Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgelegten Eckpunkte für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) haben unter den Betroffenen viel Kritik hervorgerufen. Wie ist der aktuelle Stand der Diskussion im Ministerium und in der Koalition?
In den Eckpunkten haben sich die Ampel-Parteien auf eine Reihe von Verbesserungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz verständigt. Darunter zum Beispiel Mindestvertragslaufzeiten von drei Jahren in der Promotionsphase und von einem Jahr für Studentische Hilfskräfte. Für diese soll zudem die Höchstbefristungsgrenze von sechs auf acht Semester angehoben werden. Auch eine weitgehende Öffnung der Tarifsperre im WissZeitVG haben wir vereinbart. Gegenwind gibt es allerdings bei der geplanten Verkürzung der Befristungsdauer für Postdocs auf maximal drei Jahre. Aus verschiedenen Ecken der wissenschaftlichen Community wird daran harsche Kritik geäußert. Deshalb haben wir diesen Aspekt nochmal zur Debatte gestellt, darüber verhandeln wir aktuell innerhalb der Koalition.
Was sind die Vorschläge und Positionen der SPD?
Wir halten uns an den Koalitionsvertrag, in dem sich die Ampel auf eine klare Botschaft verständigt hat: Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen und planbare Karrierewege in der Wissenschaft schaffen. Wir wollen, dass nach der Promotion so früh wie möglich klare Perspektiven geschaffen werden – vor einer langen »zweiten Qualifizierung« für den Forschungs- und Wissenschaftsbetrieb. Also dass diejenigen, die diesen Weg im Anschluss an die Promotion beschreiten und bestimmte Ziele erreichen, auch eine unbefristete Stelle erhalten. Wir wollen den Zustand beenden, dass man lange lehrt und forscht, sich vom sonstigen Arbeitsmarkt wegbewegt, in der Wissenschaft aber dann doch keinen Platz findet.
Kann man nach der Promotion überhaupt von einer »Qualifizierungsphase« sprechen und auf dieser Grundlage befristen? Diese Wissenschaftler*innen haben schließlich schon ein Studium und ihren Doktortitel in der Tasche.
In der Promotionsphase macht das Sonderbefristungsrecht Sinn. Danach sehen wir es sehr kritisch. Mit der Promotion weist man nach, dass man eigenständig wissenschaftlich arbeiten kann. Dennoch erkennen wir an, dass es nach der Promotion eine Übergangsphase geben kann, in der man sich für die weitere wissenschaftliche Karriere in Position bringt. Das darf aber nicht zu übermäßiger Prekarität führen.
Sie plädieren für die Möglichkeit einer zweijährigen Qualifikationsbefristung für Postdocs. Warum?
Die Promotion ist eine sehr dichte Phase, in der die meisten bis zum Schluss kaum rechts und links gucken oder sich über ihre Zukunft Gedanken machen können. Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs zeigt, dass eine Promotion (ohne Medizin) im Durchschnitt 5,7 Jahre dauert. Nach dieser sehr stressigen Zeit halten wir es für sinnvoll, eine flexible Orientierungsphase von höchstens zwei Jahren zu schaffen. Sie soll den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, Publikationen abzuschließen, sich zu orientieren oder sich auf unbefristete Stellen zu bewerben.
Ist nicht zu befürchten, dass sich das Personalkarussell nur noch schneller dreht, wenn die verkürzte Befristungsdauer nicht mit verbindlichen Ansprüchen auf Entfristung einhergeht?
Wir sind der Überzeugung, dass dieses Personalkarussell durch eine Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren abgebremst würde. Im Moment ist die Vielzahl befristet Beschäftigter im Mittelbau die tragende Säule des Wissenschaftssystems. Postdocs halten die Lehre aufrecht, betreuen Abschlussarbeiten, bauen die Forschungsreihen in den Laboren auf und so weiter. Wenn die Befristungsdauer auf zwei Jahre verkürzt wird, kann diese Arbeitsleistung nicht mehr so einfach abgerufen werden. Sie wird aber gebraucht. Das würde nach unserer Einschätzung dazu führen, dass mehr Dauerstellen für diese Daueraufgaben eingerichtet werden.
Sie sind davon überzeugt, dass die verkürzte Befristungsdauer die Hochschulleitungen dazu bewegen würde, mehr unbefristete Stellen zu schaffen?
Es wird mit Sicherheit Einrichtungen geben, die am Anfang erstmal weitermachen wie bisher. Aber mit den zwei Jahren minimieren wir maximal das Risiko, durch das Personalkarussell aus dem System geworfen zu werden. Die Einrichtungen werden merken, dass es ohne mehr unbefristetes Personal nicht geht. Zugleich ist uns klar, dass wir das mit weiteren Maßnahmen flankieren müssen. So sind wir mit dem »Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken« in die dauerhafte Finanzierung der Hochschulen durch den Bund eingestiegen. Damit schaffen wir auch unbefristete Stellen. Etwas Ähnliches haben wir mit dem »Pakt für Forschung und Innovation« für die Forschungseinrichtungen getan. Nötig sind weitere Schritte im Bereich der Drittmittel. Deren Vergabe sollte auch an entfristete Stellen und die Schaffung guter Arbeitsbedingungen geknüpft werden
Bislang ist die Hochschulfinanzierung durch den Bund aber nicht an verbindliche Vorgaben zur Schaffung unbefristeter Stellen geknüpft. Muss das nicht geschehen? Denn Appelle an die Hochschulleitungen und freiwillige Selbstverpflichtungen reichen offenbar nicht.
Genau darum geht es beim Modell mit der Anschlusszusage, das in die Debatte zur Postdoc-Phase nochmal reingekommen ist. Wir wollen Postdocs frühzeitig eine Entfristungszusage geben. Für uns als SPD ist es wichtig, dass dies eine konkrete und verbindliche Zusage ist, aus der die Betroffenen einen individuellen arbeitsrechtlichen Anspruch auf eine entfristete Stelle ableiten können.
Wie passt das mit der zweijährigen Befristungsmöglichkeit für Postdocs zusammen?
Unser Modell sieht vor, dass nach der Promotion maximal zwei Jahre befristet werden kann, wenn nicht zugleich die Zusage auf eine unbefristete Stelle im Anschluss gegeben wird. Natürlich müssen die Einrichtungen diese zwei Jahre nicht nutzen, sie können nach der Promotion auch sofort in ein Arbeitsverhältnis mit Entfristungszusage wechseln. Offenbar ist das von Seiten der Hochschulleitungen aber eher schwierig. Viele wollen die Beschäftigten doch nochmal eine Weile testen, bevor sie entfristet werden. Die zwei Jahre sind aber das, was wir der Arbeitgeberseite maximal an Flexibilität zugestehen möchten. Danach muss es rasch eine an das Erreichen bestimmter Ziele geknüpfte Entfristungszusage geben.
Wenn die Entfristungszusage an das Erreichen von Zielen geknüpft ist, besteht doch schon eine Testphase. Warum braucht es davor noch eine?
Es ist auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Phase der Orientierung. Sie haben dann eine gewisse Zeit, die entsprechende Stelle zu finden. Denn in den Fächern und Forschungsbereichen gibt es meist nicht die Vielzahl an Stellen, auf die man sich bewerben kann. Wenn zu dem Zeitpunkt, an dem ich meine Promotion abschließe, gerade keine passende Stelle frei ist, kann ich mit diesem Instrument die Zeit überbrücken. Wie gesagt: Es muss nicht genutzt werden.
Was geschieht mit Postdocs, die bereits länger laufende Arbeitsverträge haben? Müssen sie befürchten, nicht weiter verlängert zu werden?
Wir brauchen großzügige Übergangsfristen. Wir werden kein Gesetz machen, das von heute auf morgen für alle im System gilt. Es wird diejenigen, die bereits als Postdocs arbeiten, ganz sicher nicht treffen. Die Veränderung soll für alle gelten, die nach der Promotion in die Postdoc-Phase starten. Alles andere wäre extrem ungerecht. Wir müssen die nötigen unbefristeten Stellen über einen längeren Zeitraum schaffen. Klar ist aber auch: Nicht alle, die jetzt im System sind, werden eine solche Stelle bekommen können.
Sie haben die weiteren Aspekte der geplanten Gesetzesänderung benannt, unter anderem die Festschreibung von Mindestvertragslaufzeiten, was ver.di und andere sehr begrüßen. Allerdings sind das Soll-Regelungen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Vorgaben auch eingehalten werden?
Laut Rechtsprechung müssen sogenannte Sollvorschriften eingehalten und Abweichungen davon begründet werden. Wir wissen aber auch, dass der arbeitsrechtliche Klageweg gerade im wissenschaftlichen Bereich selten gegangen wird. An Hochschulen bestehen starke Hierarchien und Machtstrukturen, die oftmals verhindern, dass Beschäftigte ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen. In der SPD-Fraktion könnten wir uns vorstellen, hier nachzusteuern. Mit der sogenannten Regelbeispieltechnik könnten wir im Gesetz Ausnahmen vorab definieren. Es kann ja durchaus Gründe geben, warum der Erstvertrag nicht drei Jahre umfasst. Zum Beispiel, weil dieser erst in der Endphase der Promotion geschlossen wird und die Finanzierung zuvor über ein Unternehmen oder Stipendium lief. Solche Ausnahmen könnten wir im Gesetz definieren, was das Schutzniveau erhöhen würde.
Die Frage ist aber doch, wer das durchsetzen soll. Sie haben gesagt, dass der einzelne Beschäftigte oft nicht in der Position ist, die entsprechende Vertragslaufzeit einzuklagen. Und die Personalräte haben beim wissenschaftlichen Personal nur eingeschränkte Mitbestimmungsrechte.
Die Erfahrung zeigt, dass die Personalabteilungen an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sehr vorsichtig sind, wenn arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Wenn wir vordefinierte Ausnahmen haben, können diese von beiden Seiten gezogen werden. Andere Umgehungsmöglichkeiten werden im Vergleich zur einfachen Soll-Vorschrift deutlich erschwert.
Für Promotionen ist eine Mindestvertragslaufzeit von drei Jahren geplant – viel weniger als die von Ihnen genannten 5,7 Jahre, die für eine Promotion im Durchschnitt benötigt werden.
Die Fachkulturen sind sehr unterschiedlich. In den Rechts- und einigen Naturwissenschaften gelten drei Jahre durchaus als ausreichend, während Promotionen in den Geisteswissenschaften zumeist deutlich länger dauern. Wir müssen aber ein einheitliches Bundesgesetz schaffen, das für alle gilt. Ich denke, wir haben an dieser Stelle einen guten Mittelweg gefunden. Es war ein Kompromiss, der aber auf jeden Fall eine Verbesserung darstellt. Denn laut Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist die durchschnittliche Vertragslaufzeit gerade in der Promotionsphase wieder gesunken – auf unter 20 Monate! Das, obwohl viele Hochschulen Codes of Conduct vereinbart haben, die eigentlich längere Laufzeiten festschreiben. Die drei Jahre sind eine Untergrenze, länger ist immer möglich. Im Vergleich zur Ist-Situation wäre das ein großer Fortschritt.
Ein weiterer strittiger Punkt ist die sogenannte Tarifsperre im WissZeitVG, die abweichende Regelungen, zum Beispiel durch Tarifverträge, ausschließen soll. Sie haben erklärt, diese soll etwas geöffnet werden. ver.di fordert die Streichung der Klausel. Wie ist Ihre Haltung hierzu?
Wir hätten die Tarifsperre sehr gerne gestrichen. Sie SPD sieht keinen Grund dafür, den Handlungsspielraum der Tarifparteien an dieser Stelle einzuschränken. Die Tarifautonomie funktioniert auch in der Wissenschaft. Das zeigen die vielen anderen Regelungen im Tarifvertrag der Länder. Wir haben uns ins Zeug gelegt und eine maximale Öffnung der Tarifsperre erreicht. Die komplette Streichung war in der Koalition nicht durchzusetzen. Wir sind noch im Prozess, aber dieser Punkt gilt als ausverhandelt. Die Neuformulierung ermöglicht es den Tarifparteien, in zentralen Bereichen miteinander zu verhandeln. Anders als die letzte WissZeitVG-Novelle 2016 verschafft sie Gewerkschaften und Arbeitgebern wirklichen Verhandlungsspielraum. Die komplette Streichung bleibt unser Ziel.
Interview: Daniel Behruzi
Hochschulen, Forschungseinrichtungen
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