Gesundheitsstreik in Großbritannien
Zehntausende Beschäftigte aus Krankenhäusern und Rettungsdiensten fordern Inflationsausgleich und Erhalt des Streikrechts. Internationale Gewerkschaften und ver.di solidarisch.
Am Montag (6. Februar 2023) hat der größte Streik in der 75-jährigen Geschichte des öffentlichen Gesundheitssystems NHS in Großbritannien begonnen. Zehntausende Beschäftigte aus Krankenhäusern und Rettungsdiensten legten die Arbeit nieder, um für deutliche Lohnerhöhungen zu demonstrieren. Bereits in der vergangenen Woche hatten rund eine halbe Million Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gestreikt – darunter 70.000 Beschäftigte aus Universitäten. Sie wenden sich auch gegen Pläne der konservativen Regierung zur Einschränkung des Streikrechts. Die europäischen Gewerkschaftsverbände und ver.di protestieren ebenfalls dagegen und solidarisieren sich mit den Streikenden.
Die seit Wochen andauernden Streiks im Gesundheitswesen sollen in den kommenden Tagen fortgesetzt werden. Am Dienstag wollen die Pflegekräfte ihren Ausstand fortsetzen, am Donnerstag streiken erneut die Beschäftigten im Rettungsdienst und am Freitag die Physiotherapeut*innen. Es werde die Woche mit den massivsten Störungen in der Geschichte des National Health Service (NHS) sein, erklärte dessen medizinischer Direktor Stephen Powis. Die Regierung des konservativen Premierministers Rishi Sunak – die den Arbeitskampf durch die Verweigerung angemessener Lohnerhöhungen erst nötig gemacht hat – kritisierte, der Ausstand schade Millionen Patientinnen und Patienten. Dabei warteten schon vorher mehr als sieben Millionen Menschen auf einen Behandlungstermin.
»Die Regierung muss aufhören, Spiele zu spielen«, sagte Sara Gorton, die im Bundesvorstand der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, Unison, für das Gesundheitswesen zuständig ist. Rishi Sunak erwecke den Eindruck, die Regierung setze alles daran, den Tarifkonflikt beizulegen, dabei täten die zuständigen Minister*innen dafür »genau nichts«. Unison und die Gewerkschaften RCN, GMB und Unite sowie Berufsverbände fordern höhere Löhne zum Ausgleich der galoppierenden Inflation. Diese lag im Dezember bei 10,5 Prozent, die Preise für Konsumgüter stiegen zuletzt sogar um 16,7 Prozent. Ein zentrales Thema für die Streikenden sind zudem bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. In weiten Teilen der Öffentlichkeit treffen sie damit auf Unterstützung. Einer aktuellen Umfrage zufolge ist die durch jahrelange Unterfinanzierung hervorgerufene, desaströse Situation im NHS das wichtigste Thema für die Menschen im Land – noch vor der Inflation und der wirtschaftlichen Lage.
Streikrecht soll eingeschränkt werden
Neben den unmittelbaren Tariffragen geht es bei den aktuellen Arbeitskämpfen in Großbritannien auch um Grundsätzliches: Die Regierung plant, das Streikrecht in sechs Bereichen des öffentlichen Dienstes massiv einzuschränken, darunter für Gesundheitseinrichtungen, die Feuerwehr und den Rettungsdienst. Im Streikfall soll die Regierung für diese einseitig Mindestbesetzungen festschreiben und Beschäftigte zum Dienst verpflichten können. Gewerkschaften könnten zu hohem Schadensersatz verurteilt werden, wenn sie nicht dabei mithelfen, die eigenen Streikaufrufe zu sabotieren.
Unison-Generalsekretärin Christina McAnea betonte, dass die Notversorgung durch auf lokaler Ebene ausgehandelte Notdienstvereinbarungen stets sichergestellt ist – auch im aktuellen Streik. »Die Regierung möchte Gesetze für die Sicherheit öffentlicher Dienstleistungen an Streiktagen erlassen, aber sie lehnt es ab, sichere Mindestpersonalbesetzungen für alle anderen Tage zu beschließen«, so die Gewerkschafterin. Der britische Gewerkschaftsbund TUC hat eine Petition gegen die Regierungspläne gestartet, die auch Kolleg*innen aus anderen Ländern unterzeichnen können.
Solidarität kommt von den europäischen Gewerkschaftsverbänden, die in einer Stellungnahme unter anderem darauf verweisen, dass die britischen Streikgesetze im internationalen Vergleich schon jetzt sehr restriktiv sind. Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke forderte in einer Videobotschaft, die Regierungen in Europa sollten angesichts der Preissteigerungen versuchen, den Lebensstandard der Beschäftigten zu verteidigen, statt ihre Rechte zu attackieren.