Die Bundesregierung hat sich auf einen Gesetzentwurf für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) geeinigt. Dass dieser exakt dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vom Juni 2023 entspricht, ist unakzeptabel. Dieser Entwurf bedroht sowohl die Vereinbarkeit von Leben und Beruf als auch die Qualität von Forschung und Lehre massiv.
Die überwiegende Mehrzahl der 76 Stellungnahmen zum im Juni 2023 vorgelegten Referentenentwurf sieht zwar die vorgeschlagene Regelung zu Mindestvertragslaufzeiten für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und studentische Beschäftigte als Schritte in die richtige Richtung, kritisiert aber scharf die geplante Verkürzung der Höchstbefristungsdauer nach der Promotion von sechs auf vier Jahre, ohne dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen verpflichtet werden, den Postdocs entweder eine unbefristete Beschäftigung oder zumindest eine verbindliche Zusage zur Entfristung bei Erfüllung festgelegter Kriterien anzubieten. Eine Anschlusszusage soll erst dann verbindlich werden, wenn eine weitere Befristung von maximal zwei Jahren nach Ablauf der vier Jahre angeboten wird.
Eine pauschale Befristung aufgrund von Qualifizierung ist nach der Promotion nicht mehr angemessen. Bereits heute stellen Wissenschaftler:innen in befristeten Arbeitsverhältnissen ihre Familienplanung zurück und halten sich mit wissenschaftlicher Kritik zurück, um ihren unsicheren Arbeitsplatz bzw. die Chancen auf eine Anschlussbeschäftigung nicht zu gefährden. Diese gravierenden Auswirkungen dürften zunehmen, wenn Postdocs künftig bereits nach vier statt nach sechs Jahren eine Weiterbeschäftigung versagt wird. Da die Verpflichtung zu einer Anschlusszusage erst nach vier Jahren deutlich zu spät kommt, um die Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu einer anderen Personalpolitik zu bringen, würde sich die prekäre Lage der Postdocs weiter verschärfen.
Fraglich ist, ob in diesem System überhaupt noch genug berufungsfähige Postdocs in der Wissenschaft blieben. Bereits heute ist eine wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland für immer weniger Wissenschaftler:innen attraktiv.
Es ist schlicht unverständlich, dass die ausführlich vorgetragene Kritik von der Bundesregierung entweder nicht verstanden oder absichtlich nicht gehört wird. Die angedachte Regelung schadet den Wissenschafter:innen, die in der Rush Hour des Lebens in höchstem Konkurrenzdruck von Befristung zu Befristung eilen. Vor allem Menschen mit Kindern, unsicherem Aufenthaltstitel oder Behinderung drohen das Rennen systematisch zu verlieren. Eine solche Regelung schadet auch der Forschung sowie der Lehre für rund drei Millionen Studierende, weil die permanente Weiterbewerbung und kurze Vertragslaufzeiten eine vertiefte Entwicklung in der wissenschaftlichen Arbeit geradezu verhindern.
Auch die Erwartung, dass wenigstens die Tarifsperre abgeschafft wird, wurde enttäuscht. Den Gewerkschaften soll weiter ihr Grundrecht verwehrt bleiben, mit den Arbeitgebern sachgerechte Befristungsregelungen für ihre Mitglieder auszuhandeln.
So, wie der Entwurf nun vorliegt, darf er im Parlament keine Zustimmung finden. Schon deutlich über 55.000 Menschen haben sich mit unserer Petition "Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft" gegen den Gesetzentwurf und für eine zukunftsfähige Wissenschaft ausgesprochen. Wir werden auch mit diesen Stimmen im Rücken den Protest sichtbar in die kommenden Debatten im Bundestag tragen.
Wir fordern:
1. Verträge für Promovierende, die den tatsächlichen Promotionszeiten entsprechen – also sechs, mindestens jedoch vier Jahre Regellaufzeit.
2. Dauerstellen für Daueraufgaben in Lehre und Forschung: Zeitverträge sind nur für die Qualifizierungsphase gerechtfertigt - diese ist mit der Promotion abgeschlossen
3. Nach der Promotion entweder unbefristete Beschäftigung oder eine verbindliche Zusage zur Entfristung bei Erfüllung festgelegter Kriterien.
4. Die Streichung der Tarifsperre ohne Wenn und Aber: Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen Verbesserungen für die Beschäftigten aushandeln dürfen – so wie in anderen Branchen auch.
5. Einen verbindlichen Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Behinderung und chronischer Erkrankung sowie bei Nachteilen aus der Coronapandemie.
6. Eine Regelvertragslaufzeit von mindestens zwei Jahren für studentische Beschäftigte.
- Arbeitnehmerkammer Bremen
- Arbeitskammer des Saarlandes
- Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof)
- Bundesweites Netzwerk Studentischer Tarifvertragsinitiativen (TVStud)
- Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
- Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur e.V. (DGJ)
- freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs)
- Gesamtbetriebsrat der Fraunhofer-Gesellschaft
- Gesamtbetriebsrat der Max-Planck-Gesellschaft
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
- Konferenzrat der Psychologie-Fachschaften-Konferenz (PsyFaKo)
- Network of Doctoral Researcher Networks (N²)
- Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss)
- Personal- und Betriebsräte der Helmholtz-Gemeinschaft (PBHGF)
- Personal- und Betriebsräte der Leibniz-Gemeinschaft – Koordinierungsgruppe (PBL)
- RespectScience e.V.
- Thesis - interdisziplinäres Netzwerk für Promovierende und Promovierte e.V.
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
- Zusammenkunft aller Physikfachschaften (ZaPF)
Hochschulen, Forschungseinrichtungen
030/6956-1808
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