gewerkschaften und Fresenius-Beschäftigten aus der ganzen Welt, unter anderem aus Argentinien, Australien, Brasilien, Frankreich, Indien, Kolumbien, Korea, Philippinen, Slowenien, Spanien, Polen, Portugal, USA und Deutschland.
In vielen Länderberichten wurde deutlich, welche Folgen die Strategie der Gewinnmaximierung hat. »Der Druck auf das Personal wird immer größer, die Leute sind physisch und psychisch total erschöpft«, berichtete beispielsweise Alberto Fuentelsaz von der Gewerkschaft CCOO über die Situation beim spanischen Krankenhausbetreiber Quirónsalud, den Fresenius 2016 übernommen hat. Folge sei ein zunehmender Mangel an Fachkräften. »Die Beschäftigten wechseln in öffentliche Krankenhäuser, weil die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung dort besser sind.« Auch in den französischen Dialysekliniken von Fresenius, die hier unter NephroCare firmieren, fehlt es an Personal. Das Unternehmen habe Probleme, Arbeitskräfte zu finden und müsse deshalb immer wieder Einrichtungen vorübergehend schließen, erklärte Eric Lacoste von der Gewerkschaft CGT. Ein Grund: »Die Gehälter sind zu niedrig.«
Aus den USA berichtete Cass Gualvez von der Gewerkschaft SEIU-UHW, dass manche Beschäftigte sogar aus den Dialysekliniken von Fresenius Medical Care (FMC) zum berüchtigten Versandhändler Amazon wechseln, weil dieser eine bessere Bezahlung biete. In Kalifornien seien die FMC-Einrichtungen zu 100 Prozent ohne gewerkschaftliche Vertretung und Tarifbindung. »Die Gier des Unternehmens schadet den Beschäftigten und gefährdet Patientinnen und Patienten«, kritisierte sie. Deshalb versuche die SEIU-UHW, Beschäftigte und Patient*innen gemeinsam zu organisieren. »Wir kämpfen sowohl für Arbeitnehmerrechte und Tarifverträge als auch für die Patientenwürde und eine gute Versorgung«, so Gualvez. Bereits 2017 hatte eine Delegation von US-Beschäftigten gegenüber ver.di-Vertreter*innen in Berlin über eine »Atmosphäre der Angst« in den dortigen FMC-Kliniken berichtet. Seither hat sich wohl nichts Entscheidendes verbessert. Die Gewerkschafterin betonte: »Trotz Einschüchterungsversuchen kämpfen wir weiter, gemeinsam mit allen Gewerkschaften weltweit.«
Auf Repression setzt das Management offenbar auch in anderen Ländern. So berichteten Gewerkschafter*innen aus Polen von der Entlassung von Kolleg*innen, die sich für besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz eingesetzt haben. Am schlimmsten ist die Situation für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter indes in Kolumbien. Ein Kollege erklärte, dass er aufgrund seiner Gewerkschaftsarbeit Morddrohungen von unbekannten Personen erhielt, weshalb er das Land verlassen und seine Familie zurücklassen musste. »Wir erleben einen Alptraum«, sagte die Gewerkschaftsvorsitzende bei Fresenius in Medellín, Claudia Irene López Hernández. »Die Arbeitsrechte werden systematisch unterlaufen, Tarifregelungen werden nicht eingehalten, Gewerkschaftsmitglieder verfolgt.« Auch sie und ihre Familie seien schon mehrfach massiv bedroht worden. Kolumbien gilt als das Land mit den meisten Angriffen auf Gewerkschaftsaktive. Seit den 1970er Jahren wurden laut Gewerkschaftsdachverband etwa 3.000 seiner Mitglieder ermordet.
Für die Adrian Durtschi vom internationalen Gewerkschaftsverband UNI Global Union ist klar: »Die Kolleginnen und Kollegen in Kolumbien brauchen unsere Unterstützung.« Beim nächsten Treffen des »strukturierten Dialogs«, den die Gewerkschaften mit Fresenius führen, werde man das Thema mit der Konzernspitze ansprechen, kündigte er an. Sollte das nichts Grundlegendes bewirken, will das Gewerkschafternetzwerk einen internationalen Solidaritätstag mit den kolumbianischen Kolleg*innen vorbereiten.
Auch auf europäischer Ebene soll die Zusammenarbeit intensiviert werden. So beschlossen die Teilnehmer*innen des Treffens, gemeinsam für ein EU-Richtlinie Druck zu machen, mit dem Unternehmen für die Einhaltung von Menschen- und Beschäftigtenrechten in allen Teilen der Wertschöpfungskette in die Verantwortung genommen werden. Vorbild ist das in Deutschland beschlossene Lieferkettengesetz. Cordula Kiank von der ver.di-Bundesverwaltung betonte, dass die Gewerkschaften auch über den »strukturierten Dialog« hinaus weiterhin ein globales Rahmenabkommen mit Fresenius anstreben, um die Beschäftigtenrechte im Konzern weltweit abzusichern. Denn klar sei: »Wenn ein Gesundheitskonzern zu Lasten der Beschäftigten, der Patientinnen und Patienten sowie der öffentlichen Hand seine Profite steigert, können wir das nicht akzeptieren.«
Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik
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