Europaweit werden immer mehr Tätigkeiten auf Pflegehilfskräfte verlagert, die Berufsgruppe wächst. Angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung hat der der Europäische Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGöD) am Dienstag (26. November 2024) eine Studie veröffentlicht, die die Bezahlung und Regulierung von Pflegeassistenzberufen in 15 europäischen Ländern untersucht. Sie kommt zu dem Schluss, dass deutliche Verbesserungen notwendig sind.
»Assistenzkräfte gehören zu den am schlechtesten bezahlten Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen und sind eine Berufsgruppe, die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist«, heißt es in der Untersuchung. Europaweit gebe es die Tendenz, Tätigkeiten von Ärzt*innen auf Pflegefachpersonen und andere Tätigkeiten von diesen wiederum auf Assistenzkräfte zu verlagern. »Diese Entwicklung ist problematisch und oftmals rein finanziell motiviert«, betont Hanna Stellwag, die im ver.di-Bereich Berufspolitik arbeitet. »Die Fälle werden komplexer, die Anforderungen anspruchsvoller. Statt Tätigkeiten auf geringer qualifizierte Beschäftigte zu verlagern, ist die weitere Stärkung und Aufwertung der Pflegeberufe der richtige Weg.« Unbedingt erforderlich seien dabei gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, Entlastung und mehr Anerkennung für alle Beschäftigten in der Pflege. Durch die Ausdifferenzierung von Tätigkeiten gehe der ganzheitliche Ansatz verloren, warnt die Gewerkschafterin. »Das schadet der Versorgungsqualität ebenso wie der Attraktivität der Pflegeberufe. Pflege ist Teamarbeit, es braucht ein gutes Miteinander in der Pflege.«
Der EGöD-Studie zufolge bestehen zwischen den Ländern und Regionen in der Pflegeassistenz deutliche Unterschiede – nicht nur bei der Bezahlung, sondern auch in der Regulierung der Berufe. So sind Assistenzkräfte beispielsweise in Österreich klar definiert, als Pflegeassistenz mit einjähriger und als Pflegefachassistenz mit zweijähriger Ausbildung – wobei die Erfahrungen mit diesem Modell keineswegs nur positiv sind. In Großbritannien gibt es hingegen kaum Vorgaben, hier erhalten Assistenzkräfte lediglich eine geringe Einarbeitung, obwohl sie einen bedeutenden Teil der Belegschaften in den Gesundheitseinrichtungen ausmachen.
Hierzulande existieren in den Bundesländern bislang 27 verschiedene Qualifikationsanforderungen, die in einem bundesweiten Pflegeassistenzgesetz vereinheitlicht werden sollen. »Den Wildwuchs bei der Ausbildung von Pflegehilfs- und -assistenzkräften zu beenden, ist schon sinnvoll«, erklärt Hanna Stellwag von ver.di. »Es darf jedoch keine Schmalspurausbildung sein. Wir plädieren für eine mindestens zweijährige Ausbildungsdauer, zudem fordern wir die systematische Förderung von Weiterqualifikationen zur Pflegefachkraft.« Der EGöD argumentiert ebenfalls, dass wenn Ausbildungen zur Pflegeassistenz eingeführt werden, diese an den Bedürfnissen der Belegschaften ausgerichtet sein und im Einklang mit langfristigen Strategien zur Stärkung des Gesundheits- und Sozialwesens stehen müssten.
Bei der Bezahlung steht Deutschland vergleichsweise gut da. Das an das nationale Preisniveau angepasste Mediangehalt von Pflegeassistent*innen ist hierzulande 4,4 Mal so hoch wie beim Schlusslicht Rumänien. Allerdings liegt das Mediangehalt der Assistenzkräfte auch in Deutschland – wie in allen anderen Ländern außer in Frankreich – unter dem Median aller Berufe. Die Autor*innen der Studie verweisen zudem auf die massiven Preissteigerungen in der EU von über 20 Prozent seit 2020, die untere Einkommensgruppen noch härter trifft – nicht nur, weil diese ohnehin über eine geringe Kaufkraft verfügen, sondern auch, weil sie einen höheren Anteil für Nahrung, Energie und Wohnen ausgeben, die besonders teuer geworden sind.
Für Beschäftigte, für die der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) gilt, hat ver.di hier zuletzt einiges rausgeholt. So stieg das Tabellenentgelt für Pflegehilfskräfte im TVöD seit 2018 um satte 32 Prozent. In nicht-tarifgebundenen Betrieben sieht es zum Teil allerdings ganz anders aus. Zudem besteht insgesamt weiterhin Nachholbedarf bei den historisch unterbewerteten Sozialberufen wie der Pflege.
Der EGöD-Report zeigt zudem auf, dass im Rahmen der Anwerbung von Pflegekräften im Ausland die dort erworbenen Qualifikationen nicht ausreichend anerkannt werden. Dies könne zur Dequalifizierung beitragen, insbesondere dann, wenn hochqualifizierte ausländische Pflegefachpersonen als schlechter bezahlte Hilfskräfte angestellt würden.
»Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen vertreiben Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen, in dem der Personalmangel ohnehin kritische Ausmaße erreicht hat«, erklärt der EGöD-Generalsekretär Jan Willem Goudriaan zur Veröffentlichung der Studie. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fehlen in Europa insgesamt 1,8 Millionen Gesundheitsbeschäftigte. Bis 2030 könnten es schon vier Millionen sein, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Vor diesem Hintergrund fordert der europäische Gewerkschaftsverband höhere Löhne, mehr Personal und bessere Bedingungen, um genug Beschäftigte für eine gute Versorgung zu gewinnen. »Diese Themen anzugehen, muss nicht nur Priorität haben«, betont Goudriaan. »Es ist eine Notwendigkeit.«
EGöD-Studie auf Englisch zum Download
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