Neue Ausbildung im Praxischeck

Fachgespräch zur Umsetzung der neuen Pflegeausbildung zeigt Herausforderungen und Verbesserungspotenziale auf. Gute Praxisanleitung ist für den Ausbildungserfolg entscheidend.
03.01.2022
Praxisanleitung in der Pflegeausbildung

In der Pandemie gibt es aus dem Gesundheitswesen auch positive Nachrichten: »Viele junge Menschen entscheiden sich gerade jetzt bewusst dafür, eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen«, berichtete ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler am 15. Dezember beim digitalen Fachgespräch »Pflegeausbildung – gut aufgestellt für die Zukunft«. »Wichtig ist, dass sie auf gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen treffen, damit sie dauerhaft im Beruf verbleiben.« Genau darum ging es beim mittlerweile dritten Fachgespräch von ver.di-Vertreter*innen und betrieblichen Kolleg*innen mit dem Leiter des Referats Pflegeberufe, Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Tobias Viering. Gemeinsam zogen die knapp 50 Teilnehmer*innen eine erste Bilanz der seit nunmehr zwei Jahren laufenden neuen Pflegeausbildung und diskutierten Verbesserungspotenziale.

Das 2017 beschlossene Pflegeberufegesetz biete »eine sehr gute Grundlage für die neue Pflegeausbildung«, betonte Dr. Viering einleitend. »Die Veränderung des realen Ausbildungsgeschehens ist allerdings ein Prozess, den die Corona-Pandemie nicht gerade befördert hat.« Viele Betriebe seien bei der Umsetzung der Ausbildungsreform auf einem guten Weg, in anderen würden die Potenziale noch nicht ausreichend in die betriebliche Realität überführt. Der Koalitionsvertrag zeige, dass die Themen Pflegeberuf und Pflegeausbildung auch in der neuen Legislaturperiode einen hohen Stellenwert haben werden, so der Referatsleiter. 

Praxisanleitung braucht Zeit

Diesem weitgehend positiven Bild widersprechen allerdings etliche Berichte aus der Praxis. So berichtete der Vorsitzende der konzernweiten Jugend- und Auszubildendenvertretung (KJAV) bei Helios, Nico Baumann, davon, dass die vorgeschriebene geplante und strukturierte Praxisanleitung allzu oft nur auf dem Papier stehe – und auch dokumentiert werde – aber nicht so stattfinde. In einem Fall seien Auszubildende aus dem theoretischen Unterricht geholt worden, um personelle Engpässe auf den Stationen zu überbrücken. In einem anderen musste eine minderjährige Auszubildende bei einem ambulanten Pflegedienst sieben Tage pro Woche arbeiten, um den Arbeitskräftemangel zu kompensieren. Sie kündigte ihren Ausbildungsvertrag.

 
Die Fachgespräche von ver.di und Bundesfamilienministerium zur Pflegeausbildung haben schon eine gute Tradition (hier Dezember 2018).

Von negativen Erfahrungen berichtete auch die JAV-Vorsitzende am Uniklinikum Ulm, Franziska Aurich. »Die gesetzliche Vorgabe von zehn Prozent Praxisanleitung muss auch überprüft werden«, forderte die Gesundheits- und Krankenpflegerin und stellte klar, dass es sich um geplante und strukturierte Anleitung handeln müsse. Zudem sei die Mindestquote für eine gute Vorbereitung auf den Pflegeberuf nicht ausreichend. Die Praxisanleiterin Christine Lachner vom Berliner Krankenhausträger Vivantes stimmte dem zu und hob hervor, dass neben der geplanten auch situative Anleitung in alltäglichen Situationen nötig sei. So zum Beispiel bei Todesfällen auf ihrer Intensivstation, die für Auszubildende oft besonders belastend seien. »Da braucht es die Zeit, sie aufzufangen.« Generell müssten Praxisanleiter*innen für diese Arbeit freigestellt werden – auch für Vor- und Nachbereitung.

Das Gesetz beinhalte hierzu klare Aussagen, betonte Dr. Viering. »Bei den zehn Prozent handelt es sich um geplante und strukturierte Anleitung. Die situative Anleitung, die ebenfalls unentbehrlich ist, kommt noch dazu.« Die Zehn-Prozent-Vorgabe sei »ein wichtiger Fortschritt«, sagte der Ministeriumsvertreter. Statt einer Ausweitung müsse zunächst Ziel sein, die bestehende Vorgabe durchgängig in der Realität umzusetzen. Wenn auf fehlende Praxisanleiter*innen – oder auch Lehrkräfte für Pflegeberufe – hingewiesen werde, dann mache dies deutlich, dass zwischen den Erfordernissen des qualitativen und quantitativen Ausbildungsangebots eine Balance erforderlich sei.

Grundproblem Personalmangel

Mehrere Teilnehmer*innen wiesen allerdings darauf hin, dass sich der Mangel an Praxisanleiter*innen durch die Situation weiter verschärfe. »Bei uns verlassen sehr viele erfahrene Praxisanleiter ihre Funktion, weil sie die Konsequenzen des neuen Gesetzes hoffnungslos überfordern«, schrieb eine Kollegin im Chat. Eine andere Teilnehmerin wies darauf hin, dass es für die Praxisanleitung kaum Anreize gebe. Diese müsse auch finanziell besser honoriert werden, so der Tenor vieler Beiträge. »Praxisanleiter müssen rausgenommen werden aus dem Stationsalltag und von ihren anderen Aufgaben freigestellt werden. Sonst hat man ständig ein schlechtes Gewissen allen gegenüber: den Auszubildenden, den Patienten und den Kolleginnen und Kollegen«, sagte Christine Lachner, die sich im ver.di-Bundesarbeitskreis Praxisanleiter*innen engagiert. »Das ist für viele der Grund, mit der Praxisanleitung aufzuhören.«

Der Referatsleiter Dr. Viering bekräftigte, Praxisanleiter*innen müssten Zeit für ihre Aufgaben haben, inklusive der Vor- und Nachbereitung. Das Grundproblem sei aus seiner Sicht der Personalmangel in der Pflege, der auf die Ausbildung durchschlage.

 
Sie sind die Stars: Auszubildende bei der Demo am 20. Juni in Düsseldorf auf dem roten Teppich.

 

Ausbildungsabbrüche verschärfen Fachkräftemangel

Verschärft wird der Mangel an qualifizierten Pflegekräften dadurch, dass etwa 30 Prozent der Auszubildenden ihre Ausbildung in der Pflege nicht erfolgreich abschließen, wie der Fachautor und Experte für Berufsbildung im Gesundheitswesen, Gerd Dielmann, erläuterte. Das gehe keineswegs allein auf die Auszubildenden zurück, viele würden von den Ausbildungsträgern noch in der Probezeit gekündigt oder nicht zum Examen zugelassen, andere bestünden die Prüfung nicht. Leider gebe es hierzulande, anders als in angelsächsischen Ländern, kaum Studien über das Ausmaß und die Ursachen von Ausbildungsabbrüchen in der Pflege.

Der Jugendvertreter Nico Baumann bestätigte, dass nach seiner Erfahrung etwa die Hälfte aller während der Probezeit beendeten Ausbildungsverhältnisse auf die Arbeitgeber zurückgehe. Dr. Viering zeigte sich überrascht und betonte: »Wir müssen die Abbruchgründe kennen, um zielgerichtet nachsteuern zu können.« Nach den bisher für das erste Ausbildungsjahr nach dem Pflegeberufegesetz vorliegenden Daten scheine die Zahl der Vertragslösungen allerdings eher geringer zu sein als im Durchschnitt anderer dualer Ausbildungsgänge. Insgesamt gebe es in der Umsetzung der neuen Pflegeausbildung sicherlich weiteren Verbesserungsbedarf, so der Ministeriumsvertreter. Das sei aber auch dadurch bedingt, dass die Umsteuerung eines so großen Ausbildungsbereichs Zeit brauche. »In der Ausbildungsoffensive Pflege, an der ver.di mitwirkt, begleiten wir diesen Prozess.« Ministerium, ver.di und betriebliche Interessenvertretungen verabredeten, weiter im Dialog zu bleiben und sich gemeinsam für gute Ausbildungsbedingungen in der Pflege stark zu machen.

 

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