Reform des Befristungsrechts muss her

27.06.2022

Plädoyer für eine Reform des Befristungsrechts

Das BMBF startet heute mit einer Konferenz den Beteiligungsprozess zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Wir sind dabei – und wir haben klare Forderungen, die wir gemeinsam mit einem breiten Bündnis präsentieren. Für uns ist klar: Die erste Novelle des WissZeitVG ist gescheitert. Deshalb ist unser gemeinsames Statement ein Plädoyer für eine grundlegende Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft.

 
WissZeitVG Auch Hanna nimmt an der Konferenz des BMBF zum WissZeitVG teil – und hat hohe Erwartungen an die anstehende Novelle.


Das folgende Statement wird getragen von folgenden Organisationen:

  • bukof - Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen
  • DGB - Deutscher Gewerkschaftsbund
  • GEW - Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  • Helmholtz Juniors - Netzwerk der Promovierenden der Helmholtz Gemeinschaft
  • Leibniz PhD Network - Netzwerk der Promovierenden der Leibniz Gemeinschaft
  • NGA Wiss - Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft
  • ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
  • respect science - Verein für neue Anreize in der Wissenschaft


Die erste Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist gescheitert!

Plädoyer für eine Reform des Befristungsrechts

Die Wissenschaft in Deutschland ist in einer Krise und merkt es nicht. Es ist eine Krise des verschwendeten Potenzials ‒ eine Krise, die auf Kosten derjenigen ausgetragen wird, die das System maßgeblich tragen: der Wissenschaftler:innen ohne Professur. Unsicherheit und Zukunftsängste, Stress und zugespitzte Abhängigkeitsverhältnisse prägen den Alltag von Wissenschaft als Beruf. Obwohl inzwischen der Großteil von Forschung und Lehre von Wissenschaftler:innen ohne Professur gestemmt wird, sind verlässliche Arbeitsverhältnisse und berechenbare Perspektiven in der Regel nur für Professor:innen vorgesehen.

Wie produktiv könnte unsere Wissenschaft sein, wenn sie das Potenzial, das in unserem wissenschaftlichen Personal steckt, voll heben würde?

Wissenschaft ist nicht zuletzt Denkarbeit, Experimentieren und kritisches Hinterfragen. Doch das braucht Zeit ‒ und lässt sich mit Hektik und Zukunftsangst nur unter Qualitätsverlusten und Selbstausbeutung verbinden. Die Eigenheiten des akademischen Karriereweges betreffen dabei nicht alle gleich. Nach wie vor haben Machtverhältnisse anhand von Faktoren wie race, class, gender und abilty einen prägenden Einfluss auf Zugänge, Berufswege und Karrierechancen in der Wissenschaft.

Die Arbeitsverhältnisse der Promovierenden und Postdocs werden heute überwiegend nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) geregelt. Dieses Gesetz wurde 2016 novelliert und der Einfluss dieser Novelle auf die Arbeitsverhältnisse in mehreren (im letzten Monat) publizierten Studien untersucht. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Eine Trendwende hin zu mehr unbefristeten Arbeitsverhältnissen ist ausgeblieben, der Anteil der Kurzzeitverträge mit Laufzeiten von einem Jahr oder weniger wurde nicht nachhaltig reduziert. Qualifikationszeiten sind von den Vertragslaufzeiten nicht annähernd gedeckt. Die Instrumente des Nachteilsausgleichs entfalten keine verlässliche Wirkung. Die unterzeichnenden Organisationen sind deshalb überzeugt, dass jetzt eine mutige und grundlegende Reform des Sonderbefristungsrechts für die Wissenschaft notwendig ist.

Eckpunkte für mehr Planbarkeit und Chancengleichheit der Berufswege in der Wissenschaft:

  1. Der Qualifizierungsbegriff im WissZeitVG muss eng geführt und juristisch bindend definiert werden.

  2. Eine Anstellung zur Promotion kann eine Befristung begründen. Für andere Qualifizierungsziele als Begründung für eine befristete Beschäftigung sehen wir in dieser Phase keine Berechtigung.

  3. Mit dem Eintritt in die Postdoc-Phase sollte in der Regel ein unbefristeter Arbeitsvertrag oder zumindest ein planbares Verfahren zur Entfristung in der Wissenschaft verbunden sein. Beschäftigte, deren Arbeit von Daueraufgaben geprägt ist, müssen auf Dauerstellen beschäftigt werden.

  4. Vertragslaufzeiten müssen den angestrebten Qualifikationszielen entsprechen. Wie die Evaluationen eindrucksvoll zeigen, ist dies nicht der Fall: Mittlere effektive Vertragslaufzeiten bei Promovierenden von etwa 20 Monaten bei einer durchschnittlichen Promotionszeit von 4,7 Jahren (vgl. Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021) zeigen, dass die WissZeitVG-Novelle von 2016, an ihren eigenen Zielen gemessen, gescheitert ist. Die durchschnittlichen Qualifizierungszeiten sollten daher fächerspezifisch regelmäßig erhoben werden, um auf dieser Grundlage verbindliche Vorgaben zu machen. Unverbindliche Gesetzesformulierungen sind offenkundig nicht ausreichend.

  5. Verlängerungen der Höchstbefristungsdauer (§ 2 Absatz 1 Sätze 4-6 WissZeitVG) führen, wie die Evaluation gezeigt hat, bisher kaum zu faktischen Vertragsverlängerungen und sollten als Rechtsansprüche der Beschäftigten neu ausgestaltet werden. Verlängerungsansprüche sollten hierbei für alle Beschäftigten zugänglich sein, die mit dem Ziel angestellt werden, eine Qualifizierung zu absolvieren.

  6. Die Tarifsperre muss aufgehoben werden. Nur beim Thema Befristung in der Wissenschaft ist den Sozialpartnern durch das Arbeitsrecht verboten, wesentliche Fragen der Arbeitsbedingungen tariflich zu regeln. Dies steht im eklatanten Widerspruch zum im Koalitionsvertrag verankerten Ziel der Bundesregierung, die Tarifautonomie zu stärken.

 


veröffentlicht/aktualisiert am 27. Juni 2022

 

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