Der Skandal nach dem Skandal

Eine 24-Stunden-Betreuerin aus Bulgarien klagte bis zum Bundesarbeitsgericht auf ausstehenden Lohn und bekam Recht. Am Ende geht sie dennoch leer aus.
10.12.2024

Jahrelang hat Dobrina D. für ihr Recht gekämpft. Mit Unterstützung von ver.di ist die bulgarische Kollegin, die in Deutschland als sogenannte 24-Stunden-Kraft pflegebedürftige Menschen in ihrem Zuhause betreute, durch die Instanzen gezogen. Ihr Ziel: Für die Arbeit bezahlt werden, die sie geleistet hat – für die gesamte Arbeit. Denn obwohl sie nahezu rund um die Uhr für die pflegebedürftigen Menschen zur Verfügung stehen musste, wurde sie nur für die 30 Stunden pro Woche bezahlt, die in ihrem Arbeitsvertrag standen – weniger als 1.000 Euro netto im Monat.

Der Fall ging rauf bis zum Bundesarbeitsgericht. Dieses bestätigte im Juni 2021 in einem viel beachteten Grundsatzurteil (AZR 505/20): Die gesamte Arbeitszeit muss bezahlt werden. Dobrina D. bekam auf ganzer Linie Recht. Doch am Ende siegt doch das Unrecht: Der ausstehende Lohn wird nicht bezahlt.

»Ich bin sehr enttäuscht, traurig und auch wütend«, sagt die heute 73-Jährige, die in Bulgarien von monatlich 260 Euro Rente leben muss. »Ich wollte ja nichts geschenkt. Ich wollte immer nur das Geld, für das ich gearbeitet habe.« Und das ihr rechtskräftig zusteht. Im September 2022 sprach ihr das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg  eine Lohnnachzahlung von 32.029 Euro zu (AZ 21 Sa 1900/19). Doch das Geld hat sie nie erhalten.

Ausbeutung als Geschäftsmodell

Die bulgarische Firma, bei der sie angestellt war, reduzierte noch während des Prozesses ihre Aktivitäten, benannte sich um, wechselte Geschäftsführer und Eigentümer. Als Dobrina D. ihre Ansprüche mit Hilfe von ver.di und einer Anwaltskanzlei in Sofia geltend machte, beantragte das Unternehmen Insolvenz. Diejenigen, die von ihrer Arbeit profitierten, haben sich aus der Verantwortung gestohlen.

»Das ist richtig bitter«, findet Sylvia Bühler, die bei ver.di für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. »Solchen kriminellen Firmen, bei denen Ausbeutung Geschäftsmodell ist, muss das Handwerk gelegt werden.« Es sei das Verdienst von Dobrina D., die oft schwierigen Zustände und die nicht selten unhaltbare Situation der schätzungsweise rund 700.000 Beschäftigten in der sogenannten 24-Stunden-Betreuung einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben.

»Pflegebedürftige Menschen müssen auf legale und humane Versorgungsformen zurückgreifen können«, fordert Bühler. Dazu gehöre der flächendeckende Auf- und Ausbau ambulanter Versorgungs- und Beratungsstrukturen. Im Rahmen eines individuellen Fallmanagements müssten die Bedarfe an Pflegeleistungen, aber auch an hauswirtschaftlicher Unterstützung erhoben und angeboten werden.

Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

»Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen ist eine zentrale Zukunftsaufgabe«, betont Bühler. »Sie erfordert eine grundlegende Weiterentwicklung der Pflegeversicherung hin zu einer Vollversicherung, die die Kosten für eine bedarfsgerechte Pflege vollständig abdeckt – ob ambulant oder stationär.« In der Bevölkerung gebe es dafür eine breite Unterstützung, und auch in den Parteien wachse die Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht. Zuletzt hatten sich auch die CDU-Politiker Karl-Josef Laumann und Michael Kretschmer in einem Diskussionsbeitrag für eine Vollversicherung ausgesprochen.

»Wenn diese dann noch solidarisch durch alle Einkommensarten finanziert wird, haben wir eine stabile Basis, die Herausforderungen anzugehen«, so Bühler. »Das tausendfache Leiden pflegebedürftiger Menschen, ihrer Angehörigen, der Pflege- und Betreuungskräfte erfordert unmittelbares Handeln. Unsere Vorschläge für eine Solidarische Pflegegarantie liegen auf dem Tisch.«

Weitere Informationen zum Fall von Dobrina D. gibt es in einem Beitrag des DGB-Beratungsnetzwerks »Faire Mobilität«: faire-mobilitaet.de

 

Kontakt

  • Gesine Lenkewitz

    Eu­ro­päi­sche Ge­sund­heits­po­li­ti­k, Re­ha­bi­li­ta­ti­on

    030/6956-1820