Am Samstag (27. November 2021) beginnt in Potsdam die entscheidende Runde der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder. Davor machen Beschäftigte aus Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern im ganzen Land noch einmal deutlich, dass sie eine bessere Bezahlung erwarten. Zwar verzichten die Streikenden wegen der Corona-Lage mancherorts auf große öffentliche Demonstrationen. Überall zeigt sich insbesondere in den landeseigenen Gesundheitseinrichtungen aber eine hohe Aktionsbereitschaft.
Mittwochfrüh, Beschäftigte in gelben Streikwesten, mit selbstgemalten Transparenten und lauten Rasseln ziehen über den Campus der Frankfurter Uniklinik. »Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag« schallt es durch den weitläufigen Gebäudekomplex am Main. Doch das gilt nicht für alle Beschäftigten, etliche müssen Notdienst leisten, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Vor der Infektiologie, wo derzeit vor allem Covid-Fälle behandelt werden, bleiben die Streikenden stehen. »Wir danken den Kolleginnen und Kollegen, die hier Notdienst machen müssen«, ruft die ver.di-Sekretärin Hilke Sauthof-Schäfer durchs Megaphon. Die Menge applaudiert. Zwei Pflegekräfte winken oben vom Balkon. Und weiter geht´s.
Sie wolle mit ihrer Streikteilnahme »ein Zeichen setzen«, sagt die Gesundheits- und Krankenpflegerin Franziska Klein. In der Hand hält sie ein Transparent. »Qualität hat ihren Preis«, steht darauf – mit drei Ausrufezeichen. Die Haltung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder hält die Krankenpflegerin für »eine Katastrophe, ganz ehrlich«. Deren Verhandlungsführer, Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU), hat mit Verweis auf angeblich nur »vorübergehende Belastungen« die Forderung nach besonderen Verbesserungen für Gesundheitsbeschäftigte zurückgewiesen. ver.di fordert, dass deren Gehalt um mindestens 300 Euro im Monat steigt. »Wir tragen eine Verantwortung für Menschenleben«, gibt Klein zu bedenken. »Gemessen daran ist die Bezahlung einfach nicht angemessen.«
Doch ihr und ihren Kolleg*innen geht es nicht nur ums Geld. Es ist vor allem die hohe Belastung, die sie auf die Straße treibt. »Wir arbeiten seit Jahren in der Überlastung, doch es gibt keine Wertschätzung dafür«, kritisiert die Krankenpflegerin Michaela Walkowiak, die gemeinsam mit mehreren Kolleginnen ein langes Transparent hält, mit der Aufschrift: »Ohne uns läuft nix!« Neben ihr steht Kirsten Wischnewski, die erzählt, dass sie schon 1989 zum ersten Mal gestreikt hat. »Und jetzt stehe ich wieder hier und es sind genau dieselben Themen – nichts hat sich verbessert.« Immer noch verstoße der Arbeitgeber regelmäßig gegen seine Fürsorgepflicht. Die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen könnten oft nicht genommen werden, weil keine Ablösung da sei.
Seit Einführung des Finanzierungssystems der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) sei es noch schlimmer geworden, ergänzt Petra Fischer, die auf einer Intensivstation arbeitet. Seit Beginn der Pandemie hätten die Verantwortlichen nur geredet, aber nichts getan, um die Situation auf den Stationen zu verbessern. Patientenorientierte Arbeit sei unter wegen der Personalnot kaum noch möglich. »Es geht nur noch um satt und sauber – aber selbst das geht im Moment nicht«, wirft ihre Kollegin ein.
»Die Leute werden immer wütender«, bringt der Personalratsvorsitzende Uwe Richtmann die Stimmung auf den Punkt. Das drücke sich in der guten Warnstreikbeteiligung aus, aber auch in wachsenden Mitgliederzahlen von ver.di. Über 100 Kolleginnen und Kollegen sind im Zuge der Tarifauseinandersetzung am Frankfurter Uniklinikum bereits beigetreten. Richtmann, der sich in der ver.di-Betriebsgruppe engagiert, sieht die Aktionen auch als Vorbereitung darauf, im kommenden Jahr eine Tarifbewegung für mehr Personal und Entlastung zu starten. Vorbild der hessischen Gewerkschafter*innen: Die Beschäftigten der Berliner Krankenhausträger Charité und Vivantes, die kürzlich mit 30 bzw. 35 Streiktagen Tarifverträge für mehr Personal und Entlastung erkämpften. »Wenn man so etwas durchsetzen will, braucht man Durchsetzungskraft. Darauf bereiten wir uns vor.«
Auch an den sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken spielt das Thema Entlastung bei den Streikaktionen eine wichtige Rolle. Das erklärt wohl auch die Wucht der Warnstreiks, an denen sich die Beteiligung zwischen der ersten und zweiten Welle auf rund 4.000 Beschäftigte verdoppelte. Diese Woche wird auch die Dauer der Arbeitsniederlegungen ausgeweitet – auf bis zu vier Tage am Uniklinikum Essen. Am Donnerstag streikten die Beschäftigten aller sechs Großkliniken gemeinsam und kamen mit ihren Kolleg*innen vor dem Düsseldorfer Landtag zu einer Demonstration zusammen. »Das sind zahlenmäßig die stärksten Warnstreiks, die wir im Rahmen einer Länder-Tarifrunde je erlebt haben«, bilanziert Jan von Hagen, der bei ver.di in Nordrhein-Westfalen für die Krankenhäuser zuständig ist. »In den Unikliniken gibt es eine massive Organisierung, schon weit über 1.000 Kolleginnen und Kollegen sind ver.di beigetreten.« Es seien zudem nicht mehr nur Einzelne, die sich für eine Mitgliedschaft entschieden. Oft werde in den Teams diskutiert und gemeinschaftlich entschieden, sich in der Bewegung zu engagieren. »Das hat eine neue Qualität«, betont von Hagen.
Auch die Auswirkungen der Warnstreiks sind deutlich größer als in der Vergangenheit. Dass ein Großteil der Operationen abgesagt werden muss, war auch früher schon so. Doch jetzt kommt hinzu, dass Betten und zum Teil ganze Stationen während des Ausstands geschlossen werden. So konnten zum Beispiel am Uniklinikum Münster am ersten Warnstreiktag am 10. November fünf Stationen und 120 weitere Betten nicht belegt werden. Eine Woche darauf waren es bereits neun Stationen und 130 weitere Betten. »Nicht nur die Pflege zeigt ihre Kraft«, betont von Hagen. »Ob Hebammen, Physiotherapeuten oder die Kolleginnen und Kollegen im Krankentransport, in der Küche oder der Reinigung – alle Berufsgruppen sind dabei und fordern Verbesserungen.«
In den Zentren für Psychiatrie (ZfP) in Baden-Württemberg beteiligen sich ebenfalls viele Beschäftigte an den Aktionen. So gingen am Donnerstag über 400 Streikende des ZfP Wiesloch gemeinsam mit ihren Kolleg*innen von der Universität im nahegelegenen Heidelberg auf die Straße. Zuvor hatte das Arbeitsgericht noch den Antrag der Klinikleitung abgewiesen, ver.di per einstweiliger Verfügung dazu zu verpflichten, für zur Schließung angemeldete Stationen Personal zu stellen.
Zu Konflikten um Einschränkungen während eines zweitägigen Warnstreiks kam es auch am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS). Dabei hatte ver.di auf den Intensivstationen sowie in Bereichen, in denen Covid-Patient*innen behandelt werden, so viel Personal garantiert, wie von der Klinikleitung an »normalen« Arbeitstagen als ausreichend erachtet wird. Wegen der hohen Infektionszahlen verzichtete die Gewerkschaft zudem auf Kundgebungen und Demonstrationen. Stattdessen hielten einige Streikende stellvertretend für alle Streikenden eine 24-stündige Mahnwache vor der Homburger Uniklinik ab. Die Arbeitgeber sollten dies nicht als Schwäche auslegen, »sondern als Beweis für das hohe Verantwortungsbewusstsein« der Kolleg*innen, heißt es im »Homburger Appell«. Die Streikenden stellen in dem Aufruf klar: »Die Streikbereitschaft der Beschäftigten am Universitätsklinikum des Saarlandes ist enorm. In der gesamten Belegschaft wachsen Unmut, Enttäuschung und Wut gleichermaßen.«
Wütend sind die Beschäftigten der saarländischen Universitätsklinik vor allem auf die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), deren provokative Haltung die Warnstreiks überhaupt erst nötig macht: »Wir sind entsetzt darüber, dass die TdL in einer solch zugespitzten Situation die Beschäftigten im Gesundheitswesen dazu zwingt, ihre Arbeit in dem aktuell wohl relevantesten Bereich unserer Gesellschaft teilweise niederlegen zu müssen«, heißt es in dem Appell. Und: »Wir sind entsetzt darüber, dass die politisch Verantwortlichen dabei untätig zusehen.«
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