Noch gut erinnert sich Chiara an Momente, in denen sie ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft im Krankenhaus fast abgebrochen hätte. "Ich fühlte mich viel zu schnell alleine gelassen", berichtet die 25-Jährige. "Dazu diese Verantwortung. Das war mir alles zu viel." Oft fehlte Zeit für die Praxisanleitung. Inzwischen hat Chiara ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, ist aktiv in der Jugend- und Auszubildendenvertretung – kurz JAV – beim Helios-Klinikum in Krefeld sowie der Konzern-JAV – und weiß nur zu gut, dass sich viele Auszubildende am Anfang überfordert fühlen. "Deshalb gucken wir: Wie lässt sich die Situation generell verbessern?" Zum Beispiel mit einer Betriebsvereinbarung. Und vielen anderen Ideen.
"Unterm Strich sind die Probleme in allen Kliniken ähnlich", meint Maximilian, ebenfalls in der KJAV aktiv. Deshalb mache es Sinn, die Themen nicht nur an den einzelnen Standorten in den Blick zu nehmen, sondern konzernweit. Zum größten privaten Krankenhausbetreiber gehören aktuell 87 Kliniken in ganz Deutschland. Über 5.000 junge Menschen machten ihre Ausbildung bei Helios, berichtet Leon, Jugendvertreter aus Hildburghausen in Thüringen. "Für sie wollen wir Verbesserungen erwirken." Deshalb reisen Chiara, Leon und Maximilian alle zwei Monate nach Berlin, um sich dort mit anderen Jugendvertreter*innen auszutauschen.
Jede JAV entsendet ein Mitglied in die KJAV. Jeweils von Montag bis Mittwoch kommen die Jugend- und Auszubildendenvertreter*innen während ihrer regulären Arbeitszeit zusammen, diskutieren, welche Themen aktuell eine Rolle spielen – und überlegen, wie sie Probleme gemeinsam angehen können. In der Regel seien dabei JAV-Mitglieder aus 20 bis 30 Helios-Standorten vertreten, schätzt Chiara. Der Austausch mit jungen Menschen aus ganz Deutschland sei enorm bereichernd. "Das ist eine tolle Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand zu blicken", findet die 25-Jährige. "Die Atmosphäre ist einzigartig." Maximilian machen die Treffen ebenfalls großen Spaß. "Das ist eine coole Truppe", so der 20-Jährige. Und auch Leon betont: "Wir können auch für unsere örtliche Arbeit viel Input mitnehmen."
Zum Beispiel, wie dem sogenannten Stationshopping Grenzen gesetzt werden können. Oft würden Auszubildende sehr kurzfristig auf anderen Stationen eingesetzt, kritisiert Leon. "Aber Azubis sind keine Lückenfüller." Auch Maximilian erlebt, dass der Personalmangel mitunter dazu führt, dass Auszubildende irgendwo notdürftig einspringen müssen. Das sei jedoch nicht Sinn der Ausbildung. Die JAV in Sangerhausen schiebt dieser Praxis mit einer Betriebsvereinbarung einen Riegel vor: Darin ist klipp und klar festgeschrieben, dass ein genauer Ausbildungsplan einzuhalten ist: Jeder außerplanmäßige Einsatz muss vom Betriebsrat genehmigt werden. Die JAV in der Helios Klinik Schleswig zog sogar mit dem Betriebsrat vors Arbeitsgericht – und setzte durch, dass der Arbeitgeber bei jedem nicht mitbestimmten Stationshopping eine Strafe zahlen muss. Die KJAV trägt mit dazu bei, solche Ideen zu verbreiten. Schließlich sind die Beispiele für andere Jugendvertretungen sehr hilfreich.
Ein Dauerthema ist, dass im Alltagsstress häufig auch die Praxisanleitung zu kurz kommt. "Viele fühlen sich ins kalte Wasser geworfen", sagt Maximilian. Frisch aus der Schule stünden die Auszubildenden häufig auf der Station mehr oder weniger alleine da. „Das wollen wir verbessern“, sagt der 20-Jährige. Aktuell plant die KJAV eine Umfrage: Alle Auszubildenden im Konzern werden gefragt, wie ihrer Meinung nach eine gute Praxisanleitung auszusehen hat. Außerdem hat die konzernweite Jugend- und Auszubildendenvertretung eine Mustervorlage für eine Betriebsvereinbarung erarbeitet. Darin ist geregelt, wie viele Praxisanleiter*innen zur Verfügung stehen und welche Qualifikation sie mitbringen müssen. Einige Krankenhäuser hätten die Idee bereits aufgegriffen und die Betriebsvereinbarung abgeschlossen, so Leon.
In seinem Freundeskreis fänden alle ziemlich cool, dass er sich für bessere Ausbildungsbedingungen engagiere, sagt Maximilian. "Man merkt richtig, dass man etwas bewegt. Auch wenn es nur kleine Schritte sind." Die Jugend- und Auszubildendenvertretung habe schon ein "paar coole Sachen" auf die Beine gestellt.
Als Chiara neu in die JAV in Krefeld gewählt wurde, hatten Auszubildende beispielsweise in ihrer Klinik noch keinen eigenen Zugang zur elektronischen Patientenakte. Das haben die Jugendvertreter*innen direkt geändert. Und auch Leon setzte mit seiner JAV in Hildburghausen zuallererst um, dass Auszubildende ebenfalls Zugriff auf die digitalen Patientenakten haben. "Sonst haben sie ja gar keine Chance, auf der Station adäquat mitzuarbeiten." Die JAV trifft sich regelmäßig mit der Geschäftsführung zur aktuellen Stunde. Anfangs sei er etwas nervös gewesen, gesteht Leon. "Aber mit der Zeit wird es immer besser."
Direkt zu Beginn seiner Ausbildung ist er in die Gewerkschaft eingetreten. Für die Arbeit der Jugend- und Auszubildendenvertretung sei ver.di eine sehr gute Unterstützung, sagt Leon. Regelmäßig stünden sie in Kontakt mit dem zuständigen ver.di-Sekretär Nico Baumann, der früher selbst Vorsitzender der KJAV bei Helios war – und weiß, wovon er spricht. "Er bringt ganz viel Erfahrung mit und ist eine wichtige Stütze", betont der 20-Jährige. Auch Chiara ist froh, ver.di an ihrer Seite zu haben: Ob es um Input, Fachwissen, Rechtsberatung oder Seminare geht: "Was wir an Unterstützung bekommen, ist toll."
Aktuell macht sich die KJAV dafür stark, dass in den Kliniken noch mehr Jugend- und Auszubildendenvertretungen aufgebaut werden. Längst noch nicht alle Standorte verfügten über eine JAV, berichtet die Pflegekraft. Bislang etwa nur ein Drittel. Deshalb suchen die Jugendvertreter*innen aktiv den Kontakt zu Kliniken, werben für den Aufbau einer JAV. Mit Erfolg. "Im letzten Jahr sind viele neue Standorte dazugekommen", berichtet Chiara.
Auch in die aktuelle Tarifrunde bei Helios mischen sich die Auszubildenden ein, von den Verhandlungen sind 35 Kliniken betroffen: ver.di fordert dort für die Auszubildenden ein Plus von 200 Euro pro Monat. Derzeit liefen standortübergreifend die Planungen für Aktionen, berichtet Chiara. In der letzten Tarifrunde zeigten die Auszubildenden auch Gesicht bei einer Fotoaktion. Die Collage hängt immer noch im JAV-Büro in Krefeld. "So ähnliche Ideen überlegen wir jetzt auch", sagt die 25-Jährige. "Aber mehr wird noch nicht verraten."
veröffentlicht am 1. März 2023