Ultimatum für Entfristung

Wissenschaftliche Beschäftigte in der Soziologie der Uni Göttingen wollen keine Abschlussarbeiten mehr betreuen, bis mehr Dauerstellen geschaffen sind.
11.12.2024

Sie haben vieles versucht. Mehr als 1.000 Unterschriften von Beschäftigten und Hochschulangehörigen übergaben die Aktivist*innen der Initiative »Uni Göttingen unbefristet« im Februar 2023 an den Uni-Präsidenten Metin Tolan. Dieser sagte Gespräche über die Schaffung von mehr Dauerstellen zu, doch es folgte: nichts! Deshalb greifen die Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Soziologie nun zu anderen Mitteln. Die fordern ultimativ, mehr Dauerstellen am Institut einzurichten – und drohen andernfalls damit, ab dem 7. Februar 2025 keine Abschlussarbeiten mehr zu begutachten.

 
»Uni Göttingen unbefristet« streitet schon lange für mehr Dauerstellen in der Wissenschaft (hier eine Aktion im Sommer 2023).

»Seit über 16 Jahren arbeite ich an der Uni, habe zwei Kinder großgezogen, die jetzt das Haus verlassen, und musste mich ab diesem Jahr neu orientieren, weil die Befristung endet.« So beginnt der Abschiedsbrief einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin, den »Uni Göttingen unbefristet« per Flugblatt verbreitet. »Ich weiß nicht, wie viele Mitarbeiter ich während dieser Zeit eingearbeitet und wieder verabschiedet habe, ich weiß nicht, wie viel Wissen in den letzten Jahren die Uni verlassen hat.« Eine ehemalige Studiengangskoordinatorin schreibt: »Meine Zeit ist abgelaufen! Meine Aufgaben bleiben. Wer sie nun übernimmt, ist offen, vielleicht soll es sogar eine studentische Hilfskraft versuchen.«

Laut »Uni Göttingen unbefristet« sind 85 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten (ohne Professuren) der größten niedersächsischen Universität auf Zeit angestellt. Das mache eine langfristige Lebens- und Familienplanung unmöglich, erzeuge hohen Arbeitsdruck und führe zu unbezahlter Mehrarbeit, heißt es in einer von den Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen des Instituts für Soziologie einstimmig beschlossenen Erklärung. Das müsse sich endlich ändern und anderswo tue sich auch etwas, heißt es mit Verweis auf die im Frühjahr 2024 im Nachbarland Hessen von den Gewerkschaften durchgesetzte Vereinbarung, mit der sich die dortige Landesregierung zur Schaffung von 400 unbefristeten Vollzeitstellen bis 2030 verpflichtet. An der Uni Göttingen werde die ausufernde Befristungspraxis hingegen unverändert fortgesetzt. Dabei stelle der »Zukunftsvertrag Studium und Lehre« (ZSL) in Niedersachsen Mittel zur Verfügung, die vor allem dem Ausbau dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse dienen sollen.

Studierende solidarisch

Am Göttinger Institut für Soziologie ist die Situation der Initiative zufolge besonders prekär. Bei 27 wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen gebe es lediglich zwei unbefristete Stellen. Ein Teil der befristeten Jobs biete de facto keine Qualifikationsmöglichkeit, stattdessen würden Daueraufgaben ausgeführt, zum Beispiel in der Studienkoordination oder mit erhöhter Lehrverpflichtung. Diese Stellen müssten entfristet werden, so die einhellige Forderung des wissenschaftlichen Mittelbaus. Zudem müsse als Sofortmaßnahme eine weitere entfristete Postdoc-Stelle ausgeschrieben werden. Mittelfristig wird die sozialwissenschaftliche Fakultät aufgefordert, eine Entfristungsstrategie zu entwickeln, »die konkrete Zeiträume definiert und darauf abzielt, die derzeit befristet Beschäftigten der Fakultät sukzessive in nicht-prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu bringen«.

Um für diese Forderungen Druck zu machen, stellen die Wissenschaftler*innen ein Ultimatum: Sollten die Maßnahmen bis zum 7. Februar 2025 nicht beschlossen werden, wollen sie keine Abschlussarbeiten mehr betreuen. »Das richtet sich ganz klar nicht gegen die Studierenden«, stellt ein Beschäftigter fest, der seinen Namen nicht nennen möchte. »Im Gegenteil: Mehr Dauerstellen wirken sich auch positiv auf die Studienbedingungen aus. Es braucht mehr Verlässlichkeit – für die Studierenden und für uns.« Die ersten Reaktionen aus der Studierendenschaft seien sehr solidarisch, heißt es. Die Fachschaft wolle im Januar zu einer Vollversammlung einladen, um über die Aktion des Mittelbaus zu informieren und zu diskutieren.

Die Soziolog*innen hoffen, dass sie damit der Debatte über Befristungen an der gesamten Universität neuen Schub geben. Der Zeitpunkt dafür scheint günstig: Vor wenigen Tagen hat der Senat der Göttinger Uni Metin Tolan als Präsident abgewählt. »Wir hoffen, dass die neue Universitätsleitung die Blockade von Entfristungen endlich aufgibt«, sagt ein Kollege. »Mit der Aktion setzen wir das Thema auf die Agenda.«