ver.di und ihre Schwestergewerkschaften in Europa haben sich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für grundlegende Reformen und eine stärkere internationale Zusammenarbeit in der Gesundheitspolitik eingesetzt. Wenn die Ratspräsidentschaft zum Jahresende wechselt, können sie eine verhalten positive Bilanz ziehen. So haben die gewerkschaftlichen Aktionen unter anderem dazu beigetragen, dass die Mittel für das von der Europäischen Kommission gestartete Programm »EU4Health« aufgestockt werden. Statt der ursprünglich geplanten 1,7 Milliarden Euro stehen für die Jahre 2021 bis 2027 nun insgesamt 5,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Auch in anderen Belangen gibt es Fortschritte. Doch es bleibt noch viel zu tun.
»Wir sehen die Budgeterhöhung als Erfolg der Proteste von Gesundheitsbeschäftigten in ganz Europa, die größere Investitionen in die Gesundheitssysteme gefordert haben«, erklärte der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (EGÖD), Jan Willem Goudriaan. »Aber das ist weniger, als notwendig wäre. Wenig wurde getan, um ein koordiniertes Vorgehen gegen Personalmangel, für verbesserten Arbeits- und Gesundheitsschutz und bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen sicherzustellen.« Die geplante Stärkung des Mandats des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur bewertete er zwar positiv. Dabei müssten aber auch die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften einbezogen werden. Goudriaan bekräftigte die Forderung des EGÖD, eine leistungsfähige Gesundheitsunion zu schaffen, die für die notwendige Koordination und Kooperation der europäischen Gesundheitssysteme in pandemischen Krisen sorgen könne.
Auch Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist, nannte es eine zentrale Lehre aus der Corona-Pandemie, dass die Staaten in Europa enger zusammenarbeiten. »Eine solche Herausforderung bestehen wir am besten gemeinsam und solidarisch – über Ländergrenzen hinweg.« Dazu gehörten der Aufbau einer gemeinsamen Reserve von Schutzausrüstungen, Impfstoffen und Arzneimitteln sowie deren gerechte Verteilung. »Eine Gesundheitsunion muss aber auch bedeuten, Mindeststandards für eine verlässliche und bedarfsgerechte Versorgung zu etablieren. Niemand darf aufgrund von Armut von qualitativ hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen ausgeschlossen werden.«
In der Pandemie hätten sich die fatalen Folgen der Kürzungen in den Gesundheitssystemen südeuropäischer Staaten während der Schuldenkrise gezeigt. Der mit der Austeritätspolitik verfolgte Sparzwang der vergangenen Jahre habe die aktuellen Probleme massiv verschärft. »Wir müssen aus diesen Erfahrungen die nötigen Lehren ziehen«, forderte Bühler. »Die Gesundheitseinrichtungen brauchen eine auskömmliche Finanzierung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Die Beschäftigten müssen entsprechend ihrer qualifizierten und wichtigen Tätigkeiten angemessen bezahlt werden. Dafür setzen sich die Gewerkschaften überall in Europa ein.«
Dietmar Erdmeier, der im ver.di-Bundesfachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen für die EU-Politik zuständig ist, betonte die große Bedeutung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. »Gerade jetzt ist es entscheidend, die Gesundheit derjenigen zu schützen, die im Kampf gegen die Pandemie in vorderster Linie stehen«, so der Gewerkschafter. »Das ist auch eine europäische Aufgabe.« Unter anderem müssten die öffentlichen Gesundheits- und Sozialdienste gestärkt und Covid-19 als Berufskrankheit anerkannt werden. Letzteres bedeute, dass die Kosten der Heilbehandlung und gegebenenfalls Erwerbsminderungs- oder Hinterbliebenenrenten gezahlt werden.
Die EU habe erste Konsequenzen aus den Erfahrungen der vergangenen Monate gezogen, bilanzierte Bühler die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft. »Weitere Schritte müssen folgen, um die europäischen Gesundheitssysteme auf künftige Herausforderungen besser vorzubereiten.«
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