Ihr wart beim Weltkongress der Internationale der öffentlichen Dienste im Oktober in Genf. Was motiviert euch, eure Freizeit mit internationaler Gewerkschaftsarbeit zu verbringen?
Henning Meumann: Unsere Belegschaft ist sehr international zusammengesetzt. Viele Themen, die uns beschäftigen, haben eine internationale Dimension. Wir sehen weltweit eine Zunahme des kommerziellen Sektors und der Gewinne – auf Kosten öffentlicher Dienstleistungen. Und das gilt auch für Deutschland. Das sind weltweite Entwicklungen, gegen die wir uns international zur Wehr setzen müssen. Mir hat der Kongress deutlich gemacht: Auch wenn die Bedingungen in vielen Ländern noch weitaus schlechter sind als bei uns, die grundlegenden Tendenzen und Strukturen sind sehr ähnlich.
Fenia Wolff: Die internationale Zusammenarbeit hilft dabei, über Ländergrenzen hinweg Verständnis für einander zu entwickeln und sich gegenseitig zu unterstützen. Der politische und gesellschaftliche Rechtsruck ist derzeit überall spürbar. Gerade in dieser Situation ist es für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wichtig, zusammenzukommen und sich auszutauschen. Man bekommt mit, was anderswo läuft. Die vielen Berichte über Arbeitskämpfe weltweit haben mich sehr berührt und motiviert.
Welche Themen haben neben der Privatisierung eine Rolle gespielt?
Henning Meumann: Wir haben viele aktuelle Fragen diskutiert – auch kontrovers. Hier vor allem die Situation in Israel/Palästina und die Frage der Diskriminierung wegen geschlechtlicher Orientierung. Hier sind auch große kulturelle und politische Unterschiede deutlich geworden. Homosexualität ist in einigen afrikanischen Ländern unter Strafe gestellt, und zum Teil wird das von Gewerkschaften sogar unterstützt. Klar: Darüber müssen wir streiten. Und es ist wichtig, das auch zu tun.
Fenia Wolff: Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist überall Thema. Immer noch werden Frauen weltweit für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt. Auch, weil sogenannte Frauenberufe als weniger wertvoll gesehen werden. Doch hier tut sich was. Speziell gegenüber der Pflege ist auf dem Kongress eine riesige Solidarität deutlich geworden. Das hat mir auch persönlich sehr gut getan. Zugleich wurde klar: Trotz der Erfahrungen in der Corona-Pandemie ist die Verbesserung der Bedingungen im Gesundheitswesen kein Selbstläufer. Wir müssen uns selbst dafür einsetzen, sonst bewegt sich nichts.
Es ging auch um andere Lehren aus der Pandemie, zum Beispiel in Bezug auf die Freigabe von Patenten. Es ist ein Unding, dass Länder zu wenig Impfstoff hatten, weil Profitinteressen dem entgegenstehen. Als deutsche Delegation haben wir zum Beispiel Fragen von Qualifikation und Professionalität in der Pflege in die Diskussionen eingebracht und klargestellt, dass Haushaltshilfen keine Pflegekräfte sind. Ich finde es wichtig, das nicht zu vermischen.
Wie kann die internationale Organisierung von Gewerkschaften konkret helfen?
Henning Meumann: Wir haben auf dem Kongress beispielsweise diskutiert, die internationalen Finanzströme stärker in den Blick zu nehmen. Die Staaten werden von international agierenden Konzernen gegeneinander ausgespielt, die dadurch massiv Steuern sparen. Das kann man nur grenzüberschreitend in den Griff kriegen. Zum Beispiel, indem bei der Besteuerung weltweit einheitliche Kriterien gelten. Hierauf können die internationalen Gewerkschaftsorganisationen Einfluss nehmen. Die Steuervermeidung Vermögender ist schließlich ein Grund dafür, dass den staatlichen Haushalten das Geld fehlt – Geld, das für öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur dringend benötigt wird.
Fenia Wolff: Es ist wichtig, zusammenzuhalten und zusammenzukommen – wie beim Kongress in Genf. Ziel muss sein, sich ganz praktisch zu unterstützen. So vernetzen sich zum Beispiel Gewerkschafter*innen beim deutschen Fresenius-Konzern weltweit und leisten Solidarität für Kolleg*innen, die in ihren Ländern angegriffen werden. Beim Kongress hat mich beeindruckt, wie mutig Kolleg*innen aus Ländern mit repressiven Regimen über ihre Lage sprechen. Die Internationale der öffentlichen Dienste ist für sie eine Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben. Und sie bekommen Unterstützung, zum Beispiel durch Öffentlichkeitsarbeit, die Finanzierung von Filmen oder Reportagen.
Die Gewerkschaften setzen sich weltweit für bessere Arbeitsbedingungen ein. Aber profitiert Deutschland nicht davon, dass die Bedingungen anderswo schlechter und Fachkräfte daher bereit sind, hier zu arbeiten?
Fenia Wolff: Das ist für diese Länder ein riesiges Problem. Fachkräfte, die wir nach Deutschland holen, fehlen in ihren Herkunftsländern. Es hilft letztlich auch uns selbst, wenn wir die Beschäftigten in diesen Ländern dabei zu unterstützen, bessere Bedingungen zu erreichen. Unmittelbar kommen dann zwar womöglich weniger Arbeitskräfte. Aber wenn sie diese nicht mehr einfach billig irgendwo einkaufen können, steigt der Druck auf Politik und Arbeitgeber, hierzulande für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Wenn ich in Deutschland für Arbeitnehmerrechte kämpfe, muss ich nicht um mein Leben bangen. Das ist in anderen Ländern anders. Und trotzdem setzen sich die Kolleg*innen dort für ihre Interessen ein. Diesen Mut zu erleben, hat mich sehr motiviert. Wenn wir zusammenstehen, können wir wirklich etwas bewegen. Das ist mir nochmal deutlich geworden.
ver.di Bundesverwaltung