»Ein bundesweiter Durchbruch«

Tarifrunde im Land Hessen: Neben Lohnerhöhungen setzt ver.di auch eine Vereinbarung zur Ausweitung unbefristeter Beschäftigung an Hochschulen durch.
15.03.2024
Frauke Banse arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Uni Kassel. Mathis Heinrich ist Referent und Personalrat an der Uni Marburg. Beide sind Mitglied der ver.di-Tarif- und Verhandlungskommission im Land Hessen.

Ihr habt im Rahmen der Tarifrunde im Land Hessen mehr unbefristete Stellen an Hochschulen gefordert. Wie kam das zustande?

Frauke Banse: An den hessischen Hochschulen kämpfen unbefristet-Initiativen seit Jahren gegen das Befristungsunwesen. Über 80 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten haben einen befristeten Vertrag, an manchen Unis sind es mehr als 90 Prozent. Auch in Technik und Verwaltung ist fast jede bzw. jeder fünfte Kolleg*in auf Zeit angestellt. Ein unhaltbarer Zustand, der zu Lasten der Beschäftigten, aber auch von Forschung und Lehre geht. Dagegen machen wir auf allen Ebenen mobil: Bundesweit fordern wir die Abschaffung des Sonderbefristungsrechts oder zumindest eine grundlegende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Von der hessischen Landesregierung verlangen wir, dass sie den Hochschulen verbindliche Vorgaben für Entfristungen macht. Und in den Hochschulen selbst sind wir in ständigen Diskussionen, wie unbefristete Stellen eingerichtet und die Bedingungen der befristet Beschäftigten verbessert werden können.

Mathis Heinrich: Auch auf unseren Druck hin hat die Landesregierung für 2021 bis 2025 in Zielvereinbarungen mit den Hochschulen vereinbart, dass diese insgesamt 215 unbefristete Vollzeitstellen für Wissenschaftler*innen schaffen sollen. Allerdings sind die Vorgaben unverbindlich und werden zum Teil nicht eingehalten. Deshalb wollten wir eine verbindliche Regelung per Tarifvertrag.

 

Und diese habt ihr jetzt erreicht?

Frauke Banse: Ja, und das ist ein bundesweit bislang einmaliger Durchbruch. Zum ersten Mal haben wir als Gewerkschaft einen Fuß in der Tür, tarifpolitisch gegen Befristungen vorzugehen. Wir haben endlich ein verbindliches Übereinkommen – dafür haben wir lange gekämpft. Laut Vereinbarung soll die Zahl unbefristeter Vollzeitstellen von aus Landesmitteln finanzierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bis 2030 auf 1.850 steigen. Das sind hessenweit rund 400 Dauerstellen mehr. Insgesamt wären dann knapp 40 Prozent der Wissenschaftler*innen auf Landesstellen unbefristet angestellt. Für Beschäftigte in Drittmittelprojekten hat das Ministerium eine Absichtserklärung abgegeben, ebenfalls die Dauerbeschäftigung auszuweiten. Angesichts des Befristungsunwesens an den Unis hätten wir uns einen deutlich schnelleren und größeren Ausbau der unbefristeten Stellen gewünscht. Aber die tarifpolitische Verbindlichkeit der Regelung allein ist ein großer Erfolg – darauf können wir in den nächsten Jahren und Tarifrunden weiter aufbauen.

 
Die Forderung nach Entfristung hat in der Hessen-Tarifrunde eine große Rolle gespielt (hier am 5.3.2024 in Marburg)

Wie weit ist das von dem weg, was ihr in den Verhandlungen gefordert hattet?

Mathis Heinrich: Ein großes Stück. Wir hatten die Erwartung formuliert, dass im wissenschaftlichen Mittelbau künftig 35 Prozent einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben sollen. Das wären rund 1.500 unbefristete Stellen mehr gewesen. Es war uns klar, dass das eine sehr ambitionierte Forderung ist. Jetzt haben wir zumindest bei den Landesstellen eine deutliche Verbesserung erreicht. In Zukunft wird es darum gehen, das auszuweiten. Die Vereinbarung setzt einen Anreiz, die Beschäftigungsstrukturen an den Hochschulen zu modernisieren – weg von Lehrstühlen, bei denen einzelne Professor*innen über ihre Mitarbeiter*innen verfügen, hin zu kollektiv geführten Departments.

Frauke Banse: Es ging und geht uns aber nicht nur um Wissenschaftler*innen. Auch in Technik und Verwaltung sind zu viele auf Zeit angestellt. Der Befristungsanteil ist mit 15 Prozent etwa doppelt so hoch wie im Gesamtdurchschnitt. Hier haben wir bisher nur eine sehr kleine Verbesserung erreicht: Sachgrundlose Befristungen sollen laut Einigung mit dem Wissenschaftsministerium weitgehend ausgeschlossen werden. Das kann nur ein erster Anfang sein, aber das Thema ist endlich tarifpolitisch gesetzt.

Mathis Heinrich: Insgesamt sind wir sehr froh, dass wir dieses Ergebnis durchgesetzt haben. Wir hatten auch in der ver.di-Tarifkommission einige Diskussionen, ob wir diese Erwartung speziell für Hochschulen aufstellen sollen. Dass wir uns dafür entschieden haben, hat sich für alle gelohnt, weil es unsere Mobilisierung in der Tarifrunde gestärkt hat. Die Beteiligung der Hochschulen an den Warnstreiks war so groß wie nie. Und es sind wirklich viele bei ver.di eingetreten, sowohl aus der Wissenschaft als auch aus Technik und Verwaltung. Zentral für die Mobilisierung war natürlich die Forderung nach mehr Geld. Aber für einen Teil der Kolleg*innen an Hochschulen stand das Thema Entfristung im Vordergrund.

 

Wie sieht das Tarifergebnis zu den anderen Themen aus?

Mathis Heinrich: Beim Entgelt liegt der Abschluss auf dem Niveau des Länder-Tarifvertrags (TV-L). Für 2024 gibt es Einmalzahlungen von insgesamt 3.000 Euro. Dauerhaft steigt die Bezahlung ab Februar 2025 um 200 Euro und ab August um weitere 5,5 Prozent. Hinzu kommt eine Erhöhung der Jahressonderzahlung. Die Laufzeit ist mit 24 Monaten etwas kürzer als im TV-L. Wir hätten uns eine frühere und etwas höhere Gehaltserhöhung gewünscht, aber das war leider nicht durchsetzbar. Für studentische Beschäftigte haben wir eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen, die ein wenig besser ist als im Länder-Tarifvertrag, mit Mindest-Stundenlöhnen ab 14,20 Euro und einer Mindest-Vertragslaufzeit von 10 Stunden pro Woche. Das ist nicht der geforderte Tarifvertrag, aber ein erster Schritt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen studentischer Hilfskräfte. Insgesamt aus meiner Sicht ein akzeptabler Abschluss.

 

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