Bis vor wenigen Wochen hatte Svenja Cloos mit Gewerkschaften keine Berührungspunkte. Doch im Herbst kam ein ver.di-Sekretär in ihre Klasse in der Schule für Physiotherapie am Uniklinikum Gießen und Marburg (UKGM). Er berichtete, dass ver.di an den öffentlichen Krankenhäusern eine tarifliche Bezahlung für betrieblich-schulische Auszubildende durchgesetzt hat. Seit dem 1. Januar 2019 bekommen angehende Medizinisch-Technische Assistent*innen, Physiotherapeut*innen, Diätassistent*innen, Orthoptist*innen, Logopäd*innen und Ergotherapeut*innen dort je nach Ausbildungsjahr zwischen 965,24 und 1.122,03 Euro im Monat. »Das wollten wir auch«, stellt Svenja Cloos klar. Wie viele andere trat sie ver.di bei und begann, sich für einen solchen Tarifvertrag auch am UKGM einzusetzen – mit Erfolg.
Das UKGM ist Deutschlands einziges privat betriebenes Universitätsklinikum. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gelten hier nicht. »Es wäre total ungerecht gewesen, wenn wir weiterhin keinen Cent bekommen hätten«, sagt Svenja Cloos. Zu Beginn ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin hatte sie einen BAföG-Antrag gestellt, der jedoch abgelehnt wurde. Deshalb war sie auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen und musste nebenher in einem Fitnessstudio arbeiten. »Zusätzlich zur 40-Stunden-Woche in Schule und Betrieb jobben gehen – diesen Stress haben andere Azubis nicht«, kritisiert Svenja Cloos. Die 25-Jährige hat vorher einmal auf Lehramt studiert. »Dagegen ist die Physiotherapie-Ausbildung inhaltlich deutlich anspruchsvoller – wie ein kleines Medizinstudium. Und bei den praktischen Einsätzen übernimmt man sehr verantwortungsvolle Aufgaben.«
Das angemessen zu bezahlen, sei auch im Interesse des Arbeitgebers, betont Svenja Cloos. Im Herbst hätten sich so wenige für eine betrieblich-schulische Ausbildung beworben wie noch nie. »Es ist doch klar: Wenn die Leute anderswo eine Vergütung bekommen, gehen sie dort hin.« Wenn die mittelhessische Uniklinik in Zukunft noch genug Fachkräfte in diesen Berufen haben wolle, müsse sie die Ausbildung ebenfalls vergüten – zumal die Kosten dafür von den Krankenkassen vollständig refinanziert werden.
Dennoch gab die Klinikleitung dieser Forderung nicht sofort nach. Im Dezember und Januar gingen die Azubis deshalb zunächst in Marburg, dann in Gießen auf die Straße. Die meisten betrieblich-schulischen Auszubildenden beteiligten sich. Und auch von der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) kam Unterstützung. »Viele in der JAV kommen aus der Pflege und sind nicht direkt betroffen«, berichtet Svenja Cloos. »Dass sie sich dennoch für uns eingesetzt haben, finde ich toll.«
Nach der zweiten Demonstration ging alles ganz schnell: Die Uniklinik sagte zu, den Tarifvertrag vollständig zu übernehmen. Die rund 400 Auszubildenden der betrieblich-schulischen Gesundheitsberufe erhalten dieselbe Bezahlung wie ihre Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst – rückwirkend zum 1. Januar 2019. »Das ist ein riesiger Erfolg für uns«, erklärt ver.di-Verhandlungsführer Stefan Röhrhoff. »Er geht voll auf die Karte der Auszubildenden. Sie haben sich zusammengeschlossen und gemeinsam stark für ihre Belange gekämpft. Ein tolles Beispiel dafür, was Solidarität bewirken kann.«
Das ist auch die Erkenntnis, die Svenja Cloos aus dieser Erfahrung zieht: »Hätten wir nichts gemacht, würden wir mit Sicherheit immer noch unbezahlt arbeiten.« Es habe sich gezeigt, dass man zusammen etwas bewegen kann. »Und ganz klar: Ohne ver.di wäre das nicht möglich gewesen.«
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