Nach elf Jahren ist nun endlich die neue Entgeltordnung für rund 1,8 Millionen Beschäftigte der Kommunen vereinbart worden. Warum hat das so lange gedauert?
Es gab in den vergangenen Jahren viele Auseinandersetzungen, die eine Einigung bei der Entgeltordnung verhinderten. So brachen einige kommunalen Arbeitgeber unmittelbar nach Inkrafttreten des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) im Oktober 2005 einen Konflikt um die Arbeitszeiten vom Zaun, der zu einem langwierigen Arbeitskampf führte. Bei der Entgeltordnung selbst beharrten die Kommunen lange auf Verschlechterungen, was mit uns nicht zu machen war. Erst als die Länder 2012 und der Bund 2014 Entgeltordnungen zum TVöD vereinbarten, waren auch die Kommunen unter Druck, endlich ernsthaft mit uns zu verhandeln.
Warum war es für die Beschäftigten und für ver.di so wichtig, in dieser Frage zu einem Ergebnis zu kommen?
Seit Inkrafttreten des TVöD gab es in vielen Bereichen keine Bewährungsaufstiege mehr. Neueingestellte in medizinisch-technischen und therapeutischen Berufen wurden schlechter eingruppiert als diejenigen, die schon länger dabei waren. Vor diesem Hintergrund war es uns sehr wichtig, endlich ein Ergebnis zu erzielen.
Im Rahmen der Tarifrunde öffentlicher Dienst 2016 (Bund) ging es auch um die neue Entgeltordnung, also darum, in welchen Berufen wie viel verdient wird. Das galt auch für die Gesundheitsberufe. Das Ergebnis im Überblick:
ver.di fordert seit geraumer Zeit eine Aufwertung der Gesundheitsberufe. Ist diese mit der neuen Entgeltordnung erreicht?
Leider noch nicht. Wir haben erste Schritte getan und einige Verbesserungen erreicht. So haben wir bei examinierten Pflegekräften und Pflegekräften in Funktionsbereichen ohne Fachweiterbildung (EG Kr. 7a und 8a, jetzt P7 und P8) die Stufe 1 gestrichen, so dass die Kolleginnen und Kollegen zu Beginn ihrer Tätigkeit gleich in die Stufe 2 kommen – ein Plus von über 150 Euro im Monat. Zudem ist es jetzt leichter, in die Entgeltgruppe P 8 eingruppiert zu werden, zum Beispiel für Beschäftigte in Psychiatrien oder die Hebammen. Für neue Berufe wie Wundmanager/innen, Gefäßassistent/innen und im Case und Care Management haben wir Eingruppierungsregeln geschaffen und dadurch Verbesserungen erreicht. Für Pflegekräfte mit Fachweiterbildung oder Leitungsfunktionen in den Entgeltgruppen Kr. 9a bis Kr.11a (jetzt P9 bis P14) gibt es nun eine Stufe 6, also die Möglichkeit, mit längerer Betriebszugehörigkeit weiter aufzusteigen.
Was hat ver.di bei den medizinisch-technischen und therapeutischen Berufen erreicht?
Zukünftig gibt es die Möglichkeit zur Eingruppierung bis in die Entgeltgruppe 9b.Viele Tätigkeitsmerkmale konnten erneuert werden. Doch auch hier konnten wir uns nicht überall durchsetzen. So sind zum Beispiel die Diätassistenten/innen unzufrieden, da die Arbeitgeber nicht bereit waren, auch für diesen wichtigen Beruf zeitgemäße Tätigkeitsmerkmale zu vereinbaren. Wichtig ist aber, dass wir endlich die Diskriminierung der Medizinischen Fachangestellten aufheben konnten. Hier gilt zukünftig der Allgemeine Teil der Entgeltordnung. Wir werden lernen müssen, diese jetzt richtig zu nutzen. Besonders profitieren werden die Leitungskräfte, sowohl in der Pflege als auch im medizinisch-technischen und therapeutischen Bereich. Auch die Eingruppierung der Lehrkräfte konnten wir teilweise um zwei bis drei Entgeltgruppen heraufsetzen.
Dennoch: Die geforderte Aufwertung aller Gesundheitsberufe ist noch nicht umgesetzt. Die Verhandlungen fanden unter den Bedingungen der Friedenspflicht statt, so dass wir keinen Druck durch Aktionen entwickeln konnten. Die Arbeitgeber haben lange eine Abgruppierung der Pflegehilfskräfte gefordert. Das konnten wir verhindern. Vor dem Hintergrund dieser schwierigen Ausgangslage haben wir insgesamt ein beachtliches Ergebnis erreicht.
Viele Kolleginnen und Kollegen aus den betroffenen Berufsgruppen haben sich an der Entwicklung neuer Eingruppierungsregeln aktiv beteiligt – zum Beispiel Medizinisch-Technische Assistent/innen (MTA). Warum war das wichtig?
Die Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben haben das praktische Fachwissen, die Hauptamtlichen kennen sich mit Tarifverhandlungen aus. Beides zusammenzuführen, ist der richtige Weg. ver.di ist eine Mitgliederorganisation. Deshalb ist uns die Beteiligung der Mitglieder sehr wichtig. So haben wir es bei den Verhandlungen zur neuen Entgeltordnung mit Erfolg praktiziert.
Doch es gibt auch Unzufriedene. So haben sich einige Kolleg/innen über die Eingruppierung der Psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten in die Entgeltgruppe (EG) 14 statt geforderten EG 15 beschwert. Zu Recht?
Ja, durchaus. Die EG 15 wäre für diese Beschäftigtengruppe angemessen. Das war auch unsere Forderung. Denn Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten haben eine lange und schwierige Ausbildung. Doch das wollten die kommunalen Arbeitgeber partout nicht honorieren. Auch die EG 14 ist für die meisten Beschäftigten in diesem Bereich allerdings eine Verbesserung. In einzelnen Fällen erhalten Kolleginnen und Kollegen schon heute die EG 15. Diesen empfehle ich, einer Änderung ihres Arbeitsvertrags nicht zuzustimmen.
Im Gegenzug für Mehrausgaben bei der neuen Entgeltordnung haben die Arbeitgeber durchgesetzt, dass die Jahressonderzahlung drei Jahre lang eingefroren und ab 2017 zusätzlich um vier Prozentpunkte gekürzt wird. Ist das gerechtfertigt?
Schon 2013 haben wir mit den kommunalen Arbeitgebern vereinbart, dass es eine »angemessene Kompensation« für die neue Entgeltordnung geben wird. Herausgekommen sind nun einige Eingruppierungen, die für die Beschäftigten besser sind – nicht nur im Gesundheitswesen. Als Kompensation haben die Kommunen zunächst weit über vier Prozent der Gesamtlohnsumme veranschlagt. Jetzt sind es 1,7 Prozent.
Die Arbeitgeber haben durch den Wegfall der Bewährungsaufstiege allerdings jahrelang gespart. Die Kürzung der Jahressonderzahlung ist ein großer Einschnitt. Zumal viele noch ungute Erinnerungen an 1994 haben, als das Weihnachtsgeld schon mal eingefroren wurde, was man nie wieder aufgeholt hat. Ob das eine gerechte Lösung ist, kann man daher in Frage stellen. Aber sie ist Teil des Kompromisses, der insgesamt ein guter Kompromiss ist.
Am 1. Januar 2017 tritt die neue Entgeltordnung in Kraft. Ist garantiert, dass sie für niemanden Verschlechterungen mit sich bringt?
Auf jeden Fall. Verschlechterungen kann es nicht geben, die Arbeitgeber können Beschäftigte nicht von sich aus niedriger eingruppieren. Kolleginnen und Kollegen, die nun Anspruch auf eine bessere Eingruppierung haben, müssen diese bis Ende 2017 beantragen. Der Antrag gilt rückwirkend zum 1. Januar, so dass jeder in Ruhe prüfen kann, was für ihn am besten ist. ver.di wird dazu einen Antragsrechner zur Verfügung stellen. Alle ver.di-Mitglieder können bei ihren Bezirksgeschäftsstellen überprüfen lassen, ob sie von der neuen Entgeltordnung profitieren. Hier zahlt sich die Mitgliedschaft auch praktisch aus.
Die Entgeltordnung kann erstmals nach vier Jahren gekündigt werden. Könnte die Aufwertung der Gesundheitsberufe dann erneut auf die Tagesordnung kommen?
Für uns ist das Thema Aufwertung noch lange nicht vom Tisch. Die Diskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen – unter anderem auf vier Regionalkonferenzen im vergangenen Jahr – haben aber deutlich gemacht, dass ihnen vor allem eine Frage unter den Nägeln brennt: die hohe Arbeitsbelastung. Sie brauchen unbedingt eine Entlastung, weil sie sonst nicht bis zur Rente durchhalten. Deshalb werden wir jetzt erst einmal die Arbeitgeber auffordern, trägerübergreifend Tarifverträge für Entlastung mit uns abzuschließen. Zugleich machen wir weiter Druck für eine gesetzliche Personalbemessung. Danach werden wir uns erneut massiv für die finanzielle Aufwertung der Gesundheitsberufe stark machen – gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen.
Interview: Daniel Behruzi
Bereichsleiterin Tarifpolitik
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