Der Fachkräftemangel in der Altenpflege ist hausgemacht. Die Bezahlung ist zum Teil beschämend niedrig; Die schlechten Arbeitsbedingungen bringen etliche Pflegekräfte dazu, ihren Beruf zu verlassen oder individuell ihre Arbeitszeit zu reduzieren. All das hat zu einer veritablen Personalnot geführt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit vom Juni 2018 sind Stellen für Altenpflegefachkräfte durchschnittlich 175 Tage unbesetzt. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig hat derart große Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. Und auch in Zukunft ist eher eine Verschärfung als eine Besserung der Lage zu erwarten. Dabei wäre schon jetzt – über die gemeldeten offenen Stellen hinaus – deutlich mehr Personal in der Altenpflege nötig, um eine sichere Versorgung und gute Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
Angesichts des hohen Personalbedarfs ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland nach Möglichkeiten sucht, Pflegekräfte im Ausland zu gewinnen –vorrangig aus europäischen Ländern oder Staaten mit niedrigem Einkommen. Schon heute funktioniert keine deutsche Pflegeeinrichtung ohne die Unterstützung von ausländischem Personal. Ist damit die Gewerkschaftsforderung nach »gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort« in der Pflegebranche erreicht? Kann die Pflege als »das« gute Beispiel für eine gelungene Integration von Beschäftigten aus dem Ausland herangezogen werden?
»Ganz so einfach ist die Sache nicht«, sagt Hildegard Theobald. Die Professorin für Organisationelle Gerontologie an der Universität Vechta hat die Beschäftigungssituation ausländischer Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Pflege in Deutschland und Schweden untersucht (Japan ist in den Vergleich der ausländischen Pflegekräfte nicht einbezogen). Wir haben sie zu den Ergebnissen ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsarbeit befragt.
Was war Ihre Motivation, sich mit den Arbeitsbedingungen von Migrantinnen und Migranten in der ambulanten und stationären Pflege zu befassen?
Wie in vielen westlichen Ländern werden auch in Deutschland zunehmend Menschen mit Migrationshintergrund in der professionellen Pflege beschäftigt. Die Forschungslage war bislang sehr begrenzt. Die vorliegende Studie ist das erste und noch immer einzige nahezu repräsentative bundesweite Forschungsprojekt, das auf Basis eines umfangreichen Fragebogens die Arbeits- und Beschäftigungssituation von Pflegekräften mit und ohne Migrationshintergrund vergleichend untersucht.
Sie stellen eine Verbindung zwischen der Pflegepolitik, der Migrationspolitik und den Beschäftigungsbedingungen in der Pflege her. Warum ist dieser Zusammenhang wichtig?
Die internationale Forschung hat gezeigt, dass Migrationspolitiken und die Pflegepolitik entscheidend zur Form der Integration von Pflegekräften mit Migrationshintergrund in die professionelle Pflege beitragen. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts habe ich darüberhinaus systematisch den Einfluss der Professionalisierungspolitiken einbezogen – also Ansätze der Qualifizierung, Vorgaben zum Qualifikationsmix sowie die Zusammenarbeit in den Pflegeorganisationen. Die Politikfelder beeinflussen den Ausbau der Pflegeinfrastruktur, die Einstellungspolitiken der Einrichtungen, den Einsatz in bestimmten Tätigkeitsfeldern und die Möglichkeit von Pflegekräften mit Migrationshintergrund, sich gegen schlechte Beschäftigungsbedingungen zu wehren.
Was sind für Sie die zentralen Stressfaktoren in den Pflegeeinrichtungen?
Es lassen sich drei grundlegende Bereiche definieren, die unterschiedlich ausgeprägt sowohl in Deutschland und Schweden als auch in Japan als die zentralen Stressfaktoren bezeichnet werden können. Das ist zunächst die unzureichende Personalausstattung, die zu Zeitmangel führt und den Pflegekräften erschwert, die von ihnen und auch von den pflegebedürftigen Menschen, ihren Familien und der Politik gewünschte Versorgung erbringen zu können. Besonders im ambulanten Bereich kommt in allen drei Ländern hinzu, dass die Organisation der Arbeit mit strikten, über Minuten definierten Vorgaben hohen Zeitstress verursacht. Hier ist die Situation in Deutschland besonders schwierig. Zudem erweist sich die Vereinbarung von beruflichen und privaten Anforderungen als bedeutender Stressfaktor.
In Ihrer Arbeit können Sie zeigen, dass es um die Gleichstellung ausländischer Beschäftigter in Pflegeeinrichtungen nicht gut bestellt ist. Was sind für Sie markante Beispiele, wo etwas schiefläuft?
Vor allem in der stationären Versorgung werden deutliche Hinweise für eine Benachteiligung von Pflegekräften mit Migrationshintergrund erkennbar. Diese leisten beispielsweise häufiger unbezahlte Überstunden, übernehmen häufiger Reinigungstätigkeiten und werden seltener in Fachdiskussionen im Kollegenkreis einbezogen. Besonders stark sind diese Benachteiligungen für Pflegekräfte ohne pflegerische Ausbildung. Bei Pflegekräften ohne Migrationshintergrund ist dieser Einfluss der Qualifikation hingegen nicht zu sehen. Pflegekräfte aus Osteuropa fühlen sich zudem seltener durch die Bewohner und Bewohnerinnen und deren Familienangehörige anerkannt. Sie beklagen häufiger Gewalt oder ausländerfeindliche Bemerkungen durch die pflegebedürftigen Menschen.
Sie sprechen die Geschlechterverhältnisse in der Pflege an. Seit Jahren steigt der Bedarf an Pflegekräften, viele Stellen bleiben unbesetzt. Beste Bedingungen also, um angemessene Vergütungen und attraktive Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Dennoch bewegt sich wenig. Können die alten Zuschreibungen »Frauenberuf = geringere Bezahlung« nicht aufgebrochen werden?
Das niedrige Lohnniveau in allen drei Ländern lässt sich zunächst mit der begrenzten öffentlichen Finanzierung und dem Einfluss des Pflegemarkts erklären. In diesem über Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge finanziertem Arbeitsmarktsegment ist eine ausreichende öffentliche Finanzierung eine entscheidende Voraussetzung für eine angemessene Lohnentwicklung – wobei eine stärker private Finanzierung das Problem verschärfen würde. Die verstärkte Öffnung des Pflegemarkts für kommerzielle Anbietern hat zu einer Lohnsenkung vor allem für wenig qualifizierte Pflegekräfte geführt. Hier müsste in Deutschland gegengesteuert werden, durch die Erhöhung des Pflegemindestlohns und die Einführung flächendeckender Tarifverträge. Lohnhöhen sind auch ein Ergebnis kollektiver Auseinandersetzungen. Damit sind die Gewerkschaften als Interessenvertretung gefordert.
Haben Sie Empfehlungen wie Arbeitgeber und Interessenvertretungen in der Pflege auf betrieblicher Ebene, am Arbeitsplatz und in der Personalentwicklung die Integration von Migrantinnen und Migranten aktiv befördern können?
Meine Forschungsergebnisse verweisen deutlich darauf, dass die Personalpolitik der Einrichtungen und die Interessensvertretung eine entscheidende Rolle für die Integration von Migrantinnen und Migranten spielen. Die Situation migrierter Pflegekräfte unterscheidet sich je nach Qualifikation und Migrationssituation, also dem Migrationsstatus, dem Erwerb der Ausbildung in Deutschland oder im Ausland etc.. Eine an den Betrieb angepasste Politik muss daher zunächst mehr über die konkreten Bedingungen vor Ort und die Erfahrungen der Pflegekräfte mit und ohne Migrationshintergrund wissen. In der Forschung haben sich beispielsweise mangelnde Fach-, und Sprachkompetenz der migrierten sowie begrenztes interkulturelles Wissen auf Seiten der migrierten und der einheimischen Pflegekräfte als mögliche Problembereiche herausgestellt. Zeitliche Spielräume für Kommunikation zwischen den Pflegekräften im pflegerischen Alltag ermöglichen den Austausch über unterschiedliche Pflegevorstellungen und deren gemeinsame Weiterentwicklung. Ausländerfeindlichen Vorurteilen im betrieblichen Alltag bis hin zu benachteiligenden Anstellungsverträgen muss von Seiten der Personalpolitik und der Interessensvertretung entschieden entgegengetreten werden. Pflegemigration darf nicht zur Senkung von Arbeits- und Beschäftigungsstandards führen.
Interview: Dr. Margret Steffen
Hildegard Theobald (2018): Pflegearbeit in Deutschland, Schweden und Japan. Wie werden Pflegekräfte mit Migrationshintergrund und Männer in die Pflegearbeit einbezogen? Düsseldorf: Hans-Böckler-Study
Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
030/6956-1815
dietmar.erdmeier@verdi.de
ver.di Bundesverwaltung